Volkswirt Holger Schmieding
Vier Prioritäten: Wie Deutschland den Weg aus der Krise finden kann
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Foto: Berenberg Bank / Canva
Die Exportmaschine stottert, der Wohnungsbau bricht ein und Unternehmen leiden an hohen Energiekosten sowie regulatorischen Belastungen - ist Deutschland wieder der „kranke Mann Europas“? Nein, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg - wenn sich das Land vier Prioritäten setzt.
Einige Beobachter bezeichnen Deutschland wieder als „kranken Mann Europas“.
Die heutige Situation in Deutschland unterscheidet sich allerdings deutlich von der strukturellen Malaise der Jahre 1995 bis 2004. Denn heute erfreut Deutschland sich einer Rekordbeschäftigung, einer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften und der komfortabelsten Haushaltslage aller großen Volkswirtschaften. Das macht es viel einfacher, sich an Schocks anzupassen. Selbst ein beschleunigter Strukturwandel im Zuge der Energiewende muss nicht zu erheblicher Arbeitslosigkeit führen. Dennoch sollte der derzeitige Abschwung als Weckruf dienen und weitere Reformen auslösen.
Angesichts der noch immer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften braucht Deutschland kein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm. Vielmehr sollte es sein Angebotspotenzial stärken. Oberste Prioritäten sollten sein:1. die Unsicherheit über die zukünftige Energiepolitik zu beenden;2. die Verwaltungskapazität der Bürokratie zu stärken;3. Planungs- und Genehmigungsprozesse zu beschleunigen, um Investitionen freizusetzen;4. Anreize zu schaffen, mehr und länger zu arbeiten.
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Einige Beobachter bezeichnen Deutschland wieder als „kranken Mann Europas“.
Die heutige Situation in Deutschland unterscheidet sich allerdings deutlich von der strukturellen Malaise der Jahre 1995 bis 2004. Denn heute erfreut Deutschland sich einer Rekordbeschäftigung, einer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften und der komfortabelsten Haushaltslage aller großen Volkswirtschaften. Das macht es viel einfacher, sich an Schocks anzupassen. Selbst ein beschleunigter Strukturwandel im Zuge der Energiewende muss nicht zu erheblicher Arbeitslosigkeit führen. Dennoch sollte der derzeitige Abschwung als Weckruf dienen und weitere Reformen auslösen.
Angesichts der noch immer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften braucht Deutschland kein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm. Vielmehr sollte es sein Angebotspotenzial stärken. Oberste Prioritäten sollten sein:
1. die Unsicherheit über die zukünftige Energiepolitik zu beenden;
2. die Verwaltungskapazität der Bürokratie zu stärken;
3. Planungs- und Genehmigungsprozesse zu beschleunigen, um Investitionen freizusetzen;
4. Anreize zu schaffen, mehr und länger zu arbeiten.
Priorität 1: Klarheit über die Energiepolitik
Der wichtigste unmittelbare Schritt wäre meines Erachtens, die Unsicherheit über die künftige Energiepolitik zu beenden. Ehrgeizige Klimaschutzziele sind kostspielig. Aber wenn man die Industrie über die künftigen Energiepreise im Unklaren lässt, kann dies noch die Wirtschaft noch weit stärker belasten als ein kalkulierbarer, wenn auch teurer Pfad etwa für die künftigen Strompreise.
Dazu sollten klare Leitlinien für energieintensive Sektoren gehören, welche staatliche Unterstützung sie vorübergehend erwarten können. Ein Industriestrompreis für eine begrenzte Anzahl von Unternehmen in den energieintensivsten Branchen könnte den Wettbewerb zwischen den Subventionsempfängern und ihren kleineren Konkurrenten verzerren und den Übergang zu mehr Energieeffizienz verlangsamen. Besser wäre es, die Netzentgelte für alle Unternehmen zu senken, gerade auch für den Mittelstand.
Alles in allem wäre es bereits eine große Hilfe, wenn sich die Regierung schnell auf eine Lösung einigen könnte. Dann könnten Unternehmen entsprechend planen, anstatt Investitionsentscheidungen zu vertagen.
Priorität 2: Öffentliche Verwaltung stärken
In vielerlei Hinsicht wird Deutschland gut regiert und verwaltet, gerade auch im Vergleich mit anderen Ländern. Die Institutionen, der stabile Rechtsrahmen, Transparenz und politische Stabilität sind gute Argumente für den Standort Deutschland. Allerdings kämpft die Verwaltung immer stärker mit vier großen Problemen:
2. das Regelungsgeflecht, das die Bürokratie verwalten muss, wird immer dichter und komplexer;
3. eine enge Auslegung der Datenschutzbestimmungen erschwert den Datenaustausch zwischen den einzelnen Behörden und zwingt die Bürger oft dazu, weitere Formulare noch einmal mit Angaben auszufüllen, die andere Behörden bereits haben;
4. ein zunehmender Personalmangel auf vielen Ebenen verzögert viele Vorgänge, führt zu gelegentlichen Fehlern und verärgert viele Bürger.
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