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Die ganze Welt der Haftungsdächer

Quelle: Fotolia
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Sie sind viele, und es werden immer mehr. Derzeit sind bei rund 180 Haftungsdächern rund 50.000 sogenannte Tied Agents (gebundene Agenten) gelistet. Nachdem die Finanzmarktrichtlinie Mifid den Vertrieb von Kapitalanlagen aus dem Investmentbereich reguliert hat, sind immer mehr Haftungsdächer mit unterschiedlichen Konzepten aufgelegt worden. Doch längst nicht jedes Haftungsdach steht unabhängigen Beratern offen. Das Gros der Anbindungen entfällt auf Banken und Versicherungen, die ausschließlich ihre eigenen Vertreter beziehungsweise diejenigen verbundener Vertriebskanäle unter den Schutzschirm des Haftungsdachs nehmen. Diese vermitteln meist nur Produkte des eigenen Hauses und sind in der Wahl der Depotbanken begrenzt – insbesondere,  wenn sie selbst einer Bank angehören. Allein 60 Prozent der 50.000 Anbindungen gehen auf das Konto der Dresdner Bank, die dort ausschließlich Vertreter der ehemaligen Konzernmutter Allianz listet. Auch der Finanzvertrieb MLP, ebenfalls in Besitz einer Banklizenz, nimmt schrittweise nur die eigenen Berater unter den Haftungsschirm. Experten schätzen, dass maximal ein Zehntel, also rund 5.000 der angebundenen Vermittler, aus dem freien Finanzvertrieb kommen. Um diese werben Pools,  Finanzdienstleistungsinstitute und Vermögensverwalter mit diversen Haftungsdach-Lösungen. >> Grafik vergrößern So gibt es zum Beispiel Unternehmen, die rein absatzorientiert sind. Sie legen eigene Produkte auf und müssen möglichst viele Berater anschließen, um rentabel zu sein. Andere bieten eine umfangreichere Produktpalette, mitunter auch Portfolioverwaltung – und setzen dafür höhere Qualifikationsstandards voraus. Allerdings operieren viele Haftungsdächer längst nicht voll ausgelastet, die Statistik (siehe Kuchengrafik) zeigt, dass 70 Prozent lediglich bis zu fünf Anbindungen unterhalten. Nur ein Achtel besitzt derzeit mehr als 25 Tied Agents. Aber Vorsicht: Die Zahl der Anbindungen gibt keine Auskunft über den Erfolg eines Haftungsdachs. Und valide Umsatzzahlen und Volumina liegen nur von wenigen Marktteilnehmern vor, die meisten Anbieter halten sich bei den Geschäftszahlen bedeckt. Im Segment der Unabhängigen wächst der Markt am schnellsten. Beispiele: BN & Partners spricht von einer Verdopplung des 2008 verwalteten Volumens auf 400 Millionen Euro, Jung DMS & Cie. steht bei 550 Millionen Euro (plus 65 Prozent gegenüber 2007), und NFS Netfonds Financial Service meldet zum Jahresende 2008 rund 600 Millionen Euro an Beständen (plus 25 Prozent). Von einer Konsolidierung im großen Stil kann also noch nicht gesprochen werden, aber es kam bereits zum Rückzug: Im Mai 2008 schloss die Hesse Newman Finanz  Partner, die den Vertrieb für die Privatbank Hesse Newman und für Rothmann & Cie. organisierte, ihr Haftungsdach über Nacht. Mehr als 100 Berater brauchten eine neue Anbindung. Hoher Aufwand Der administrative Aufwand ist für Haftungsdächer erheblich, eine Mindestgröße zwingend erforderlich: „Wir haben zehn Mitarbeiter, für Provisionsabrechnung, Buchhaltung, Betreuung der Agenten sowie einen Compliance Officer, der die Abläufe überwacht”, so NFS-Prokurist Martin Steinmeyer, der 115 Berater angebunden hat. Das heißt: Mal eben ein Haftungsdach für den eigenen Vertrieb auflegen ist schwierig: „Irgendwann hinterfragt der Wirtschaftsprüfer das Modell und fragt nach Plausibilität und Dokumentation”, meint Felix Brem, Vorstand von BN & Partners. Insbesondere