Chefvolkswirt Jörg Zeuner
Die Angst vor Inflation ist übertrieben
Jörg Zeuner ist Chefvolkswirt von Union Investment. Foto: Union Investment
Die Inflation steigt wie seit vielen Jahren nicht. Trotzdem sind die Ängste, die derzeit geschürt werden, überzogen. Ein Gastbeitrag von Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment.
Gerade in vielen Sektoren, in denen eine große Lücke zwischen Nachfrage und Angebot klafft, sehen wir ein besonders ausgeprägtes Hochfahren der Produktion. Somit ist es möglich, dass sich die momentane Lücke zwischen Nachfrage und Angebot auf vielen Märkten nicht nur langsam schließt, sondern im nächsten Jahr vorübergehend ins Gegenteil umkehrt. Das Seil könnte kurzzeitig wie beim Bungee über den Ruhepunkt hinaus schwingen, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß.
Langsam steigende Inflationsraten, verankert bei oder sogar unter 2 Prozent, erlauben es der Geldpolitik, gerade im Euroraum, noch eine ganze Weile locker zu bleiben. Die EZB wird weit über das Ende ihres Notfallankaufprogramms...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Gerade in vielen Sektoren, in denen eine große Lücke zwischen Nachfrage und Angebot klafft, sehen wir ein besonders ausgeprägtes Hochfahren der Produktion. Somit ist es möglich, dass sich die momentane Lücke zwischen Nachfrage und Angebot auf vielen Märkten nicht nur langsam schließt, sondern im nächsten Jahr vorübergehend ins Gegenteil umkehrt. Das Seil könnte kurzzeitig wie beim Bungee über den Ruhepunkt hinaus schwingen, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß.
Langsam steigende Inflationsraten, verankert bei oder sogar unter 2 Prozent, erlauben es der Geldpolitik, gerade im Euroraum, noch eine ganze Weile locker zu bleiben. Die EZB wird weit über das Ende ihres Notfallankaufprogramms (PEPP) im nächsten Jahr hinaus Nettoanleihekäufe tätigen. Ein erster Zinsschritt erscheint vor 2025 unwahrscheinlich. Dennoch dürfte sich das Nettoankaufvolumen der Wertpapiere durch die EZB im Jahr 2022 gegenüber dem Stand von 2021 auf 500 bis 600 Milliarden Euro halbieren.
Da aber das Volumen an neu ausgegebenen Anleihen ebenfalls deutlich sinken sollte, müsste sich der Anstieg der Anleiherenditen in Grenzen halten. Das EU-Wiederaufbauprogramm Next Generation EU (NGEU) sollte die Anleihemärkte, insbesondere die Spreads, zusätzlich stabilisieren, weil es den nationalen Finanzierungsbedarf teilweise auf die europäische Ebene verlagert. Das entlastet die Haushalte der Einzelstaaten und verringert das Risiko von Finanzierungsproblemen.
Für die Kapitalmärkte heißt das: Das Ende der Disinflation bedeutet kurz- und mittelfristig keine starken Renditesteigerungen, längerfristig aber leicht steigende Anleiherenditen, da die Teuerung sich auf einem moderat ansteigenden Pfad einpendeln dürfte. Anleger sind damit in Produkten mit Risikoprämie weiterhin gut aufgehoben.
Aktienseitig ist bereits viel von der Erholung der Konjunktur und der Unternehmensgewinne eingepreist. Bei einer Inflation zwischen einem bis 3 Prozent haben sich Aktien aber in der Vergangenheit besser entwickelt als bei geringeren oder höheren Raten. Viele Unternehmen besitzen dann eine gute Preissetzungsmacht und können sich über steigende Umsätze und Gewinne freuen. Inflationsraten um die 2 Prozent oder leicht darüber sowie ein Wirtschaftswachstum oberhalb des langfristigen Trends sprechen in den nächsten Jahren mittelfristig für weiter steigende Aktienkurse.
Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
Über den Autor