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Krise um Die Bayerische: Wenn das Reinheitsgebot verwässert

Das „bayerische Reinheitsgebot“ von 1516 gilt als das älteste Lebensmittelgesetz der Welt. Ein weltweiter Erfolgsschlager, der besagt, dass nur Wasser, Hopfen und Gerste ungetrübten Biergenuss bedeuten. Streng genommen ist diese weitverbreitete Behauptung eher eine Marketingaussage der bayerischen Brauereiwirtschaft. Das Reinheitsgebot garantiert weder ein bestimmtes Verfahren, noch Reinheit. So erlaubt das vor 30 Jahren verabschiedete Biersteuergesetz die Verwendung eines Lebensmittelzusatzstoffes zur Schönung des Bieres, der später abgefiltert wird. Weil das Reinheitsgebot als teutonisches Kulturgut solcher Einwände aber trotzt und als Qualitätsversprechen gilt, holt sich jeder Nachahmer, der gegen sein eigenes Reinheitsgebot verstößt, garantiert mehr als ein (hell)-blaues Auge.
Nachahmer des Reinheitsgebots
Das erlebt derzeit die Versicherungsgruppe Die Bayerische. Der Traditionsversicherer wirbt in Landesfarben (hellblau), dem bajuwarischen Löwen und dem Slogan: „Versichert nach dem Reinheitsgebot“. Das Unternehmen selbst spricht davon, das historische Reinheitsgebot für sich neu interpretiert zu haben: „Unsere Kunden sollen sich auf die Qualität unserer Angebote, der Services und der persönlichen Beratung verlassen können.“
Doch dass die Bayerische die Messlatte in Sachen urdeutsches Reinheitsgebot so hoch gehangen hat, erweist sich dieser Tage eher als Bumerang. Denn der Umgang des Versicherers mit einem fragwürdigen Vertriebspartner hat mit dem Versprechen des Reinheitsgebots so wenig zu tun wie modern abgefülltes Bier mit mittelalterlicher Braukunst.
Der schnelle Weg in die Ausschließlichkeit der Bayerischen
Zu Erinnerung: Seit Frühjahr 2023 tummelt sich am Markt ein neuer Finanzdienstleister mit dem Namen Fairmögenskonzepte Deutschland GmbH (FKD), wohl hervorgegangen aus einer größeren Gruppe von Mitarbeitern der Barmenia-Tochter Impact und dem dortigen Agenturinhaber Ömür Turhan. Sie fanden mit der Bayerischen beziehungsweise deren Tochterfirma Compexx Finanz AG schnell einen neuen Partner. Deren Geschäftsführer Markus Brochenberger stieg als Co-Geschäftsführer bei der FKD ein. Compexx übernahm das Backoffice, die Bayerische nach eigenem Bekunden die Haftung und die Ausbildung der Vermittler. Die FKD als Ausschließlichkeitsorganisation der Bayrischen war geboren.
Fragwürdige Personen und Konstruktion von Anfang an
Dass bei diesem kleinen Finanzvertrieb, der nach eigener Aussage ganz Deutschland erobern will, aber nicht alles ganz lupenrein zugeht, das hätte die Bayerische schon deutlich früher als nach dem Aufkommen der Vorwürfe im November wissen können.
Die Liste der Merkwürdigkeiten ist lang: So ist ein Bruder des als Inhaber in sozialen Medien, bei Firmenveranstaltungen und Sponsorenterminen auftretenden Ömür Turhan tatsächlicher Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der FKD, die Geschäftsadresse ist ein Wohnhaus in einem Neubaugebiet in Witten, in dem zahlreiche weitere Firmen logieren, das Unternehmen wurde ohne Hinweis auf die Versicherungsvermittlung im Handelsregister eingetragen, es gibt einen Mitgesellschafter, der für den Maklerberuf Werbung macht und gerne mit vorbestraften Gangster-Rappern posiert und einen ehemaligen Getreuen von Mehmet Göker zumindest zwischenzeitlich in der Rolle eines Vertriebsdirektors.
