Volkswirt Jörn Quitzau
Wieso es beim ökologischen Umbau der Wirtschaft keine doppelte Dividende gibt
Jörn Quitzau arbeitet als Volkswirt bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg / Canva
Deutschland hat eine Vielzahl struktureller Probleme, sagt Jörn Quitzau. Doch Finanzmittel sind knapp – das hat auch Konsequenzen für den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Wieso aus seiner Sicht mehr Effizienz in der Klima- und Energiepolitik nötig ist, erklärt er in seinem Beitrag.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Der Konjunkturmotor stottert. Nachdem Deutschland in Winter 2022/23 eine leichte Rezession erlebt hat, dürfte die deutsche Wirtschaft auch im Gesamtjahr 2023 leicht geschrumpft sein. Es sieht danach aus, als wäre die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr um 0,2 Prozent zurückgegangen. Der Internationale Währungsfonds hat in der Oktober-Ausgabe seines „World Economic Outlook“ Deutschland als einziger wichtigen Volkswirtschaft in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung prognostiziert.
Eine Konjunkturschwäche ist naturgemäß nur eine Momentaufnahme und nicht notwendigerweise ein Indiz für eine zugrundeliegende strukturelle Schwäche. Trotz der roten Laterne in der jüngsten IWF-Wachstumstabelle sehen wir Deutschland noch nicht als neuen „kranken Mann“ Europas oder der Welt. Dafür ist insbesondere noch der Arbeitsmarkt zu stark. Ab diesem Frühjahr dürfte sich die deutsche Wirtschaft leicht erholen. Für 2024 erwarten wir die Rückkehr zu einem moderaten Wachstum von 0,6 Prozent. Der Abgesang auf den Standort Deutschland dürfte dann wieder etwas leiser werden.
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Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Der Konjunkturmotor stottert. Nachdem Deutschland in Winter 2022/23 eine leichte Rezession erlebt hat, dürfte die deutsche Wirtschaft auch im Gesamtjahr 2023 leicht geschrumpft sein. Es sieht danach aus, als wäre die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr um 0,2 Prozent zurückgegangen. Der Internationale Währungsfonds hat in der Oktober-Ausgabe seines „World Economic Outlook“ Deutschland als einziger wichtigen Volkswirtschaft in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung prognostiziert.
Eine Konjunkturschwäche ist naturgemäß nur eine Momentaufnahme und nicht notwendigerweise ein Indiz für eine zugrundeliegende strukturelle Schwäche. Trotz der roten Laterne in der jüngsten IWF-Wachstumstabelle sehen wir Deutschland noch nicht als neuen „kranken Mann“ Europas oder der Welt. Dafür ist insbesondere noch der Arbeitsmarkt zu stark. Ab diesem Frühjahr dürfte sich die deutsche Wirtschaft leicht erholen. Für 2024 erwarten wir die Rückkehr zu einem moderaten Wachstum von 0,6 Prozent. Der Abgesang auf den Standort Deutschland dürfte dann wieder etwas leiser werden.
Deutschland hat eine Vielzahl struktureller Probleme
Dennoch: Löst man den Blick von den kurzfristigen konjunkturellen Ausschlägen, dann zeichnet sich für Deutschland auch eine Vielzahl struktureller Probleme ab.
- Geringe wirtschaftspolitische Verlässlichkeit: Insbesondere die Ungewissheit über die zukünftige Höhe der Energie- und Strompreise verunsichert die (energieintensive) Wirtschaft und kann zu Entscheidungen gegen den Produktionsstandort Deutschland führen.
- Die wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen Dekade haben die deutsche Politik selbstzufrieden werden lassen. Wachstumsfreundliche Reformen haben kaum stattgefunden und sind nun dringend nötig, um wirtschaftlich nicht zurückzufallen.
- Der demografische Wandel wird mit dem Austritt der „Babyboomer“ aus dem Arbeitsleben bis Mitte der 2030er Jahre voll durchschlagen. Dem Arbeitsmarkt geht nicht nur eine Vielzahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte verloren, auch setzt der demografische Wandel die Sozialversicherungen unter erheblichen Druck. Die Finanzierungslücken der Sozialversicherungen werden nach und nach aufgedeckt und müssen gegebenenfalls durch Steuerzuschüsse geschlossen werden. Das belastet den Staatshaushalt zusätzlich.
