Chefvolkswirt Carsten Klude
Deutschlands Wirtschaft droht der Abstieg
Carsten Klude ist Chefvolkswirt bei M.M.Warburg. Foto: M.M.Warburg
Deutschland ist nach den USA, China und Japan die größte Wirtschaftsnation der Welt. Von der Corona-Krise erholt sich das Land jedoch langsamer als andere. Ein Gastbeitrag von Carsten Klude, Chefvolkswirt von M.M.Warburg.
Dies ist wenig verwunderlich, da Deutschland nach seiner Wiedervereinigung ökonomisch gesehen zum „kranken Mann“ in der Eurozonebeziehungsweise in der EU wurde und regelmäßig die rote Laterne als Wachstumsschlusslicht trug. Erst die 2003 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder verabschiedete „Agenda 2010“ läutete mit den beschlossenen Reformen des deutschen Sozialsystems und des Arbeitsmarktes eine Trendwende ein.
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Im Zeitraum zwischen 2006 und 2014 wuchs die gesamte Eurozone einschließlich Deutschlands mit Ausnahme des Jahres 2009 wesentlich stärker als es der Fall gewesen wäre, wenn man die deutsche Wirtschaft aus der Eurozone...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Dies ist wenig verwunderlich, da Deutschland nach seiner Wiedervereinigung ökonomisch gesehen zum „kranken Mann“ in der Eurozonebeziehungsweise in der EU wurde und regelmäßig die rote Laterne als Wachstumsschlusslicht trug. Erst die 2003 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder verabschiedete „Agenda 2010“ läutete mit den beschlossenen Reformen des deutschen Sozialsystems und des Arbeitsmarktes eine Trendwende ein.
Im Zeitraum zwischen 2006 und 2014 wuchs die gesamte Eurozone einschließlich Deutschlands mit Ausnahme des Jahres 2009 wesentlich stärker als es der Fall gewesen wäre, wenn man die deutsche Wirtschaft aus der Eurozone ausklammern würde; dies gilt vor allem für die Jahre 2010 bis 2014. Doch ab 2015 kam Sand ins deutsche Getriebe. 2015, 2018 und 2019 wuchs die deutsche Wirtschaft nur noch unterdurchschnittlich im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn, 2016 und 2017 war kein wesentlicher Unterschied feststellbar.
Im Pandemiejahr 2020 schlug sich Deutschland dann wieder wesentlich besser als der Rest der Eurozone, doch dieser Vorteil kehrt sich schon in diesem Jahr wieder um. Während das reale Bruttoinlandsprodukt der 19 Länder der Eurozone 2021 mit gut 5 Prozent wachsen wird, läge der Zuwachs der übrigen 18 Länder ohne Deutschland bei etwa 6 Prozent.
Aber woher rührt diese Schwäche? Nach unserer Analyse hat dies viel mit zwei eigentlichen Paradedisziplinen der deutschen Wirtschaft zu tun: der Industrieproduktion und den Exporten. Die deutsche Industrieproduktion liegt beispielsweise derzeit um gut 5 Prozent unter dem Niveau von Januar 2015. Betreibt man Ursachenforschung, landet man natürlich bei den Themen Lieferkettenunterbrechungen, Halbleitermangel und fehlende Vorleistungsgüter. Allerdings leidet das deutsche verarbeitende Gewerbe deutlich stärker unter diesen Problemen als Industrieunternehmen in anderen europäischen Ländern.
So ist die Produktion in Irland heute gegenüber Januar 2015 um fast 60 Prozent angestiegen, in Belgien um mehr als 30 Prozent, in Finnland um fast 20 Prozent und auch in Italien um mehr als 6 Prozent. Ähnlich stellt sich die Situation bei Betrachtung der Exporte dar. Diese sind seit Januar 2015 in Deutschland immerhin um knapp 20 Prozent gewachsen, aber auch hier verzeichnen Länder wie Irland (+60 Prozent), die Niederlande (+40 Prozent), Spanien (+35 Prozent) oder Italien (+30 Prozent) deutlich stärkere Zuwächse.
Sucht man eine Erklärung für die unterdurchschnittliche Entwicklung dieser Kennzahlen in Deutschland, so scheint dies vor allem etwas mit der Entwicklung der deutschen Autoindustrie zu tun zu haben. Seit dem Beginn der 2000er Jahre wurden pro Jahr fast immer zwischen 450.000 und 500.000 Pkws produziert. 2019 ging die Produktion auf knapp 400.000 Fahrzeuge zurück, 2020 sank die Zahl auf 300.000 Fahrzeuge, und in den vergangenen Monaten wurden sogar nur noch etwa 250.000 PKWs hergestellt.
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