Der stete Verweis darauf, dass die FKD als Unternehmen eigenständig ist, reicht hier meiner Meinung nach nicht aus. Zumal die FKD diese Abgrenzung selbst nicht vornimmt, vielmehr keine Möglichkeit auslässt, ihre enge Verbindung zur Bayerischen zu betonen. Seien es Imagefilme für Produkte des Versicherers auf Profilseiten von FKD-Mitarbeitern oder die Verwendung des blauen Löwens im Umfeld eigener Veranstaltungen.
FKD feiert, als wäre nichts gewesen
Noch im Dezember, wenige Tage bevor DAS INVESTMENT das enge Beziehungsgeflecht aufdeckte, schafften es das FKD-, Bayrische- und Compexx-Firmenlogo sogar gemeinsam auf ein Plakat bei einer Galaveranstaltung. Davor posierten die Brüder Turhan. Von mutmaßlich dieser Veranstaltung gibt es ein Video, bei dem man Angeblich-Chef Ömür Turhan auf der Bühne neben Pop-Sternchen Loona zum Lied „Vamos a la Playa“ tanzen sieht, auf den Tischen der feiernden Gäste stehen Champagnerflaschen. Solche Bilder sind fatal, auch für die Bayerische. Solange ihr Vertriebspartner weiter auf dicke Hose macht, wird kaum einer den jetzt bekundeten Aufklärungsversprechen glauben.
Mitarbeitergewinnung der etwas anderen Art
Ähnlich unpassende Bilder produzierte die FKD in einem mittlerweile gelöschten Video über eines ihrer sogenannten „Starterseminare“, die offensichtlich der Rekrutierung branchenfremder Personen als neue Mitarbeiter dienen. Bemerkenswert ist dabei, wie homogen die Teilnehmergruppe betreffs Alter Herkunft und Stil bei dieser Art von Veranstaltungen zu sein scheint. Man sieht Referenten, die vor allem durch Geschrei oder sinnentleerte Motivationssprüche auffallen. Das konnte Leonardo DiCaprio in „Wolf of Wall Street“ deutlich besser.
Während der peinlichen Posse ist das Unternehmenssymbol der Bayrischen ständig zu sehen. Ein Plakat ziert zudem den Schriftzug: „FKD sucht den Superstar“. Klar ist aus meiner Sicht: Hier werden Quereinsteiger als Verkäufer gesucht, nicht als Finanzexperten. Das zeigen auch die Jobanzeigen auf bekannten Stellenportalen, die bis heute online sind. Fachliche Vorkenntnisse irgendeiner Art oder gar einen bestimmten Schulabschluss braucht es für den dort gesuchten FKD-Finanzberater nicht.
Rückfall in dunkle Zeiten des Strukturvertriebs
Wie „Strukturvertrieb, Agenturvertrieb und Unabhängigkeit in einem“, so das FKD-Versprechen einer Jobanzeige, in der Praxis funktioneren soll, möchte man dann schon gar nicht mehr wissen. Ebenso irritierend ist, dass neben hohen Provisionen mit einem Car Bonus, Weiterbildungen in luxuriösen Hotels und geschenkten Reisen für Spitzenleistungen geworben wird. Man kommt beim Lesen nicht umhin, an den Klassiker aller Verfehlungen der Versicherungsbranche zu denken. Ergo, Budapest, Sie wissen schon. Jedenfalls erinnert fast alles an diesem Finanzvertrieb an Zeiten, die die Branche lange hinter sich wähnte.
In Summe sind das zu viele Auffälligkeiten, die nicht alle übersehen werden konnten. Somit kann es nur das Urteil geben: Die Bayerische hat weggesehen oder sie wollte wegsehen.
Bayerische hat viel zu lange weggesehen
Dafür spricht auch die Reaktion des Produktanbieters in Person ihres Vertriebsleiters Buddecke nach Aufkommen der Vorwürfe bei Facebook gegen Konstrukt, Auftreten und Geschäftspraktiken der FKD vor einigen Wochen. Hierbei ging es vor allem um den wohl schwerwiegendsten Vorwurf, die Betätigung zahlreicher Personen ohne Vermittlerregistrierung im Namen der FKD im Versicherungsgeschäft.
