Chefvolkswirt Cyrus de la Rubia
Wie Deutschland zukunftsfest gemacht werden kann
Cyrus de la Rubia ist Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank (HCOB). Foto: Hamburg Commercial Bank
Deutschland leidet unter einer Nachfrageschwäche sowie Problemen auf der Angebotsseite. Was also tun? Cyrus de la Rubia geht dieser Frage in seinem Beitrag nach, analysiert die Lage und hat Vorschläge, wie Deutschland zukunftsfähig aufgestellt werden kann.
Deutschlands BIP ist im zweiten Quartal diesen Jahres geschrumpft und die HCOB PMI Einkaufsmanagerindizes signalisieren ebenso wie der Ifo-Geschäftsklimaindex, dass das Wirtschaftswachstum auch im dritten Quartal negativ ausfällt. Damit scheint eine Rezession vor der Tür zu stehen. Tatsächlich ist es so, dass sich die Industrie und das Baugewerbe bereits seit 2022 in einer Rezession befinden. Es ist der Dienstleistungssektor, der bislang die Wirtschaft stabilisiert hat. Vieles deutet darauf hin, dass sich in Deutschland die stagflationäre Phase der letzten Jahre fortsetzt, wenn die Bundesregierung nicht endlich gegensteuert.
Angebot und Nachfrage
Was muss also geschehen, damit sich Deutschland aus diesem Wachstumsloch herausarbeitet? Offensichtlich leidet unser Land unter einer Nachfrageschwäche und unter angebotsseitigen Problemen. Zu Letzterem gehört, dass wir jahrelang von der Substanz unseres Kapitalstocks gelebt haben, das rächt sich jetzt. Beherzte langfristig angelegte staatliche Investitionen in die Infrastruktur würden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Investitionsgüternachfrage würde steigen, während eben mit diesen Investitionen ein Teil der Angebotsprobleme beseitigt würden.
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Deutschlands BIP ist im zweiten Quartal diesen Jahres geschrumpft und die HCOB PMI Einkaufsmanagerindizes signalisieren ebenso wie der Ifo-Geschäftsklimaindex, dass das Wirtschaftswachstum auch im dritten Quartal negativ ausfällt. Damit scheint eine Rezession vor der Tür zu stehen. Tatsächlich ist es so, dass sich die Industrie und das Baugewerbe bereits seit 2022 in einer Rezession befinden. Es ist der Dienstleistungssektor, der bislang die Wirtschaft stabilisiert hat. Vieles deutet darauf hin, dass sich in Deutschland die stagflationäre Phase der letzten Jahre fortsetzt, wenn die Bundesregierung nicht endlich gegensteuert.
Angebot und Nachfrage
Was muss also geschehen, damit sich Deutschland aus diesem Wachstumsloch herausarbeitet? Offensichtlich leidet unser Land unter einer Nachfrageschwäche und unter angebotsseitigen Problemen. Zu Letzterem gehört, dass wir jahrelang von der Substanz unseres Kapitalstocks gelebt haben, das rächt sich jetzt. Beherzte langfristig angelegte staatliche Investitionen in die Infrastruktur würden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Investitionsgüternachfrage würde steigen, während eben mit diesen Investitionen ein Teil der Angebotsprobleme beseitigt würden.
An Argumenten gegen eine derartige Vorgehensweise fehlt es in der öffentlichen Diskussion natürlich nicht. So wird beispielsweise gesagt, dass der öffentliche Sektor durchaus seine Investitionstätigkeit ausgeweitet hat – die Generalüberholung bei der Bahn kann hier als Beispiel genannt werden –, dass es im Übrigen aber bei einer Vollauslastung der Kapazitäten keinen Sinn mache, staatlicherseits die Investitionen zu forcieren. Damit würde nur die Inflation angeheizt werden. Und überhaupt gäbe es eine Schuldenbremse und egal wie man dazu stünde, die Verfassung erlaube hier keinen Spielraum, man müsse also mit dem Geld auskommen, das da ist.
Auf die Planbarkeit kommt es an
Das Kapazitätsargument ist grundsätzlich richtig, aber in dieser verkürzten Form irreführend. Für Unternehmen ist es nicht nur wichtig, ein oder zwei Jahre öffentliche Aufträge zu erhalten, es geht vor allem um Planbarkeit. Angesichts des Investitionsstaus, der sich in der Infrastruktur aufgebaut hat, ist jedem klar, dass die beschädigten oder fehlenden Brücken, Straßen, Gleise, Schulgebäude und so weiter nicht in einem Jahr erneuert und gebaut werden können, dafür reichen die Produktionskapazitäten natürlich nicht aus. Und die Energiewende kann auch nur über mehrere Jahrzehnte gelingen.
