Chefvolkswirt Johannes Mayr
Weshalb Deutschland mehr Schumpeter wagen sollte
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt der Anlagegesellschaft Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz / Canva
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben sich in Deutschland zu lange auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht, sagt Johannes Mayr. Er erklärt, was sich ändern muss.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Das Wachstumspotenzial ist seit den Achtzigerjahren weltweit zurückgegangen. In Deutschland war der Abwärtstrend besonders stark ausgeprägt. In den Siebzigerjahren lagen die Wachstumsraten im Schnitt bei gut 3 Prozent, in den Achtzigern bei 2 Prozent. Mittlerweile liegt die Wachstumsrate, die bei normaler Auslastung der Kapazitäten erreicht wird, nur noch knapp über der Nulllinie.
Schwäche bei allen Produktionsfaktoren: Arbeit, Kapital und Innovation
Der Rückgang des Wachstumspotenzials in Deutschland resultiert dabei aus einer zunehmenden Schwäche aller Produktionsfaktoren (siehe Abbildung 1). Ganz oben steht dabei der Faktor Arbeit. Das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft seit vielen Jahren. Zudem hat sich der Arbeitseinsatz je Person kontinuierlich verringert. Im Resultat bremst der Faktor Arbeit – gemessen am verfügbaren Arbeitsvolumen – im Durchschnitt der vergangenen Jahre das Wachstumspotenzial, anstatt es anzuschieben. Trotz der zwischenzeitlich deutlich erhöhten Migration.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Das Wachstumspotenzial ist seit den Achtzigerjahren weltweit zurückgegangen. In Deutschland war der Abwärtstrend besonders stark ausgeprägt. In den Siebzigerjahren lagen die Wachstumsraten im Schnitt bei gut 3 Prozent, in den Achtzigern bei 2 Prozent. Mittlerweile liegt die Wachstumsrate, die bei normaler Auslastung der Kapazitäten erreicht wird, nur noch knapp über der Nulllinie.
Schwäche bei allen Produktionsfaktoren: Arbeit, Kapital und Innovation
Der Rückgang des Wachstumspotenzials in Deutschland resultiert dabei aus einer zunehmenden Schwäche aller Produktionsfaktoren (siehe Abbildung 1). Ganz oben steht dabei der Faktor Arbeit. Das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft seit vielen Jahren. Zudem hat sich der Arbeitseinsatz je Person kontinuierlich verringert. Im Resultat bremst der Faktor Arbeit – gemessen am verfügbaren Arbeitsvolumen – im Durchschnitt der vergangenen Jahre das Wachstumspotenzial, anstatt es anzuschieben. Trotz der zwischenzeitlich deutlich erhöhten Migration.
Ähnliches gilt für den Faktor Kapital. Denn Unternehmen und der Staat haben über Jahrzehnte zu zögerlich in den heimischen Kapitalstock investiert. Der Standort Deutschland hat auf der Kapitalseite von der Substanz gelebt. Im internationalen Vergleich ist die Quote der Nettoinvestitionen in Relation zur Wirtschaftsleistung in Deutschland dabei besonders stark gesunken (siehe Abbildung 2).
Die unzureichende Investitionstätigkeit hat auch mit dem Geschäftsmodell zu tun. Lange Zeit hat die deutsche Wirtschaft mit billiger Energie überwiegend Investitionsgüter hergestellt und diese in die Wachstumsmärkte in Asien und den USA exportiert. Das damit erwirtschaftete Kapital wurde überproportional wieder im Ausland investiert.
Und schließlich der technische Fortschritt, denn auch das Wachstum der Produktivität hat sich über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte stark verringert.
Die Ursachen für die Schwäche des Arbeitsvolumens und des Kapitalstocks sind viel diskutiert. Und es liegen auch politische Handlungsoptionen auf dem Tisch. Sucht man nach den Ursachen für die schwache Produktivitätsentwicklung, ist man schnell auch bei strukturellen und gesellschaftlichen Faktoren. Hier sind die Herausforderungen deutlich komplexer.
Verzögerter Strukturwandel lastet auf Produktivitätsentwicklung
Ein zentraler Faktor lässt sich als Legacy-Problem bezeichnen. In der Vergangenheit war die international sehr erfolgreiche deutsche Industrie für hohe Produktivitätszuwächse, hohe Gewinne und hohe Löhne verantwortlich. Ihr Anteil an der Wertschöpfung geht aber weltweit seit geraumer Zeit zurück. Dazu kommt, dass Deutschland in vielen Bereichen seine Qualitätsvorsprünge gegenüber anderen Ländern verloren hat beziehungsweise diese deutlich geschrumpft sind. Gerade China hat in vielen Wirtschaftsbereichen enorm aufgeholt.
Gleiches gilt für Bildung und Humankapital, deren Qualität langfristig den technischen Fortschritt und damit die künftige Produktivität mitbestimmen. Legacy-Problem heißt also: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben sich zu lange auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht und den Wandel in vielen Bereichen verschlafen.
Aktuell überbieten sich die politischen Akteure mit Vorschlägen, wie Deutschlands Wachstumsmotor wieder in Gang kommt. Der Fokus liegt dabei gleichermaßen auf den Standortbedingungen und dem staatlichen Investitionsbedarf. Diese Debatte ist überfällig und wichtig.
Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihre ausgeprägte Vollkaskomentalität abbauen. Diese hat sich spätestens seit der Finanzkrise breitgemacht und zeigt sich in stetigen Forderungen und dem stetigen Impuls, Fehlentscheidungen, strukturelle Veränderungsprozesse und wirtschaftliche Abschwünge mit öffentlichem Geld zu begleiten und ökonomische Folgen möglichst vollständig zu kompensieren.
Das begrenzt in Abschwungphasen zwar die Fallhöhe. Es nimmt der Konjunktur aber die Kraft für wirkliche Aufschwungphasen. Zuviel unprofitable Geschäftsmodelle bleiben am Markt und konkurrieren mit jungen Ideen um Kapital. Indirekt findet so ein Crowding Out innovativer Ideen statt. Die Dominanz der bankbasierten Finanzierung – welche sich mit der Bewertung traditioneller Geschäftsmodelle leichter tut – verstärkt dieses Problem.
Eindrucksvoll zeigen sich die Folgen der Vollkaskomentalität am parallelen und kontinuierlichen Rückgang der Zahlen zu Insolvenzen und Neugründungen von Unternehmen seit den frühen 2000er Jahren (siehe Abbildung 2). Eine Marktbereinigung ist in den Krisen dieser Zeit (insbesondere Finanzkrise ab 2007 und Covid-Krise 2020) fast vollständig ausgeblieben. Erst am aktuellen Rand ist ein Anstieg der Insolvenzen zu erkennen.
Dazu kommt, dass die Vergangenheit gezeigt hat, dass der Staat nicht gut darin ist, innovative Geschäftsfelder zu identifizieren. Die schöpferische Kraft der Ökonomie entsteht, wie schon der Nationalökonom Joseph Schumpeter wusste, durch die Zerstörung alter und verkrusteter Strukturen. Wer die Welt von gestern über Steuermittel und Subventionen aufrechterhalten will, schafft bestenfalls ein Museum, meist eine Zombiewirtschaft und legt damit den Grundstein für den langfristigen Abstieg. Das tritt gerade jetzt besonders klar zu Tage, da sich die geopolitischen, ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen stark verändern beziehungsweise verändert haben und die Schwächen offenlegen.
Globale Veränderung machen Schwächen sichtbar
So hat sich der Welthandel und insbesondere die Nachfrage nach Industriegütern seit der Finanzkrise verlangsamt. Darunter hat das deutsche Geschäftsmodell besonders gelitten. In den vergangenen zehn Jahren hat der Außenhandel keinen Wachstumsbeitrag mehr geliefert. Die global voranschreitende Expansion des Dienstleistungssektors ist dabei ein Faktor.
Hinzu kommt, dass die Unternehmen viel Wertschöpfung und Know-how ins Ausland verlagert haben. Wenn Unternehmen verstärkt im Ausland investieren, kann das durch Push- und Pull-Faktoren bedingt sein. Ein Push-Faktor sind die hohen Lohnkosten in Deutschland. In Kombination mit der schwachen Produktivität haben sie die Lohnstückkosten in die Höhe getrieben. Deutschland hat an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verloren, auch im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern.
Pull-Faktoren sind die zunehmend aggressiveren Handelspraktiken wichtiger Partnerländer, insbesondere die Einführung von Zöllen und das Fordern von Direktinvestitionen in diesen Ländern. Und schließlich haben die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine, wie störanfällig das Geschäftsmodell ist. Die Unternehmen haben versucht sich diesbezüglich resilienter aufzustellen.
Und der Ausblick verspricht diesbezüglich wenig Besserung. Im Gegenteil. Die neue US-Administration wird die Handelsbarrieren für Güter weiter verschärfen und gleichzeitig aggressiv für Investitionen in den USA kämpfen. Dabei ist unter Ökonomen unstrittig, dass Hindernisse im Handel das Wachstum grundsätzlich dämpfen. Die Gewinne und Verluste sind allerdings unterschiedlich verteilt. Und die deutsche Wirtschaft hat in diesem Spiel kein gutes Blatt.
Umso wichtiger wäre es daher, dass sich der deutsche Außenhandel resilienter gegenüber politischen Störeinflüssen macht und versucht, die Handelsströme an die multipolare Welt anzupassen. Sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Absatzseite sollten Klumpenrisiken abgebaut und die Handelsströme stärker diversifiziert werden. Je mehr Freihandelsabkommen die EU auf den Weg bringt, desto besser für Deutschland.
Zeit für Reformen – aber keine Wunder erwarten
Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, das Wachstumspotenzial kurzfristig wieder auf die Werte wie in den Siebziger- oder Achtzigerjahren hieven zu können. Dazu ist der Gegenwind unter anderem von der Demografie zu stark. Dennoch können Politik, aber auch Wirtschaft und Gesellschaft einiges tun. Neben der Stärkung des freien Handels gilt es die Rahmenbedingungen im Inneren zu verbessern. Dazu müssen wir uns von so manchen staatlichen Vorgaben, Ge- und Verboten verabschieden. Die Migration muss auch an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes ausgerichtet werden und das Bildungssystem muss an die Herausforderungen angepasst werden.
Außerdem sollte versucht werden, die Erwerbsbeteiligung insbesondere von Frauen weiter zu steigern. Das alles wird nicht ohne Anpassungsschmerzen vonstattengehen. Vor allem aber müssen sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von der Vollkaskomentalität verabschieden und wieder mehr Schumpeter wagen.
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