Nachhaltigkeit „Die meisten Versicherer sind lediglich Trendfolger“

Das Investment: Die Inflation steigt, höhere Zinsen sind dagegen nicht in Sicht. Was bedeutet das für deutsche Vorsorgesparer?
Heiko Faust: Das von Finanzberatern häufig verwendete Dreieck aus Liquidität, Rendite und Sicherheit hat in seiner bisherigen Form keine Gültigkeit mehr. Denn die oft als Zinsgarantie verstandene Sicherheit können die Anbieter heute kaum noch darstellen. Daher ist insbesondere bei der langfristigen Geldanlage heutzutage viel mehr Risikoappetit notwendig. Faktisch lohnt sich Vorsorgesparen derzeit nur noch mit Investments in Aktienfonds – was sich nicht zuletzt am Ausstieg des Platzhirsches Allianz aus dem Geschäft mit Garantieprodukten zeigt.
Mit anderen Worten – solange ein Versicherer einen steigenden Bestand an Fondspolicen aufweisen kann, muss er sich keine Sorgen machen?
So einfach ist es nicht. Die Sorgen um die Niedrigzinsen bestehen schon seit Jahren, und die Versicherer haben sich darauf eingestellt. Viele Anbieter unterschätzen jedoch ihre Aufgaben rund um das Thema Nachhaltigkeit beim Vorsorgesparen und generell bei der Geldanlage. In ihre Strategiepapiere haben sie es zwar aufgenommen. Aber fast keiner von ihnen hat sein Geschäftsmodell umgestellt.

Was aus Ihrer Sicht jedoch zwingend notwendig wäre?
Der Druck hierzu auf die Lebensversicherer wächst – bislang vor allem aus der Politik. Wie rasant die Nachhaltigkeit im öffentlichen Dialog an Bedeutung gewinnt, zeigen die Entwicklungen allein in den vergangenen drei Jahren. Der Druck wächst aber auch zunehmend vonseiten der Verbraucher. Die Dynamik kommt dabei weniger von den bisherigen Anlegern im gesetzteren Alter, sondern vor allem von der jüngeren Generation, also den Neukunden von morgen. Spätestens mit den Fridays-for-Future-Demonstrationen ist das Thema Nachhaltigkeit auch hierzulande in der breiten Öffentlichkeit angekommen.
Schlägt sich das bereits in einem geänderten Konsumverhalten nieder?
Nein. Die direkten Auswirkungen auf das Verhalten sind laut einer von Oliver Wyman durchgeführten Umfrage noch gering. Demnach sind viele Kunden zwar sehr um die Umwelt besorgt. Einen höheren Preis für ökologisch nachhaltige Produkte akzeptieren heute jedoch nur 9 Prozent der Kunden. Und am Versicherungsmarkt fehlt vielen noch die Transparenz: 86 Prozent der Bundesbürger können nicht angeben, welcher Versicherer aus ihrer Sicht besonders nachhaltig ist.
Das alles spricht nicht dafür, dass sich die Lebensversicherer mit ihren ESG-Engagements beeilen müssen.
Doch, denn es zeichnet sich ein klarer Trend ab. Bei gleichen Konditionen würde heute schon fast die Hälfte der Kunden zu einem nachhaltigeren Anbieter wechseln. Das bedeutet: Sobald jemand im Markt ein nachhaltiges Produkt mit den gleichen Eigenschaften anbietet, sind viele weg. Der für die Verbraucher notwendige Überblick wurde jüngst durch die EU-Transparenzverordnung für den Finanzmarkt deutlich erhöht. Daher ist es sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis die Versicherten keine nicht-nachhaltigen Policen mehr akzeptieren.