Weniger dramatisch als meist dargestellt Was Anleger über den Aktiencrash von 1929 wissen sollten
Statt Aktienmarktrenditen (die des US-Aktienmarktes oder die des globalen Aktienmarktes) quasi wie selbstverständlich nur in Dollar anzugeben – und damit unausgesprochen und falsch zu unterstellen, der Dollar sei die relevante Renditerechenwährung für außerhalb der USA lebende Anleger – kann und sollte man die Aktienrendite auch in anderen Währungen kalkulieren – idealerweise in der Währung, die für die Adressaten der jeweiligen Publikation am wichtigsten ist, nämlich ihre Heimatwährung, im Ökonomenjargon ihre funktionale Währung, die Währung, in der sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft den größten Teil ihrer Konsumausgaben tätigen werden.
Für die Jahre unmittelbar nach 1928 ist die Renditeberechnung in einer Nicht-US-Dollar-Währung etwas schwieriger als heutzutage, weil sich damals weltweit ein regelrechtes Währungschaos abspielte und viele Währungen aus jener Zeit heute nicht mehr existieren, beispielsweise die (deutsche) Reichsmark.
Was wir aber durchaus tun können, ist die Rendite des globalen Aktienmarktes alternativ zum US-Dollar in britischem Pfund berechnen. In Pfund deswegen, weil dieses bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs neben dem US-Dollar eine der beiden globalen Leitwährungen war. Zudem war das Pfund damals für deutsche, österreichische und Schweizer Anleger mindestens genauso relevant wie der US-Dollar. Abbildung 3 vergleicht deswegen die Entwicklung des Weltaktienmarktes ab 1928 in britischem Pfund und in US-Dollar. Die rote Dollarkurve ist identisch mit der roten Kurve in Abbildung 2.
Abbildung 3: Entwicklung der indexierten Jahresendstände des globalen Aktienmarktes von 1928 bis 1945 (18 Jahre) – reale Renditen in US-Dollar und in GBP (logarithmische vertikale Skala)
Abbildung 3 lässt erkennen, dass der Renditeverlauf des Weltaktienmarktes (blaue Kurve) gerechnet in Pfund (und damit wohl ähnlich in anderen europäischen Währungen) während der Great Depression vor allem in Bezug auf den MDD drastisch besser verlief als in USD, nämlich nur minus 36 Prozent in GBP versus minus 54 Prozent in USD. Naturgemäß wären beiden Zahlen deutlich schlechter (geschätzt um 15 Prozentpunkte), wenn man sie auf Monatsrenditenbasis kalkulieren könnte, aber der relative Unterschied (28 Prozentpunkte) – auf den kommt es hier an – zwischen dem GBP-Wert und USD-Wert wäre im Falle von Monatsrenditen wohl ähnlich.
Was war die Ursache für die markante Abweichung zwischen den beiden Kurven?
In 1931 und 1932 – den beiden schlimmsten Jahren des damaligen Crashs – wertete der US-Dollar gegenüber dem Pfund kumulativ um bemerkenswerte 47 Prozent auf, was den MDD des Aktienmarktes während dieser Zeit in Pfund beträchtlich abmilderte.
Im Folgejahr 1933 wertete der Dollar zwar wieder auf den Jahresendkurs von 1930 ab; das war aber für Anleger, die in Pfund oder einer anderen Nicht-USD-Währung rechneten, nur bedingt nachteilig, denn inzwischen hatte der globale Aktienmarkt nachhaltig auf einen Erholungspfad eingeschwenkt. 1938 und 1939 wertete der Dollar noch einmal auf. Bis 1945 gab es dann zwischen den beiden Währungen keine Wechselkursveränderungen mehr. Von 1946 bis 1954 erfolgte noch einmal eine Dollaraufwertung, so dass der Weltaktienmarkt in Pfund gerechnet bis 1954 abermals stärker zulegte als in Dollar und 1954 in Pfund um bemerkenswerte 51 Prozent höher stand als in Dollar.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Weitere Gesichtspunkte
Zum Schluss unserer Analyse sei der Vollständigkeit halber noch hinzuzufügt, dass jeder Berechnung des MDDs wie auch der maximalen Nullrenditeperiode (Dauer der Erholungsphase) eine in gewisser Weise praxisfremde Worst-Case-Betrachtung zugrunde liegt. Praxisfremd insofern, als dass dabei realitätsfern unterstellt wird, ein Anleger legt (a) sein gesamtes Vermögen ausschließlich in Aktien an, (b) er investiert exakt am schlechtesten möglichen Tag und (c) er gibt den gesamten Betrag in einer Summe in den Markt (also nicht über einen längeren Zeitraum verteilt). Unter hundert Aktienanlegern wird es weniger als einen geben, auf den alle drei Bedingungen zutreffen.
À propos nur in Aktien anlegen. Natürlich galt auch schon 1929 die banale Einsicht, dass ein Aktienportfolio für die meisten Privatanleger mit einer risikosenkenden Komponente High-Quality-Anleihen zu temperieren ist – vor allem, wenn es um die Altersvorsorge von Familien geht. Wer diese triviale Diversifikationseinsicht während oder vor der Great Depression beherzigt hätte, wäre damit exzellent gefahren. Kurz-, mittel- und langfristige US-Staatsanleihen (oder Staatsanleihen anderer bonitätsstarker Länder) waren in der Weltwirtschaftskrise wegen der Deflation und wegen der Flucht in Qualitätswerte sehr rentable Investments und damit vorzügliche Diversifizierer für ein aktienlastiges Portfolio. Beispielsweise lieferten mittelfristige US-Staatsanleihen von September 1929 bis Juni 1932 (die Downturn-Phase des Aktienmarktes) in USD eine reale kumulative Rendite von +43 Prozent und von September 1929 bis November 1936 eine von +79 Prozent.
Ebenfalls nicht vergessen sollte man, dass nicht nur Aktien, sondern alle Asset-Klassen irgendwann einen drastischen Crash erleben.
Einige wenige Beispiele: In Frankreich sanken reale Wohnimmobilienpreise ab 1911 und fielen nach 38 langen Jahren bis 1948 auf einen MDD von 88 Prozent (in Franc). Dann dauerte es noch einmal 15 Jahre, bis das reale Preisniveau von 1911 (43 Jahre zuvor) wieder erreicht wurde.
Für norwegische Wohnimmobilien begannt 1899 ein noch längerer Zeitlupen-Crash. Nach 55 Jahren (1954) waren reale Immobilienpreise um kumulativ 57 Prozent gefallen (in norwegischer Krone). Danach dauerte es weitere 31 Jahre, bis das reale Preisniveau von 1911 (1985) wieder erreicht wurde.