- Startseite
-
Mit Zinssenkungen könnte die Fed weiter noch abwarten – aus gutem Grund
Bislang haben die Anleger das Eindampfen der Zinserwartungen gut weggesteckt. Das ist beachtlich. Zum Jahresanfang hatten die Erwartungen noch bei vier bis sechs Zinsschritten gelegen – jetzt gehen die Börsianer davon aus, dass Fed-Chef Jerome Powell in diesem Jahr nur noch maximal zweimal die Zinsschraube nach unten dreht.
Laut Fed-Watch-Tool der CME Group beläuft sich die Wahrscheinlichkeit für eine erste Zinssenkung bei der nächsten Sitzung des Offenmarktausschusses am 12. Juni gerade einmal auf 0,1 Prozent. Beim darauffolgenden Meeting sieht es nicht viel besser aus, da liegt die Wahrscheinlichkeit bei knapp 15 Prozent. Ernsthafte Hoffnungen auf eine erste geldpolitische Lockerung durch Powell können sich die Anleger eigentlich erst für die Sitzung am 18. September machen. Aber selbst hier ist ein dickes Fragezeichen angebracht. Die Chancen für einen Zinsschritt stehen hier bei nicht einmal 55 Prozent. Die Inflation erweist sich in den USA einfach als zu hartnäckig.
Im April sank in den Vereinigten Staaten die Inflation auf Jahressicht gerade einmal um 0,1 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent. Damit lag sie aber über dem Wert vom Januar und Februar und ist noch deutlich von Zwei-Prozent-Ziel der Fed entfernt, von dem Powell bislang nicht abgerückt ist. Seit mittlerweile fast einem Jahr steht in den USA bei der Inflationsrate eine Drei vorm Komma. Die Gründe sind vor allem hohe Rohstoffpreise und kaum nachlassender Druck vom Arbeitsmarkt.
Öl und Löhne treiben Preise
Ein Fass Öl der Sorte WTI kostet derzeit knapp 77 Dollar und damit fast sieben Prozent mehr als vor einem Jahr. Allerdings startete Öl im Juli des vergangenen Jahres eine beeindruckende Rally. Diese trieb den Preis auf mehr als 90 Dollar nach oben. Derzeit befindet sich das schwarze Gold dagegen in einer Abwärtsbewegung. Es besteht also ein Hoffnungsschimmer, dass von dieser Seite der Inflationsdruck nachlässt. Sicher ist das allerdings nicht. Der Krieg im Nahen Osten, die politisch fragile Lage im Iran und immer neu angekündigte Produktionskürzungen der Opec+ könnten den Ölpreis wieder steigen lassen.
Auch vom Arbeitsmarkt ist nicht unbedingt mit einer Unterstützung bei der Inflationsbekämpfung zu rechnen. Zuletzt lag die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe außerhalb der Landwirtschaft in den USA bei 219.000 –
1.000 mehr, als die regelmäßig von Reuters befragten Volkswirte prognostiziert hatten. Nur die Zahlen von Anfang Mai signalisierten einen leicht schwächeren Arbeitsmarkt und damit etwas weniger Inflationsdruck. Diese Entwicklung hat sich seitdem aber nicht fortgesetzt.
Fehlprognose der Fed
Die amerikanische Notenbank hatte zum Jahreswechsel erwartet, dass die Teuerungsrate bis April bis auf circa 2,5 Prozent sinkt. Mit dieser Einschätzung lag sie ordentlich schief. Tatsächlich fiel die Inflationsrate rund einen Prozentpunkt höher aus. Und eine Besserung ist nicht unbedingt in Sicht. In den zurückliegenden zwölf Monaten stieg der Verbraucherpreisindex jeden Monat gegenüber dem Vormonat um durchschnittlich circa 0,3 Prozent.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Wenn sich diese Entwicklung weiter fortsetzt, würde die Inflationsrate in den USA bis Dezember auf 3,7 Prozent hinaufgehen. Bei kürzeren Betrachtungszeiträumen würde die Geldentwertung noch stärker zunehmen: Bei einem Blick auf die vergangenen sechs Monate würde die Inflation bis zum Jahresende auf 3,9 und bei drei Monaten sogar auf 4,6 Prozent zulegen.
Eigentlich will die Fed die Leitzinsen senken, um die Konjunktur zu unterstützen und den Staat bei seinem Schuldendienst zu entlasten. Sobald sich ein Zeitfenster öffnet, in dem sich die Inflation etwas zurückbildet, dürfte Powell zur Tat schreiten.
Ob sich das dann aber auch auf die langfristigen Zinsen dämpfend auswirkt, darf bezweifelt werden. Der amerikanische Staat hat zuletzt vor allem kurzfristige Anleihen emittiert. Jetzt sind zunehmend Langläufer an der Reihe. Nicht nur die (zu) hohe Inflation, sondern auch die Menge neu angebotener US-Treasuries mit mehrjährigen Laufzeiten dürften den Druck auf den Rentenmarkt weiter erhöhen.
Bei der amerikanischen Staatsverschuldung herrschen schon fast italienische Verhältnisse. Dadurch sind immer weniger Anleger bereit, Washington umfangreich Geld zu leihen. Ein Ausdruck davon könnte der stark gestiegene Goldpreis sein. Vor allem die Notenbanken der Schwellenländer haben in letzter Zeit vermehrt das Edelmetall gekauft, um unabhängiger vom Dollar zu werden. Auf den Schuldendienst der USA könnten schwierige Zeiten zukommen. Den Finanzmärkten würde dies sicherlich nicht schmecken.
Über den Autor:
Michael Wittek leitet das Portfoliomanagement bei Albrecht, Kitta & Co. und ist für die Anlegestrategie der Vermögensverwaltung verantwortlich.