das Ordersystem und das Controlling erforderten hohen Aufwand. Weitere Haftungsdach-Schieflagen würden Brem deshalb nicht überraschen. Service und Auswahl sind auf jeden Fall das A und O für Haftungsdächer. So wirbt die Efonds-Gruppe seit kurzem damit, „die erste vollelektronische Lösung für die Mifid-konforme Anlageberatung und den Vertrieb sämtlicher Wertpapiere entwickelt zu haben”, berichtet Vorstandschef Alexander Betz, der den freien Berater sowie qualifizierte Banker als Zielgruppe nennt. Ein Alleinstellungsmerkmal sieht Betz in der Plattform, die über Schnittstellen mit den Depotbanken Augsburger Aktienbank (AAB) und Cortal Consors verfügt. Orders können so in Echtzeit abgewickelt werden.  Für Betz ein wichtiger Punkt ist die Frage, wem die Kundenbestände bei einer Trennung gehören. „Der Berater nimmt seine Kunden im Falle einer Beendigung der Zusammenarbeit mit Efonds einfach wieder mit”, so Betz. Noch konnte Efonds mit 28 relativ wenige Berater an das Ende 2007 unter dem bereits wieder abgelegten Namen Tectavis gestartete Haftungsdach anbinden. Das Ziel bis Jahresende: rund 200 Partner. Derivate und  Vermögensverwaltung sind noch nicht im Angebot der Gruppe. VSH nicht mehr Pflicht Was passiert beim Haftungsfall? Kleinere Probleme, wenn eine vom Anleger per Fax geschickte Order beim Berater liegen bleibt und mit Verlust verspätet ausgeführt wird, sind nicht allzu dramatisch. Derartiges wird meist kulant geregelt (siehe Schaubild). Noch aber waren in Deutschland keine großen Haftungsfälle vor Gericht – und längst nicht jedes Haftungsdach besteht auf einer seit der Mifid-Umsetzung nicht mehr obligatorischen  Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (VSH). >> Grafik vergrößern So weist die Jung DMS & Cie (JDC), die ein Haftungsdach über einen Poolvertrag mit ihrer österreichischen Unternehmenstochter anbietet, ihre Berater darauf hin, dass reguläre VSH-Policen die Risiken Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nicht abdecken. Für 144 Euro im Jahr empfiehlt JDC eine VSH-Zusatzversicherung für Fahrlässigkeit. Eine Rückvergütung der Prämie erfolgt, falls das Neugeschäftsvolumen bei Zertifikaten über 100.000 Euro liegt. Versicherungsvermittlern, die bereits eine Pflicht-VSH haben, rät JDC den Einschluss des Bereichs Finanzdienstleistung mit einer Versicherungssumme von 250.000 Euro je Verstoß. „Unser VSH-Versicherer verzichtet gänzlich auf die Regressnahme beim Berater”, betont Steinmeyer. NFS schließe zudem über die VSH hinaus auch eine Vertrauensschaden-Versicherung mit ab. Diese schützt den Kunden vor Schäden, die infolge vorsätzlicher unerlaubter Handlungen wie Unterschlagung, Untreue, Diebstahl oder Betrug entstehen können. Das hat seinen Preis: Policen für angebundene Agenten kosten bei NFS für eine Einzelperson in der Basisvariante (eingeschränktes Produktuniversum) 90 Euro. In der Profi-Variante (rund 30 Prozent der 115 bei NFS gebundenen Agenten) sind es monatlich 150 Euro. Braucht jeder ein Haftungsdach? Klar ist: Nicht jeder Vermittler braucht ein Haftungsdach. Doch kann es sich ein guter Berater mit dem Anspruch der umfassenden, lebensbegleitenden Finanzplanung erlauben, auf  Produkte wie Zertifikate, Anleihen und Einzelaktien zu verzichten? In der Praxis kommt es zudem zu Grenzfällen, etwa wenn ein Berater im Fondsportfolio des Kunden Klumpenrisiken entdeckt und über Einzeltitel sprechen müsste, was laut Definition zur Anlageberatung zählt. „Wenn der Kunde eine Aussage zu Einzeltiteln in seinem Depot haben möchte oder konkret nach Zertifikaten fragt, müsste man ihn