- Insgesamt wachsen die Ansprüche an den Staat. So hat die Bundesregierung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine massive Ausweitung der Verteidigungsausgaben beschlossen.
- Die deutsche Wirtschaft muss sich angesichts der De-Globalisierung neu aufstellen. Die Corona-Pandemie und der Russland-Ukraine-Krieg machen ein grundlegendes Umdenken hinsichtlich Versorgungssicherheit („Lieferkettenprobleme“) und geopolitischen Risiken nötig. „Friendshoring“ und „Nearshoring“ erfordern gegebenenfalls Standortentscheidungen, die mit höheren Produktionskosten verbunden sind.
- Deutschland ist es noch immer nicht gelungen, die Migrationspolitik so zu gestalten, dass Zuwanderung vor allem in den Arbeitsmarkt stattfindet. Angesichts des erwähnten demografischen Umbruchs wird eine rationale Migrationspolitik immer dringlicher.
- Die vielen aufeinanderfolgenden Krisen, die teilweise sogar zeitgleich geschehen, haben erhebliche gesellschaftliche Spannungen verursacht. Ein großer Teil der Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in die Regierung und die Politik und zieht sich ins Private zurück (Studie Rheingold-Institut). Ein Rückzug ins Private erschwert allerdings, gesellschaftlichen Rückhalt für notwendige Reformen zu gewinnen.
Die Liste der Herausforderungen ließe sich mühelos verlängern oder verfeinern. All diese Herausforderungen fallen in eine Zeit, in der ökonomische und wirtschaftspolitische Illusionen platzen oder geplatzt sind. Die letzten zwei Jahre haben gezeigt: Die Inflation ist nicht tot. Sie ist mit großer Wucht zurückgekehrt.
Geld hat plötzlich wieder seinen Preis
Dadurch waren und sind die Notenbanken gezwungen, eine deutlich restriktivere Geldpolitik zu machen, als es sich viele Beobachter in der vergangenen Dekade vorstellen konnten. Und mit der geldpolitischen Kehrtwende ist auch die Illusion geplatzt, die Phase der Null- und Negativzinsen könne dauerhaft für ein äußerst günstiges Finanzierungsumfeld sorgen. Geld hat plötzlich wieder einen Preis. Wenn der Bundesfinanzminister zwischen Mitte 2019 und Anfang 2022 für zehn Jahre Geld am Kapitalmarkt aufgenommen hat, dann musste er keine Zinsen zahlen. Er hat von den Kreditgebern sogar Geld dafür bekommen, dass sie ihm beziehungsweise der Bundesrepublik Deutschland Geld leihen durften. Die Welt des Anleihemarktes stand quasi auf dem Kopf.
Inzwischen haben sich die Dinge normalisiert. Wer heute Bundesanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren kauft, der erhält wieder rund 2 Prozent Zinsen und perspektivisch sogar noch mehr. Es kostet den Bundesfinanzminister – und damit den Steuerzahler – also wieder Geld, wenn der Staat sich verschuldet, um zusätzliche Ausgaben zu finanzieren. Solange die Inflationsrate noch höher ist als der Zins, mag es immer noch wie ein ordentliches Geschäft für den Bundesfinanzminister wirken. Doch spätestens wenn die Inflationsrate unter den Nominalzins sinkt, werden Schulden wieder zu einer realen Belastung.
Die Europäische Zentralbank (EZB) muss sich in diesem Umfeld wieder auf ihr Kerngeschäft, die Sicherung der Preisniveaustabilität, konzentrieren. Zuvor war die EZB immer wieder in die ungeliebte Rolle des Retters in der Not gedrängt worden. Sie musste vielen Regierungen mit einer lockeren Geldpolitik unter die Arme greifen, unter anderem um die Kosten der Pandemie finanzierbar zu machen. Da die weltweit lockere Geldpolitik mit niedrigen Zinsen und umfangreichen Anleihekaufprogrammen lange Zeit nicht zu höherer Inflation führte, gewöhnten sich manche Politiker – und auch einige Ökonomen – an die Idee, der Staat könne alle gesellschaftlich wünschenswerten Projekte problemlos mithilfe der Notenbank finanzieren.