Die Ankündigung, alle Vorwürfe zu prüfen, die Bitte um Geduld und der Hinweis auf die FKD als sehr schnell wachsendes Start-up klangen, als hätten Buddecke und die Bayerische von den Zuständen zum ersten Mal gehört. Daher muss man unterstellen, dass der sonst so solide Versicherer sich fast ein halbes Jahr lang nicht mit der FKD beschäftigt hat.
Das hätte er aber besser getan.
Ausreden statt Erklärungen
Denn so nahm die Bayerische tatenlos hin, dass in zahllosen Social-Media-Posts die FKD das klischeebeladene Bild eines Strukturvertriebs, der schnellen Erfolg und Reichtum verspricht, bedient. Die privaten Einblicke, die Vertreter gewähren, erweisen sich hierbei als geradezu verräterisch. Der Hinweis des Versicherers, dass es noch keine Kundenbeschwerden im Zusammenhang mit dem Vertriebspartner aus Witten gegeben habe und dass die Bayrische im Vertriebsansatz liberal sei, ist dabei völlig unzureichend.
Wer keine Registrierung hat, hat auch seine Sachkunde nicht nachgewiesen. Qualitativ hochwertige Beratung kann es unter diesen Voraussetzungen gar nicht geben. Dass das schnelle Wachstum und forsche Auftreten seitens der FKD ursächlich für die entstandenen Probleme sei, beschönigt die Realität.
Die ehrliche Antwort wäre gewesen, dass Kontrolle versagt oder gar nicht erst stattgefunden hat.
Doppelrolle von Bayerische-Vertrautem widerspricht versuchter Abgrenzung
Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch die Nibelungentreue der Bayerischen zu FKD-Geschäftsführer Brochenberger. Dieser räumte auf Anfrage selbst ein, dass es in der Verantwortung der Geschäftsführung liege, die Qualität der angeschlossenen Berater mit ihrer Registrierung sicherzustellen. Als Vorstand des Finanzvertriebs Compexx, den die Bayerischen schon im Jahr 2014 übernommen hat und bei dem Bayerische-Vorstand Martin Gräfer Aufsichtsratsvorsitzender ist, kennt er die Vorgaben des Versicherers genau. Durch die Doppelfunktion von Brochenberger ist die direkte Verbindung der Bayerischen zur FKD zementiert. Wenn die Bayerische Schaden minimieren will, kann es eine Fortführung in dieser Konstellation nicht geben.
Aufklärung erst am Anfang
Immerhin: Manche Fehler sind bereits korrigiert worden, wie der ungenügende Handelsregistereintrag. Auch wurden Vermittler ohne entsprechende Zulassung aus der Ausschließlichkeit der Bayrischen genommen, unklar ist nur wie viele. FKD-Partner, die die Formulierung „unabhängig“ verwendeten, wurden abgemahnt und um Unterlassung gebeten.
So eine Reaktion und ein Umgang mit Vorwürfen ist vonseiten größerer Unternehmen nicht selbstverständlich. Selbst die Kritiker äußerten ein zartes Lob.
Wo bleibt die neue Homepage?
Dennoch sind weiterhin zu viele Vermittler ohne Registrierung unterwegs, die der Bayrischen auch mittlerweile bekannt sein müssten und die sich auf Social Media weiter als Teil der angeblich rasant wachsenden FKD-Familie feiern. Sie posten zum Beispiel Bilder riesiger Personengruppen vor einem Plakat mit blauem Löwen und schreiben dazu: „Das Jahr 2024 werden wir komplett zerlegen.“
Nach Neuanfang klingt das nicht.
Gänzlich unverständlich ist, wieso die von der Bayerischen angekündigte neue FKD-Homepage nach über einem Monat noch immer nicht online ist. Solange dies der Fall ist, haben Endkunden keine Möglichkeit, sich online über das Unternehmen zu informieren. Das ist das Gegenteil von Transparenz. Es wäre besser gewesen, die Geschäftstätigkeit bis zur finalen Aufklärung und Neuaufstellung stillzulegen.
Bisher keine echte Verantwortungsübernahme
Offen bleibt bei allem auch, ob die Aufklärung im Verständnis der Bayerischen ausreicht und wann sie überhaupt beendet sein soll. Die vielen seriösen und engagierten Vermittler, die ich kenne, haben die Faxen dicke von „Strukki-Buden“ wie der FKD. So zumindest ihre Wortwahl.
