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Nachhaltigkeit „Die meisten Versicherer sind lediglich Trendfolger“

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Deutschlands Lebensversicherer müssen also gleichzeitig den Niedrigzins und den Umstieg auf ESG-Investments wuppen. Wie gut sind sie darauf vorbereitet?

Ich glaube, dass die meisten Gesellschaften das Thema Nachhaltigkeit immer noch unterschätzen und zu langsam unterwegs sind. In der Folge drohen sie entweder von Politik, Investoren und Kunden vor sich hergetrieben zu werden oder dem Wettbewerb hinterherzulaufen. Die meisten deutschen Versicherer müssen sich also möglichst bald deutlich strukturierter mit ihrer jeweiligen ESG-Strategie auseinandersetzen. Ansonsten laufen sie Gefahr, sich zu verzetteln.

Wie könnten solche ESG-Strategien für Versicherer in der Praxis aussehen?

Zunächst einmal müssen sich die Unternehmen in die Karten schauen lassen. Auf der Grundlage ihrer detaillierten Daten stellen spezialisierte Agenturen anhand langer Kriterienlisten den Ist-Stand fest und schlagen auch Soll-Ziele vor. Je nach Agentur werden einzelne Kriterien wie der Ausstoß von Kohlendioxid oder der Einsatz von erneuerbaren Energien beim Kriterium „Environmental“ stärker oder schwächer bewertet. Oder die Einhaltung von Anti-Diskriminierungs-Richtlinien und die Fluktuationsrate beim Thema „Social“ beziehungsweise die Unabhängigkeit des Vorstands oder Programme für Whistleblower beim dritten ESG-Kriterium „Governance“.

Und wer derartige Anforderungen erfüllt, hat neben einem guten Renommee tatsächlich handfeste Vorteile?

Aber ja doch. Vor allem globale Großinvestoren schauen sich ganz genau an, wie ein Versicherungsunternehmen bei ESG-Kriterien abschneidet. Blackrock-Chef Larry Fink beispielsweise nimmt das Thema ernst und greift es in seinen aktuellen „Briefen an CEOs“ auf. Die meisten Versicherer geben sich hierbei zwar durchaus Mühe, sind aber lediglich Trendfolger.

Was heißt das?

Wir sehen vier Differenzierungsstrategien. An der Spitze steht ein Nachhaltigkeit-pur-Versicherer. Er setzt die sich selbst auferlegten Maßnahmen zu 100 Prozent stringent um. Es folgt ein Nachhaltigkeit-plus-Versicherer. Er positioniert seine Marke bewusst entlang ausgewählter Marktlücken, die für sein Kundensegment relevant sind. Seine ESG-Versprechen bleiben jeweils im Rahmen des glaubhaft Vertretbaren. Der sogenannte Gedankenführer hingegen nimmt bewusst eine führende Rolle ein und schlägt aus Eigeninitiative Grenzen vor, die weit über das hinausgehen, was er regulatorisch leisten müsste – auch wenn dies nicht unmittelbar zum Gewinn beiträgt.

Und dann erst kommt der Trendfolger?

Genau. Er nutzt Nachhaltigkeit nicht dazu, um sich abzuheben, und erfüllt nur das Minimum an gesetzlich vorgeschriebenen Marktstandards.


Über den Interviewten: 

Heiko Faust, Oliver Wyman

Heiko Faust ist Partner im Bereich Versicherungen von Oliver Wyman. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung als Manager und Strategie-Berater in der Versicherungsbranche. Seine Schwerpunkte liegen speziell in der Lebensversicherung mit einem Fokus auf Strategie, Bestandsmanagement, Operational Excellence und Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit.

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