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„Die EU entwickelt sich von der Union hin zu einem Club“ Sal. Oppenheim-Volkswirte über die Brexit-Folgen

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3. Längerfristige Perspektive:

Entscheidend wird längerfristig sein, wie die Austrittsverhandlungen mit der EU laufen. Durch den Rücktritt Camerons ist die Unsicherheit insofern gestiegen, als dass nun die britische Seite mit einer neue Spitze, die noch nicht in der EU vernetzt ist, in die Verhandlungen geht. Seitens der EU erwarten wir kein übermäßiges Entgegenkommen für Großbritannien, aber auch keine übermäßige Konfrontation. Einerseits wird die EU Nachahmereffekten vorbeugen wollen. Sie hat zudem bereits in Verhandlungen mit der Schweiz gezeigt, dass sie sich ihrer Marktmacht durchaus bewusst ist. Andererseits werden beide Parteien auf politischer Ebene weiterhin zusammen arbeiten müssen.

In der Summe dürfte es darauf hinauslaufen, dass Großbritannien ähnlich wie die Schweiz über eine Vielzahl von Einzelverträgen bilateral mit der EU verbunden wird. Dies hat den Nachteil, dass neue Gesetze einzeln nachverhandelt werden müssen. Zudem leistet die Schweiz Zahlungen an den EU-Haushalt und hat der Arbeitnehmerfreizügigkeit zugestimmt. Schaut man sich die Motivation für den Brexit an, ist kaum vorstellbar, dass Großbritannien derartige Zugeständnisse machen wird. Demensprechend dürften die schwierigen Verhandlungen ein Dauerthema werden, das immer wieder auf die Stimmung drücken wird.

Auch für die längerfristige Perspektive gibt es Schätzungen des britischen Schatzamts über die Höhe der wirtschaftlichen Einbußen. Das Schatzamt kalkuliert, dass das britische BIP 15 Jahre nach dem Austritt im Falle einer bilateralen Anbindung an die EU (ähnlich der Schweiz) rund 6,2 Prozent niedriger ausfallen wird als unter Beibehaltung des jetzigen Status Quo. Dies kommt einem Rückgang des Haushaltseinkommens um 10 Prozent gleich, ein spürbarer Einschnitt. Auch andere Quellen wie zum Beispiel die OECD gehen von drastischen Einbußen für die britische Wirtschaft aus. Die wirtschaftlichen Konsequenzen für Großbritannien sind damit auch in der langen Frist eindeutig negativ.

4. Verhalten der Zentralbank(en):


Die Bank of England steht Gewehr bei Fuß. Sie hat bereits liquide Mittel zur Geldversorgung der Finanzbranche bereitgestellt und wird dies auch in den kommenden Wochen tun. Notenbankchef Carney kündigte an, dass prinzipiell 250 Milliarden Pfund (circa 310 Milliarden Euro) zur Verfügung stehen. Diese große Summe soll die Märkte beruhigen. Die in der Finanzkrise aufgelegten internationalen Swap-Abkommen der großen Notenbanken sind noch immer in Kraft. Darüber können die großen Notenbanken ihren Finanzsystemen bei Bedarf auch andere Währungen zur Verfügung stellen. Sollte die Rezession sehr tief ausfallen, ist eine erneute Ausweitung des britischen Anleiheankaufprogramms denkbar, um die Rentenmärkte zu stützen. Lockerungen der Leitzinsen sehen wir vor allem deswegen eher nicht, weil die schwache Währung einen höheren Inflationsdruck nach sich ziehen wird, was gegen Zinssenkungen spricht.

International gesehen wird der Brexit dazu führen, dass die Fed ihre nächste Zinserhöhung solange aufschiebt, bis Ruhe an den Märkten eingekehrt ist. Sie wird ebenso wie die EZB und die Bank of Japan für ausreichende Liquidität sorgen. In der EU gilt die Sorge der EZB vor allem der Entwicklung in der Peripherie. Dabei wären höhere monatliche Ankäufe von Staatsanleihen im Rahmen der „Marktpflege“ möglich. Dies wäre keine Änderung des Anleihekaufprogramms. Die Notwendigkeit einer konzertierten Lockerungsaktion aller großen Zentralbanken sehen wir nicht.

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