„Deutschland muss lernen, seine Prinzipien zu Gunsten eines größeren Ziels aufzugeben“
Zurzeit erleben wir eine von Angst getriebene Flucht in Bundesanleihen, mit der die nominalen Renditen von Schuldtiteln mit zwei Jahren Laufzeit kurzzeitig sogar unter die Null-Prozent-Marke rutschten.
Jemand anderem Geld leihen und ihn dafür auch noch bezahlen: Eine verkehrte Welt und der beste Beweis dafür, wie verängstigt manche Anleger sind. Kapitalrückzahlung geht derzeit offenbar vor Kapitalverzinsung.
Kaum fassen kann sicher der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sein Glück, der für Aufstockungen und Neukredite momentan Abnehmer trotz absurd niedriger Zinsen findet. Dass dieser Balsam für die deutsche Staatskasse für andere staatliche Kreditnehmer alles andere als heilsam ist, schmälert dessen positive Wirkung für Deutschland nicht.
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Das Image der Deutschen
Aber trotzdem befindet sich Deutschland trotz allem in einer schwierigen Situation. Denn die von mir beschriebenen wirtschaftlichen Vorteile sind das eine – die öffentliche Wahrnehmung aber ist eine ganz andere Sache.
Ein Land, das aus historischen Gründen zurückhaltend ist, die Führungsrolle zu fordern, wird nun gezwungen all das zu verteidigen, wofür Generationen von Politikern hart gekämpft haben. Und wer will schon als jemand dastehen, der die Verschwendungssucht seiner Nachbarn belohnt? Vor allem dann, wenn diese scheinbar selbst wenig tun, um sich aus ihrem Dilemma zu befreien.
Gelegentlich aber muss man Prinzipien aufgeben zu Gunsten eines größeren und wichtigeren Ziels. Die Realität ist das, was bleibt, wenn man die Augen schließt. Und dieser Realität muss man sich hier und jetzt stellen, nicht einer romantischen Vorstellung davon, wie Völker in einer perfekten Welt miteinander leben.
Im schlimmsten Fall gelingt es nicht rechtzeitig, das Ungleichgewicht in Europa zu beseitigen. Die Folgen wären ein Zusammenbruch der Währungsunion, die Rückkehr zur starken D-Mark, uneinbringliche Target2-Forderungen und die Erschütterung des deutschen Wohlstands in seinen Grundfesten. Wer aber kauft dann die teuren BMWs? Ein solches Schreckensszenario ist zwar unwahrscheinlich. Mitunter aber muss man zu extremen Beispielen greifen, um Zusammenhänge zu verdeutlichen.
Wie aber gelangen die Deutschen an den Punkt, an dem sie bereit sind, eine höhere Inflation, höhere Anleihezinsen, eine stärkere Führungsrolle und eine Europäische Zentralbank zu akzeptieren, die eine deutlich gemäßigtere Position vertritt als die Bundesbank? Das geht nur langsam, Schritt für Schritt, während man gleichzeitig versucht, die Haushaltsdisziplin zu wahren und die Kosten einer Lösung gegen die eines Zusammenbruchs abzuwägen.
Hier geht es nicht nur um Deutschland. Auch Frankreich ist einer der Nutznießer der Krise, wenn auch in kleinerem Rahmen. Es ist an der Zeit, wieder für etwas mehr Ausgewogenheit in einer Debatte zu sorgen, die in letzter Zeit doch gefährlich einseitig war.
Die Fakten liegen auf der Hand. Sie zu ignorieren ist wenig hilfreich, wenn es darum geht, Maßnahmen zu formulieren, mit denen das europäische Bankensystem stabilisiert und die Mehrheit der Volkswirtschaften wieder auf den Wachstumspfad zurückgeführt werden kann. Der beste Weg aus einer Schuldenkrise führt über Wachstum. Aber nicht nur in einem oder zwei Ländern, sondern überall in Europa.
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