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Didier Saint-Georges Neuer Merkantilismus bremst das Weltwirtschaftswachstum

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Das Problem für uns Anleger besteht darin, dass dieses infrage gestellte Modell der „glücklichen Globalisierung“ der vergangenen Jahrzehnte zu den kurzfristigen Ungewissheiten auch die dauerhafte Gefahr einer Störung der weltweiten Logistikketten für die Margen der Unternehmen, einer Steigerung der Kosten für den Endverbraucher und einer Abschwächung des Welthandels hinzufügt. In diesem Umfeld fällt es schwer, ohne einen Deus ex Machina auf der geldpolitischen Bühne mit einer substanziellen Aufwertung der Aktienmärkte von ihren aktuellen Niveaus zu rechnen.

Haben die Zentralbanken noch die Kontrolle?

Die Märkte haben sich seit zehn Jahren daran gewöhnt, dass die Zentralbanken jede schlechte wirtschaftliche oder politische Nachricht mit einem geldpolitischen Zauberschlag in eine gute Nachricht für die Märkte verwandeln. Das Jahr 2018 hat deutlich gemacht, wie groß diese gefährliche Abhängigkeit der Märkte von diesem Füllhorn ist. Zudem basierte ihr Aufschwung in den ersten vier Monaten des Jahres 2019 erneut auf der Botschaft, dass die Fed darauf verzichtet hatte, sie von ihrer langjährigen Abhängigkeit zu entwöhnen.

Das Problem für die Märkte besteht darin, dass der vor zwei Jahren begonnene Zinserhöhungszyklus zwar unterbrochen wurde, die amerikanische Wirtschaft sich aber in diesem Jahr weiter verlangsamt. Gleichzeitig dauert die Bilanzverkürzung der Fed noch bis September an. Obwohl die Hoffnung auf niedrigere Zinsen die Robustheit der Märkte unterstützt und eine weitere Aufwertung des Dollars verhindert, sogar während des Marktrückgangs im Mai, sieht es in Wirklichkeit so aus, dass die heute effektiv betriebene Geldpolitik das amerikanische Wachstum trägt wie der Strick den Gehängten. Sie muss ihren Kurs deutlich anpassen, um die deflationären Auswirkungen der sich verhärtenden Handelsspannungen mit China auf ein bereits schwächelndes Wachstum einzudämmen. Dies gilt umso mehr, wenn die chinesische Währung deutlich abwerten sollte.

Das Risiko besteht also darin, dass der Druck der Märkte deutlich größer werden muss, bevor ein Kurswechsel der Geldpolitik die Lage hinreichend verändert. Die Handlungsspielräume der europäischen und der japanischen Zentralbank sind mittlerweile stark eingeschränkt. Das gilt insbesondere für die EZB. Von ihr werden wir im nächsten Monat erfahren, ob ihr neuer Präsident, der im Oktober die Nachfolge von Mario Draghi antreten wird, bei Bedarf ebenso flexibel und erfindungsreich ist wie sein Vorgänger.

Europa zwischen Hammer und Amboss

In diesem komplexen Umfeld befindet sich Europa in keiner starken Position. Neben der begrenzten geldpolitischen Unterstützung, die es sich erhoffen kann und die es im Falle eines „Währungskriegs“ zwischen China und den USA durch einen zu starken Euro belasten würde, ist Europa in mehreren Bereichen verwundbar. Dabei geht es kaum um den jüngsten Ausgang der Europawahlen. Einige der großen traditionellen Parteien verloren zwar deutlich an Zustimmung, insbesondere in Frankreich und in Großbritannien, doch das Interesse an Europa wurde eher bestärkt. Die relative Bedeutung der europafeindlichen Parteien hat sich gegenüber 2014 kaum verändert und die wachsende Interessengemeinschaft für ausgeprägtere Wachstumspolitiken dürfte eher auf Konsens stoßen als zuvor.

Die Schwierigkeit liegt woanders. Sie liegt zunächst im Reformprozess, der dauerhaft unterbrochen zu sein scheint. Auf lokaler Ebene haben mehrere europäische Länder, wie etwa Italien und Frankreich, keinen neuen haushaltspolitischen Spielraum aufgebaut, um die nächste Konjunkturschwäche abzufedern. Zudem ist auf Ebene der Union Macrons Projekt, ein europäisches Konjunkturbudget zu bilden, langfristig festgefahren.

Ein weiterer Punkt, der Europa verwundbar macht, ergibt sich aus der sehr passiven Haltung gegenüber der chinesisch-amerikanischen Rivalität. Denn hierdurch könnte es gleichermaßen unter sich verschlechternden weltweiten Wirtschaftsaussichten (die Konjunktur Europas ist eng mit der Dynamik des Welthandels verknüpft) und einem eventuellen und sei es noch so unsicheren Handelsabkommen zwischen China und den USA zu leiden haben, das auf dem Rücken Europas geschlossen würde.

Der wirtschaftliche und politische Zusammenhalt Europas sowie die Macht der europäischen Konzerne reichen derzeit nicht aus, um ihre Interessen in einer Welt zunehmender merkantilistischer Rivalitäten zu verteidigen. Wird es dem europäischen Automobilsektor gelingen, sich der Rolle des ersten verwundbaren Sühneopfers zu entziehen?

Auf den Märkten herrscht also Misstrauen und Disziplin – trotz der Reue der Finanzanalysten, die nach und nach zu ihrem übermäßigen Pessimismus vom Jahresbeginn zurückkehren, als sie ihre Schätzungen der Unternehmensergebnisse für 2019 zusammenstrichen. Deshalb haben wir in den vergangenen zwei Monaten an einer zurückhaltenden Anlagestrategie festgehalten und diese weiter verstärkt. Sie kommt in den Aktienportfolios durch moderate Exposures zum Ausdruck, die wenig konjunkturabhängige Wachstumswerte bevorzugen. Die Anleihenportfolios zeichnen sich durch relativ hohe Durationen und äußerst selektive Positionen in Unternehmensanleihen aus.


Über den Autor:
Didier Saint-Georges gehört dem Investmentkomittee des französischen Fondsanbieters Carmignac an. Er bekleidet außerdem die Position eines Managing Directors.

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