„Modern Monetary Theory“ (MMT) war das Schlagwort für diese scheinbar schöne neue Welt der Geld- und Finanzpolitik. Doch mit dem Anstieg von Inflation und Zinsen war der MMT-Traum ausgeträumt. Nun bewahrheiten sich die alten Lehren, dass es für das Geld – und damit auch für das Geld des Staates – unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten gibt, die untereinander in Konkurrenz stehen.
Knappe Finanzmittel haben Konsequenzen für den ökologischen Umbau
Die jüngsten Haushaltsverhandlungen haben gezeigt: Das Geld, das an der einen Stelle zusätzlich ausgegeben werden soll, muss typischerweise an anderer Stelle eingespart werden. Der einfache Weg, die Lasten mittels Staatsschulden in die Zukunft zu verschieben, ist durch die Schuldenbremse zu Recht weitgehend versperrt.
Die Tatsache, dass Finanzmittel knapp sind, hat auch erhebliche Konsequenzen für den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Geld, das in den ökologischen Umbau beziehungsweise in die Dekarbonisierung fließt, fehlt an anderer Stelle für Konsumausgaben oder Investitionen. Das ist auch der Grund, weshalb trotz der umfassenden Klimaschutzinvestitionen ein Wirtschaftswunder wie in der Nachkriegszeit ausbleiben wird.
In den 1950er Jahren lag das jährliche Wirtschaftswachstum bei durchschnittlich gut 8 Prozent, in den 1960er Jahren immerhin noch bei rund 4,5 Prozent. Auch wenn Teile der Bundesregierung Optimismus verbreiten: Solche Wachstumsraten sind weit und breit nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Forschungsinstitute haben im Frühjahr in ihrer Gemeinschaftsdiagnose darauf hingewiesen, dass das Wachstum des Produktionspotenzials in den kommenden Jahren deutlich sinken wird – von bisher rund 1,5 Prozent auf 0,5 bis 0,9 Prozent. Auch der Sachverständigenrat erwartet einen deutlichen Rückgang des Produktionspotenzials.
Klimaschutzinvestitionen werden keinen Wachstumsboom auslösen
Die Klimaschutzinvestitionen werden keinen Wachstumsboom auslösen, weil mit ihnen die volkswirtschaftlichen Kapazitäten nicht erweitert, sondern lediglich umgebaut werden. Das Geld, das in den Klimaschutz investiert wird, fehlt für andere Investitionen. Ähnliches gilt für die Privathaushalte. Ausgaben für den Klimaschutz reduzieren die Möglichkeiten für anderweitigen Konsum. Photovoltaikanlagen, klimafreundliche Heizungen oder Maßnahmen für Wärmedämmung senken die Strom- und Heizrechnung und entlasten die Haushalte bei den laufenden Kosten. Für viele Jahre dominieren aber die Investitionsausgaben. Es dauert lange, bis sich die Investitionen amortisieren.
Das alles soll nicht als Argument gegen Klimaschutzinvestitionen verstanden werden. Aber es ist ein Argument gegen die verbreitete Sicht, Klimaschutzinvestitionen würden eine doppelte Dividende abwerfen – eine ökologische und eine ökonomische. In einer aktuellen Nutzen-Kosten-Analyse haben wir gezeigt, dass die ökonomische Dividende weitgehend eine Wunschvorstellung ist. Für den Klimaschutz müssen volkswirtschaftliche Ressourcen eingesetzt werden. Und es muss klar sein, dass diese Ressourcen an anderen Stellen fehlen werden. Deshalb ist mehr Effizienz in der Klima- und Energiepolitik das Gebot der Stunde. Um es in der Sprache der Ökonomen zu sagen: Das gegebene Ziel – also die Dekarbonisierung – muss mit dem geringstmöglichen Ressourceneinsatz erreicht werden.
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