Eine Bundesregierung, die jedoch einen langfristigen verlässlichen Investitionsplan aufstellt, der sich beispielsweise über zehn Jahre erstreckt, würde hingegen den Unternehmen eben die Planungssicherheit geben, die sie benötigen. Denn die Firmen werden nur die entsprechenden Kapazitäten in Bezug auf Personal, Gebäude, Maschinen und so weiter aufbauen, wenn sie sich sicher sein können, dass die politischen Pläne nicht schon im nächsten Jahr wieder kassiert werden.
Der Inflation Reduction Act aus den USA ist, bei aller Kritik an seinen protektionistischen Elementen, in dieser Hinsicht durchaus vorbildlich. Denn der IRA sieht unter anderem Investitionen in spezifische Sektoren vor, die sich über zehn Jahre erstrecken. Die Unternehmen wissen also, woran sie sind.
Langfristige Wirkung von Konjunkturprogrammen
Dazu kommt noch ein anderer wichtiger Punkt. Immer wieder wird argumentiert, dass ein Konjunkturprogramm keine strukturellen Probleme löst. Das ist insoweit richtig, dass Probleme einer schleppenden Bürokratie, langwieriger Genehmigungsverfahren, oder auch fehlender Fachkräfte nicht durch mehr Geld, sondern vor allem durch Reformpolitik beseitigt oder zumindest reduziert werden können.
Richtig ist aber auch, dass eine Rezession dauerhafte Schäden in der Ökonomie hinterlassen kann. In einer Welt, wo Unternehmen nicht nur mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen haben, sondern auch noch mit einem Abschwung, ist eine Abwanderung wesentlich wahrscheinlicher als in einer Welt, wo das BIP wieder expandiert. Einmal abgewandert, dürfte diese Firma nicht so bald wieder zurückkehren, selbst wenn Deutschland irgendwann durchdigitalisiert ist und die Steuerlast unter den Durchschnitt der OECD-Länder fallen würde – derzeit liegt man bei der Steuerbelastung im oberen Drittel.
Firmen verlieren die Geduld
In Bezug auf die Finanzierung der notwendigen Investitionen wird von vielen Seiten betont, dass es darum ginge, die staatlichen Ausgaben anders als bisher zu priorisieren. Das heißt statt über höhere Schulden die Investitionen zu stemmen, sollte Bürgergeld, Renten, andere Sozialleistungen, aber auch umweltschädliche Subventionen gekürzt werden und das Gewicht hin zu öffentlichen Investitionen verlagert werden.
Wenn dies schrittweise über viele Jahre erfolgt und soziale Härten vermieden werden, ist dies der richtige Ansatz. Wenn man sich aber zwanzig oder dreißig Jahre Zeit lässt mit dem Aufbau der Stromnetze, der Instandsetzung von Verkehrsinfrastruktur und so weiter werden viele Firmen bis dahin die Geduld verlieren und ihre Aktivitäten hierzulande einstellen.
Wenn man umgekehrt den Prozess beschleunigen will und dennoch auf Einsparungen setzt, wären entsprechend hohe Kürzungen im Sozialhaushalt nötig. Abgesehen davon, dass diese gesellschaftlich wohl nicht akzeptiert würden, wirken sich derartige Kürzungen auch konjunkturell negativ aus. Denn sie bewirken unmittelbar eine geringere Konsumnachfrage, die dann auf das BIP durchschlägt.
Suche nach Auswegen aus der Schuldenbremse
Insofern führt kein Weg daran vorbei, über eine temporär erhöhte Schuldenaufnahme den öffentlichen Kapitalstock wieder auf Vordermann zu bringen. Dem steht offensichtlich die Schuldenbremse im Weg. Grundsätzlich böte es sich an, ein über eine Änderung des Grundgesetzes abgesichertes Sondervermögen nach dem Vorbild „Sondervermögen Bundeswehr“ zu bilden. Dafür bedürfte es allerdings einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat, die bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen kaum zustande kommen würde.
Die Alternative wäre, einen Ausnahmetatbestand festzustellen, der in einer wirtschaftlichen Notsituation durchaus möglich ist. Die milde Rezession, die möglicherweise vor der Tür steht, erfüllt diesen Tatbestand kaum. Die Frage ist aber, ob die Antizipation einer wirtschaftlichen Notlage, die sich durch unzureichendes Handeln ergeben dürfte, ausreicht, um die Schuldenbremse auszusetzen.
Deutschland steht nicht vor dem Abgrund, sondern vor einem langgezogenen Weg ins Tal. Aber wenn man auf diesem Weg erstmal ins Rollen kommt, dann kann es mit dem Abstieg plötzlich sehr schnell gehen. Daher ist es zwingend: Die Bundesregierung muss klotzen und nicht kleckern, um diesen Abstieg zu stoppen und Deutschland zukunftsfest zu machen. Wenn diese Bundesregierung dazu nicht in der Lage ist, dann muss es die nächste Regierung tun und das erste, was sie in Angriff nehmen sollte, ist die Reform der Schuldenbremse.
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