Sie erwarten mehr als das, was die Bayerische jetzt angekündigt hat. Als entscheidendes Problem sehe ich, dass der Konzern zwar mit aller Macht aufklären will, eigene Versäumnisse aber nicht benennt. Es fehlt jegliche Form des Bedauerns, geschweige denn einer Entschuldigung gegenüber Kunden und sonstigen Vertriebspartnern. Wer übernimmt hier überhaupt Verantwortung? Diese Frage ist bisher unbeantwortet.
Schlechtes Branchenimage ist so kein Wunder
Die Frage nach Verantwortung ist auch deshalb so wichtig, weil die Branche mehr denn je unter ihrem schlechten Image leidet. So sind die deutschen Versicherer ein stückweit auch eine Interessengemeinschaft, die unseriöse Vertriebspraktiken im Verbund bekämpfen muss. Denn die Erfahrung zeigt: Was der eine falsch macht, bleibt an allen hängen. Ärgerlich ist das Ganze auch unter dem Aspekt der zuletzt scharfen Kritik der gesamten Branche an oberflächlicher und inhaltlich falscher medialer Berichterstattung.
Denn wie der Bayerische-Fall zeigt, sind manche Probleme durchaus hausgemacht und man wäre gut beraten, hier zuerst anzusetzen. Auch scheint es durchaus Themen zu geben, wo die ständig verteufelte Regulatorik nachgeschärft werden könnte. Zum Beispiel bei der Tatsache, dass fehlende Eintragungen im Vermittlerregister nur eine Ordnungswidrigkeit darstellen.
Mehr als unglückliche Öffentlichkeitsarbeit
Die Bayerische tut sich mit der Aufarbeitung derweil schwer. Dass die Bedeutung der Thematik noch nicht in allen Bereichen der Unternehmenszentrale in München angekommen zu sein scheint, zeigt ein Blick auf das Facebook-Profil von Vertriebsleiter Buddecke. Der setzte in sein Profilbild den Text: Urlaub bis „8.1.2024“.
So ein Posting von jemanden, der sich selbst an die Spitze der Aufklärungsarbeit stellt und kurz zuvor noch sagte, dass man diesbezüglich „jetzt“ noch mal deutlich anziehen wolle, ist zumindest ein PR-Fauxpas. Die Bayerische sollte akzeptieren, dass den meisten Branchenangehörigen die Umsetzung der Aufklärungsversprechen schon jetzt viel zu lange dauert. Egal, was tatsächlich über die Feiertage und das neue Jahr in München passiert, schon der Eindruck, man mache erst mal Weihnachtspause, darf gar nicht erst entstehen.
Ohnehin erweist sich das Auftreten von Buddecke, diplomatisch ausgedrückt, als suboptimal. In einer Weihnachtsansprache brachte er seinen Wunsch zum Ausdruck, den Blick im Jahr 2024 auf die positiven Dinge zu lenken. Man kann nur vermuten, dass dies eine Anspielung auf die Medienberichte und Diskussion zur FKD-Kontroverse sind. Von den Krisen dieser Welt sprach er jedenfalls nicht. Dass der Bayerische-Manager tatsächlich wenig begeistert war vom FKD-Trubel, ist indes keine Vermutung. In einer Diskussion bei Facebook fiel von ihm relativ zeitgleich der Begriff „Hetzkampagne“.
Dass man mit der Verwendung solcher Begriffe keine Punkte in der Öffentlichkeit macht, haben schon ganz andere Personen erfahren müssen.
Wann schaltet sich der Vorstand der Bayerischen ein?
Das Thema gehört nach meinem Verständnis in den Konzernvorstand. Natürlich ist davon auszugehen, dass sich dieser hinter verschlossenen Türen mit der FKD-Frage intensiv beschäftigt. Nach außen hörte man bislang jedoch nichts von den Herren Schneidemann, Gräfer und Heigl. Ich hätte das längst erwartet. Ob die drei Männer gerne Bier trinken, weiß ich nicht. In jedem Fall sollten sie sich vor dem nächsten Schluck dringend um ihr eigenes Reinheitsgebot kümmern.