Volkswirt Jörg Angelé
Der deutsche Konjunkturmotor stottert heftig

Volkswirt Jörg Angelé
Als 2020 der Corona-Schock die globale Konjunktur traf, erwies sich die deutsche Wirtschaft als besonders widerstandsfähig. Die Wirtschaftsleistung brach zwischen Ende 2019 und Mitte 2020 „lediglich“ um knapp 11 Prozent ein. Andere Euroländer traf es damals viel härter: In Italien schrumpfte das BIP im selben Zeitraum um 17,1 Prozent, in Frankreich um 17,7 Prozent und in Spanien sogar um 22,1 P...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Als 2020 der Corona-Schock die globale Konjunktur traf, erwies sich die deutsche Wirtschaft als besonders widerstandsfähig. Die Wirtschaftsleistung brach zwischen Ende 2019 und Mitte 2020 „lediglich“ um knapp 11 Prozent ein. Andere Euroländer traf es damals viel härter: In Italien schrumpfte das BIP im selben Zeitraum um 17,1 Prozent, in Frankreich um 17,7 Prozent und in Spanien sogar um 22,1 Prozent.
Ein Grund für das gute Abschneiden Deutschlands liegt in der besonderen Wirtschaftsstruktur des Landes. Der für eine so entwickelte Volkswirtschaft wie die deutsche ungewöhnlich große Anteil der Industrie an der Wertschöpfung und der demgegenüber vergleichsweise geringe Anteil des Tourismussektors waren ausschlaggebend.
Seit der zweiten Jahreshälfte 2021 hat sich das Blatt jedoch gewendet. Was während der Pandemie zum Vorteil gereichte, kehrte sich in einen gewaltigen Nachteil um. Zunächst litt das deutsche verarbeitende Gewerbe in besonderem Maße unter dem Problem angespannter Lieferketten im Zusammenhang mit den Corona-Eindämmungsmaßnahmen in China, das sich durch den russischen Überfall auf die Ukraine noch verschärfte.
Darüber hinaus ächzten insbesondere die in Deutschland stark vertretenen energieintensiven Industriezweige unter den massiv gestiegenen Energiepreisen. Zugleich profitierte die heimische Tourismusbranche weit weniger stark vom Reiseboom der Jahre 2022 und 2023 als das in klassischen Urlaubsländern wie Italien, Spanien und Portugal der Fall war.
Zusammen haben diese Entwicklungen dazu geführt, dass Deutschland inzwischen Wachstumsschlusslicht in der Eurozone ist: In keinem anderen der übrigen 19 Euroländer hat die Wirtschaftsleistung seit Ende 2019 so schwach zugenommen wie in der Bundesrepublik (siehe nebenstehende Grafik). Das damalige BIP-Niveau wurde im zweiten Quartal 2023 gerade einmal um 0,2 Prozent übertroffen. Seit dem ersten Quartal 2022 ist das BIP unter dem Strich nicht mehr gewachsen, sondern um 0,2 Prozent geschrumpft.
Wir rechnen nicht damit, dass sich die Lage bald zum Besseren wendet. Ein Rückgang der Energiepreise auf das Niveau von vor 2021 erscheint zum jetzigen Zeitpunkt wenig wahrscheinlich. Die Produktion in den energieintensiven Industriezweigen dürfte sich in absehbarer Zeit mithin nicht erholen.
Zugleich scheinen die deutschen Autobauer ihre während der Jahre 2021 und 2022 aufgebauten Auftragspolster mittlerweile so gut wie abgearbeitet zu haben. Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass der bereits vor der Pandemie erkennbare übergeordnete Abwärtstrend bei der so wichtigen heimischen Autoproduktion wieder aufgenommen wird (siehe nebenstehende Grafik). Verschärfend kommt hinzu, dass das gesamte verarbeitende Gewerbe unter einer schwachen globalen Güternachfrage leidet.
Abgesehen von den mannigfaltigen Problemen in der Industrie gibt es weitere Belastungsfaktoren für die Wirtschaft. An erster Stelle sind die stark gestiegenen Zinsen zu nennen, die vor allem dem Baugewerbe zusetzen, wie sich an einbrechenden Baugenehmigungen und -aufträgen ablesen lässt.
Auch der private Konsum will nicht so recht in Gang kommen. Das zeigen aktuelle Daten für August. Sowohl die Einzelhandelsumsätze als auch die Umsätze im Gastgewerbe waren deutlich rückläufig und lagen jeweils unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Für das dritte Quartal deutet sich bestenfalls eine Stagnation des privaten Verbrauchs an. Das nach wie vor äußerst gedämpfte Verbrauchervertrauen, das zuletzt sogar wieder rückläufig war, ist ein Indiz dafür, dass sich der Konsum nicht so schnell beleben dürfte, wie von einigen Beobachtern erhofft.
Unser skeptischer Konjunkturausblick wird durch wichtige Frühindikatoren wie den Composite-Einkaufsmanagerindex und das Ifo-Geschäftsklima untermauert. Beide Indikatoren lagen im September auf einem Niveau, das in der Vergangenheit nur während Rezessionsphasen erreicht wurde. Eine Trendwende nach oben zeichnet sich in beiden Fällen zudem nicht ab. Wir sehen uns vor diesem Hintergrund in unserer Einschätzung bestätigt, dass die deutsche Wirtschaft noch tiefer in die Rezession abgleitet und das BIP im Winterhalbjahr 2023/2024 erneut schrumpft.
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