Die Zins-Zwickmühle
(Quelle: DAS INVESTMENT) Europäische Aktien gehören zu den günstigsten Aktien der Welt. Gemessen an den aktuellen Unternehmensgewinnen sind sie derzeit um mehr als ein Zehntel billiger zu haben als der weltweite Durchschnitt. Für freie Mittel, die angelegt werden müssen, gehören die europäischen Titel somit zur ersten Wahl. Das könnten enorme Geldsummen werden, denn die Zentralbanken aus USA und Europa sind im Begriff, demnächst ihre Leitzinsen schrittweise zu senken. Dieser Vorgang sorgt dafür, dass sich Banken zu immer günstigeren Konditionen mit Geld versorgen können. Geld, dass in Wirtschaftsinvestitionen fließt – oder eben in Kapitalanlagen wie Aktien.
Über den Leitzins versuchen Zentralbanken, die Wirtschaftsentwicklung zu steuern und gleichzeitig den größten Feind der Konjunktur zu bekämpfen: die Inflation. Niedrige Zinsen sind gut für die Wirtschaft, aber erhöhen auch die Inflation. Hohe Zinsen bremsen die Konjunktur aus, halten aber die Preise stabil.
Insofern steht gerade die Europäische Zentralbank (EZB) vor einem Dilemma. Einerseits zeigen die Wirtschaftsprognosen für Europa und den wichtigen Handelspartner USA für die kommenden Jahre nach unten. Christian Heger, Investmentvorstand bei der Fondsgesellschaft HSBC Investments Deutschland, erwartet für die europäischen Länder im Schnitt für 2008 ein Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 2 Prozent. Angesichts vergangener Raten, die deutlich über der 2-Prozent-Marke gelegen haben, ist das eher eine Enttäuschung. Andererseits steigen die Preise in Europas Industrienationen offiziell inzwischen um 3,1 Prozent im Jahr. Schuld sind vor allem die stark gestiegenen Nahrungs- und Energiepreise. Pflicht für eine stabile Währung ist lediglich eine Inflation von maximal 2 Prozent.
Die Bank von England begann ihren Zinssenkungszyklus bereits im Dezember. Für die Eurozone richten sich Volkswirte inzwischen darauf ein, dass die EZB in der zweiten Jahreshälfte den Leitzins zurücknehmen wird. Dann sollten die Preise zumindest nicht weiter steigen, die Teuerungsrate also im direkten Vorjahresvergleich zurückgehen. Das würde den Druck von der EZB nehmen, die Währung zu schützen.
Die Kombination aus schwächeren Konjunkturprognosen und hoher Inflation könnte 2008 zu einem schwierigen Aktienjahr machen, trotz der zweifellos günstigen Bewertungen. Denn stärkere Gewinnzuwächse bei den Unternehmen als im Vorjahr sind durch die nachlassende Konjunktur nicht zu erwarten. Inzwischen stellen einige Volkswirte sogar die erwarteten einstelligen prozentualen Zuwächse in Frage. HSBC-Mann Heger geht noch etwas weiter: „Wir erwarten, dass 2008 allenfalls eine schwarze Null bei der Gewinnentwicklung für die europäischen und amerikanischen Unternehmen übrig bleiben wird.“
Somit gehören 2008 vor allem sehr günstig bewertete Titel und Unternehmen, deren Geschäft trotz Konjunkturflaute stark wächst, ins Depot. Letzteres könnten konjunkturunabhängige Branchen wie Telekom oder Pharmaaktien sein, oder auch Unternehmen, die mit den wohl weiter boomenden Schwellenländern gut vernetzt sind.