Volkswirt Henning Vöpel
Die Mitte der Gesellschaft zerstört sich selbst

Volkswirt Henning Vöpel
So kann es nicht weitergehen. Fast jede Debatte endet in einer Sackgasse, führt nicht zu pragmatischen Lösungen, sondern direkt in ideologische Grabenkämpfe oder politische Hysterie. Das Heizungsgesetz beispielsweise war handwerklich schlecht gemacht und ist dann von der Opposition in rhetorisch durchaus fragwürdiger und destruktiver Weise zerrissen worden. Ein gesellschaftlich eigentlich wicht...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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So kann es nicht weitergehen. Fast jede Debatte endet in einer Sackgasse, führt nicht zu pragmatischen Lösungen, sondern direkt in ideologische Grabenkämpfe oder politische Hysterie. Das Heizungsgesetz beispielsweise war handwerklich schlecht gemacht und ist dann von der Opposition in rhetorisch durchaus fragwürdiger und destruktiver Weise zerrissen worden. Ein gesellschaftlich eigentlich wichtiges Ziel ist dadurch politisch gleich doppelt diskreditiert worden. Und die sogenannte Letzte Generation tut dasselbe, indem sie ein Widerstandsrecht für sich beansprucht, das es in diesem Fall nicht gibt, und bringt so selbst klimaschutzwillige Menschen gegen sich auf.
Anstatt also zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Gesellschaft angesichts von Klimawandel, Energiewende und Künstlicher Intelligenz in einem historischen Umbruch befindet, die gemeinsame Zukunft konstruktiv zu verhandeln, droht sie in der identitätspolitischen Überbetonung ihrer Unterschiede und Opferrollen in alle Richtungen und Einzelteile auseinanderzufallen. Der einzige Profiteur: Die AfD.
Tiefe Krisen und grundlegende Transformationsprozesse erfordern eine – auch und gerade im Wandel – stabile Gesellschaft und stellen zugleich ihren Zusammenhalt und ihre Solidarität auf eine harte Probe. Denn wenn sich im Wortsinn Fundamentales verändert, Ordnungen zerfallen, Altes zerbricht und Neues entstehen muss, treten Unterschiede umso stärker zutage: Zwischen Gewinnern und Verlierern, Privilegierten und Diskriminierten, Stärkeren und Schwächeren, Mutigen und Verzagten, Fordernden und Überforderten. Die Pandemie hat bis heute ihre Spuren hinterlassen und gezeigt, was innerhalb kürzester Zeit mit einer an sich intakten Gesellschaft passieren kann, wenn der Konsens in der Mitte der Gesellschaft zerbricht.
Stabilität entsteht immer in der Mitte, die des sozialen Friedens und des wirtschaftlichen Fortschritts wegen verstehen und befrieden will, nicht an den Rändern, die des Streites und der Aufmerksamkeit wegen missverstehen und spalten wollen. Ohne mäßigende Mitte wird Sprache maßlos, wird aus überbrückbaren inhaltlichen Differenzen unüberbrückbare gesellschaftliche Spaltung: Merz wird zum Erfüllungsgehilfen der AfD und Habeck zum Totengräber der deutschen Wirtschaft erklärt. Geht es noch?
Mitte ist nur möglich durch Mäßigung, weil nur auf diese Weise dort wo Diskurs und Kompromiss, Streit und Befriedung möglich sind, genügend Raum für die Vielen entsteht. Die Gesellschaft findet über den Diskurs zueinander und wird erst zur Gesellschaft durch die Art und Weise, wie sie den Diskurs führt. Die Diskursethik ist damit ein wichtiger Teil unserer Ordnung. Ohne sie gelingen weder die Demokratie noch der Rechtstaat noch die Marktwirtschaft.
Die viel beschworene Krise der Demokratie erscheint aus diesem Blickwinkel auch als eine Krise des heutigen Begriffs von Gesellschaft. Eine liberale und zugleich konservative Definition von Gesellschaft gilt es zu formulieren, die die durch die Globalisierung stark ausgedehnte liberale Freiheit mit der sich auf das Gemeinwesen beziehenden republikanischen Freiheit wieder in Einklang bringt.
Wie werden wir als Gesellschaft also wieder konstruktiv im Sinne der wirklichen Probleme? Was ist die eigentliche, die gesellschaftliche relevante Differenz? Wo liegt der Raum für politische Einigung? Und worin besteht über Differenzen in Sachfragen hinweg der Common Ground, auf dem wir uns bewegen, die Res Publica, die uns alle angeht, uns dadurch zusammenführt und zusammenhält?
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