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Marc P. Seidner im Interview „Die Aussichten für Anleihen verbessern sich“

Marc P. Seidner
Marc P. Seidner: „Die jüngsten Bewegungen bei den Wirtschaftsdaten, der Geldpolitik und den Finanzmärkten haben Ausmaße angenommen wie seit Jahrzehnten nicht mehr.“ | Foto: Pimco

Herr Seidner, worauf müssen sich Anleiheanleger jetzt einstellen?

Marc P. Seidner: In Zeiten akuter Volatilität ist es hilfreich, die Finanzmärkte langfristig zu betrachten, nicht nur, um die jüngsten Ausschläge in den richtigen Kontext zu setzen, sondern auch, um sich auf das vorzubereiten, was kommen könnte.

Die jüngsten Bewegungen bei den Wirtschaftsdaten, der Geldpolitik und den Finanzmärkten haben Ausmaße angenommen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Inflation, gemessen am Verbraucherpreisindex (CPI), erreichte zuletzt mit 8,6 Prozent ein 40-Jahres-Hoch. Die Federal Reserve reagierte darauf mit der größten Zinserhöhung seit 1994. Der durchschnittliche Zinssatz für 30-jährige Hypotheken stieg laut Freddie Mac auf den höchsten Stand seit 2008 und verzeichnete damit den größten wöchentlichen Anstieg seit 1987. Die wichtigsten Aktienindizes sind in einen Bärenmarkt gefallen und liegen mehr als 20 Prozent unter ihren jüngsten Höchstständen, während Anleihen den mit Abstand schlechtesten Start in ein Jahr aller Zeiten erlebt haben.

Selbst sorgfältigst diversifizierte Portfolios sind unter Wasser…

Seidner: Und es gibt keine Garantie, dass ein Ende in Sicht ist. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die aktuellen Verluste – wie bei früheren steilen Marktrückgängen – die Bewertungen wieder auf ein Niveau bringen, das sich für langfristig orientierte Anleger als attraktiv erweisen kann, wobei sich auch die potenziellen Diversifizierungsvorteile verbessern. Auf der Grundlage der jüngsten Anzeichen dafür, wohin sich die Wirtschaft entwickeln könnte, sind wir der Ansicht, dass die Anlageaussichten konstruktiver geworden sind, insbesondere für Anleihen.

Die Fed bekämpft die Inflation, aber zu einem hohen Preis, oder?

Seidner: Die Finanzanlagen und die Wirtschaft geraten unter Druck, da die US-Notenbank in ihrem Bestreben, die Inflation zu bekämpfen, die finanziellen Bedingungen verschärft. Auch die Verbraucher bekommen die Auswirkungen der höheren Inflation zu spüren. Den Daten des Handelsministeriums zufolge sanken die Einzelhandelsumsätze im Mai um 0,3 Prozent. Das Verbrauchervertrauen ist laut einer Umfrage der Universität Michigan im Mai auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gesunken. Der Anstieg der Hypothekenzinsen hat zu einer Verlangsamung der Verkäufe bestehender Häuser und der Baubeginne geführt.

Infolgedessen steigt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession?

Seidner: Mit Stand vom 16. Juni schätzt das GDPNow-Tool der Federal Reserve Bank of Atlanta, dass die US-Wirtschaft im zweiten Quartal 2022 kein Wachstum aufweisen wird. Und die jüngste Verlangsamung des Wachstums spiegelt wahrscheinlich noch nicht das volle Ausmaß der bisherigen Straffung wider, da die Verschärfung der finanziellen Bedingungen und das langsamere Wachstum in der Regel mit einer gewissen Verzögerung eintreten.

Wie entwickeln sich denn Anleihen in der Regel in einer Rezession?

Seidner: Anleihen entwickeln sich in Rezessionsphasen in der Regel gut, und wenn es der Fed gelingt, die Inflation zu senken, könnte dies ein noch besseres Umfeld für festverzinsliche Anlagen schaffen.

Einer der besten Indikatoren für die künftige Rendite von Anleihen ist die Anfangsrendite. Der sprunghafte Anstieg der Renditen seit Anfang 2022 – die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen ist von 1,63 Prozent auf 3,25 Prozent gestiegen – hat zu beispiellosen Kursverlusten bei bestehenden Anleihen geführt. Dies hat jedoch auch eine bessere Ausgangsbasis für neue Anlagen geschaffen, sowohl im Hinblick auf potenzielle Erträge als auch auf Diversifizierungsmerkmale – zwei der Hauptgründe, warum Anleger den Besitz von Anleihen schätzen.

Die Renditen von Staatsanleihen sind teilweise als Reaktion auf die Erwartung von Leitzinserhöhungen der Fed gestiegen. Als die Fed am 15. Juni ihren Leitzins um 75 Basispunkte anhob, korrigierte die Fed auch ihre mittleren Prognosen für diesen Zinssatz auf 3,8 Prozent im nächsten Jahr nach oben.

Was bedeutet das?

Seidner: Der Fed-Chef Jerome Powell wies darauf hin, dass der langfristige neutrale Zinssatz immer noch relativ niedrig ist. Er liegt nach Fed-Schätzungen um 2 Prozent, was auch mit den Einschätzungen von PIMCO übereinstimmt. Dies deutet darauf hin, dass die Fed einen restriktiven geldpolitischen Straffungszyklus verfolgt, und die Projektionen deuten darauf hin, dass die Mitglieder des Fed-Offenmarktausschusses einhellig der Meinung sind, dass der Leitzins über den neutralen Wert hinaus ansteigen muss, trotz der Kosten eines langsameren Wachstums.

Als die Fed 1994 das letzte Mal die Zinssätze um 75 Basispunkte auf einmal anhob, kämpfte sie mit Inflationsängsten, die sich jedoch nie vollständig bewahrheiteten. Damals begann die Fed ihren Zinserhöhungszyklus langsam und beschleunigte ihn, wobei die Anleiherenditen vor der letzten Anhebung einen Höchststand erreichten.

Diesmal geht die Fed schon früh aggressiver vor…

Seidner: …sodass die Möglichkeit besteht, dass die Renditen ihren Höchststand erreichen, bevor die Fed ihr endgültiges Leitzinsziel erreicht hat.

Bei einer Rendite von 3,25 Prozent für 10-jährige US-Staatsanleihen könnten Treasuries positive reale Renditen bieten – in einem vergleichsweise sicheren und liquiden Vermögenswert – , solange Sie davon ausgehen, dass die Fed die Inflation auch nur annähernd auf ihr Zielniveau zurückführen kann. Es gibt relativ defensive Bereiche der festverzinslichen Märkte, die jetzt so attraktive Renditen bieten wie schon lange nicht mehr. Das hat dazu beigetragen, sowohl das Ertragspotenzial als auch die Fehlertoleranz der Anleger zu erhöhen.

Die vielen Unsicherheiten an den Finanzmärkten könnten Anleiheanlegern allerdings einen Strich durch die Rechnung machen, oder?

Seidner: Die letzten Monate haben an allen Ecken und Enden der Finanzmärkte für Unruhe gesorgt, da die Anleger mit anhaltender Inflation und geopolitischen Spannungen konfrontiert sind. Es herrscht Ungewissheit darüber, wann sich die Marktdynamik schließlich umkehren könnte.

In der langen Geschichte der Finanzmärkte gab es immer wieder Ausschläge, die ähnlich schmerzhaft waren wie der, den die Anleger in diesem Jahr erleben. Wie in der Vergangenheit können diese Rückgänge indes dazu beitragen, die Bewertungen von Vermögenswerten zu korrigieren und die Weichen für bessere Zeiten zu stellen.

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