Chefvolkswirt Carsten Klude
Die unendliche Geschichte der Niedrigzinsen
Aktualisiert am 05.03.2020 - 14:59 Uhr
Sollten Anleger bei den Renditen von Staatsanleihen mit einer Bodenbildung oder einer Trendwende rechnen? Carsten Klude, Chefvolkswirt bei M.M. Warburg, blickt voraus und erklärt, wo auch 2020 positive Wertentwicklungen zu erwarten sind.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
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Vor 12 Monaten befanden sich die meisten globalen Notenbanken noch im Zinserhöhungsmodus, doch unter dem Eindruck immer schwächer werdender Konjunktur- und Inflationsdaten wechselte die Geldpolitik im Laufe dieses Jahres erneut die Richtung. Vor allem die Federal Reserve, die noch im Dezember 2018 den US-Leitzins erhöhte und für 2019 weitere geldpolitische Straffungen ankündigte, signalisierte schon im Januar eine Kehrtwende.
In der ersten Jahreshälfte blieb die Fed Funds Target Rate noch unverändert, doch nachdem sich die Wachstumsraten der US-Wirtschaft im Jahresverlauf abschwächten und die für die Notenbank entscheidende Inflationsrate unter der Zwei-Prozent-Marke blieb, senkte die Fed im Juli, September und Oktober den Leitzins um insgesamt 75 Basispunkte auf eine Spanne von 1,50 bis 1,75 Prozent.
Auch die Europäische Zentralbank hat ihre Ende vergangenen Jahres formulierte Absicht, die Zinsen ab dem Sommer 2019 zu erhöhen, nicht in die Tat umgesetzt. Im Gegenteil: Schwache Wirtschaftsdaten und ein deutlicher Rückgang der Inflationsrate auf weniger als ein Prozent veranlassten den EZB-Rat im September, den Einlagenzinssatz von -0,40 auf -0,50 Prozent zu reduzieren. Gleichzeitig wurde nur neun Monate nach Beendigung des alten die Auflage eines neuen Anleihenaufkaufprogramms in Höhe von 20 Milliarden Euro monatlich beschlossen.
Die Federal Reserve und die EZB befinden sich in guter Gesellschaft. Von fast 40 globalen Notenbanken, deren Geldpolitik wir verfolgen, haben in diesem Jahr 23 die Zinsen gesenkt; dem stehen nur drei Erhöhungen gegenüber. 2018 war dies noch genau umgekehrt. Die internationale Geldpolitik ist also in diesem Jahr noch expansiver geworden als sie es ohnehin schon war. Im Umkehrschluss sind die Renditen in diesem Jahr stark gefallen, sodass Anlegern in festverzinslichen Wertpapieren zum Teil erkleckliche Kursgewinne – teilweise in prozentual zweistelliger Höhe – beschert wurden. Dabei war die Wertentwicklung umso besser, je länger die Restlaufzeit der Anleihen war.
Bestes Beispiel hierfür ist die im Jahr 2017 von Österreich emittierte Staatsanleihe mit einer Restlaufzeit von damals 100 Jahren. Trotz eines nur kleinen Kupons von 2,1 Prozent gewann die Anleihe bis Ende August fast 80(!) Prozent an Wert. Dies war auf den bis in den Spätsommer zu beobachtenden Rückgang der Renditen zurückzuführen, der im Umkehrschluss zu steigenden Kursen bei ausstehenden Anleihen führte.
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