zu einer Bank schicken”, sagt Franz-Josef Rosemeyer, Vorstand der ASI Wirtschaftsberatung (130 Berater, 75.000 Kunden), einer Tochter des Gothaer-Konzerns. ASI plant eine Lösung über eine Kooperation mit Cortal Consors. Diese sieht vor, ASI-Kunden direkt zu einem Wertpapier-Spezialisten der Bank weiterzuvermitteln, der sie zu Wertpapieren wie etwa Aktien und Zertifikaten berät. So erhält sich der Vertrieb Bestandskunden und kann ihnen über die Kooperation mit Cortal Consors das komplette Leistungsspektrum einer Vollbank anbieten. Rosemeyer: „Damit entfallen zusätzliche Einschränkungen und Gebühren, die ein Haftungsdach mit sich bringt.” Auch für strukturierte Vertriebe Ein anderes Modell: BN & Partners bindet über Outsourcing-Verträge auch Berater anderer Unternehmen an. „Wir stellen IT und Abwicklung, fungieren quasi als Pool-Dienstleister für andere”, so Brem. Der Partner kann in diesem Fall mit der bereitgestellten Infrastruktur unter eigenem Namen ein Haftungsdach anbieten. In Kürze werden bis zu 25 Finanzplaner eines Nürnberger Vermögensverwalters angebunden, der nicht über Technologie und Administration verfügt. BN & Partners ist zudem seit Anfang des Jahres mit einem Premium-Haftungsdach für Vermögensverwalter ab Volumen von 30 Millionen Euro am Start. Efonds Finance zielt mit einer offenen Produktarchitektur auch auf die Anbindung mehrstufiger Vertriebsorganisationen ab. „Diese befürchten, bei einem eher vertriebsorientierten Haftungsdach mit eingeschränkter Produktwahl ihre Identität zu verlieren”, glaubt Betz. Das sei auch der Grund, warum das Image der Haftungsdächer im Vertrieb bislang vielerorts noch eher kritisch gesehen werde. In einem besteht Konsens: Die Bedeutung der Haftungsdächer wird nach Einschätzung der Branche weiter zunehmen, die Konkurrenz auch. Kurz vor Weihnachten 2008 gab Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) eine Studie zur Beratungsqualität heraus (DAS INVESTMENT.com berichtete hier). Diese empfiehlt etwa, die Ausnahmeregelung für Investmentfonds zu streichen. Auch die unregulierten geschlossenen Fonds sollten unter staatliche Kontrolle kommen. Marktbereinigung steht an „Die Professionalisierung wird kommen”, so NFS-Mann Steinmeyer. „Wir erwarten, dass geschlossene Fonds und Investmentfonds bis Mitte der nächsten Legislaturperiode unter  die Mifid-Regelungen kommen.” Dann würden 75 bis 80 Prozent der unabhängigen Fondsvermittler verschwinden. Rund 30.000 qualifizierte Berater könnten, so Steinmeyer, übrig bleiben. Etablierte Haftungsdächer wären dann in der Lage, ihr Geschäftsfeld auszuweiten. Zudem wirke die derzeitige Finanzmarktkrise als Katalysator: „In Banken und Versicherungen sitzen intelligente Berater, die die Nase voll vom eingeschränkten Produktportfolio haben”, so Brem. Viele würden durch die Krise freigesetzt – eine Chance für Haftungsdächer mit exklusivem Anspruch: „Diese Berater wollen nicht in ein Umfeld geraten, wo sie einer unter vielen sind.” Ein weiteres Reservoir sieht Brem bei den Vermögensverwaltern mit KWG-Zulassung. Diese sehen sich aufgrund ihrer Zwangsmitgliedschaft in der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) mit hohen Ausgleichsforderungen für die Pleite des Vermögensverwalters Phoenix. „Einige große Player sind bereits ins Ausland ausgewichen oder haben ihre Zulassung  zurückgegeben”, so Brem. Grund: Es könne sich rechnen, statt der KWG-Zulassung mit den eigenen Beratern unter ein neues Haftungsdach zu gehen, und damit Gebühren und Verwaltungsaufwand zu sparen.
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