Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau
Diese Folgen hat das Urteil zum Klimaschutzgesetz

Jörn Quitzau ist Volkswirt und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg
Das Bundesverfassungsgericht sorgt mit einem Urteil zum Klimaschutzgesetz für Schlagzeilen. Die Richter regen an, Freiheitsrechte von heute gegen Freiheitsrechte von morgen abzuwägen. Welche Folgen das hat, erklärt Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
Da diese Artikel nur für Finanzprofis gedacht sind, bitten wir dich, dich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Implizite Staatsschulden sind in der Sozialversicherung versteckt. Die Leistungsversprechen, die der Staat im Bereich Rente, Gesundheit, Pflege und Arbeitslosigkeit gibt, sind durch die gegenwärtigen Steuer- und Beitragssätze nicht vollständig gedeckt. Das daraus resultierende Problem wird erst sichtbar, wenn die sogenannten Baby-Boomer (Geburtsjahre 1955 bis 1969) in den Ruhestand gehen und von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern werden. Um die Leistungszusagen ohne Erhöhungen der Steuern oder Sozialbeiträge einhalten zu können, müsste der Staat am Kapitalmarkt Schulden aufnehmen. Die bisher verdeckten Schulden würden dadurch in der offiziellen Staatsschuldenquote sichtbar. Diese Schulden wären von den nachfolgenden Generationen über höhere Steuern abzutragen.
Aus der sich abzeichnenden Schuldenfalle bieten sich verschiedene Auswege an: Zuwanderer könnten die Zahl der Beitragszahler erhöhen (bevor sie später selbst zu Leistungsempfängern werden). Ein späterer Renteneintritt würde die Rentenbezugsdauer senken und die Arbeitnehmer länger in das Sozialsystem einzahlen lassen. Höheres Wirtschaftswachstum würde die Finanzierungsbasis des Staates stärken. Mehr Wirtschaftswachstum läuft allerdings dem Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit und der Reduktion der Treibhausgase zuwider – sofern es kein CO2-freies Wachstum ist.
Bleibt als einziger Ausweg, der für die nachfolgenden Generationen ökologisch und ökonomisch gleichermaßen nachhaltig ist, eine Senkung der staatlichen Sozialleistungen. Im Klartext bedeutet das vor allem: Weniger Rente und weniger Möglichkeiten auf CO2-lastigen Konsum für die heutigen und künftigen älteren Generationen. Das ginge sogar Hand in Hand mit der Andeutung, dass gegenwärtige Freiheitsrechte (Konsumrechte?) gegen künftige Freiheitsrechte (Konsumrechte?) abzuwägen sind.
Doch ist das tatsächlich im Sinne des Verfassungsgerichtes? Ließen sich solch umwälzenden Veränderungen politisch umsetzen und dann auch aushalten? Welche gesellschaftlichen Folgen wären zu erwarten? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wirft in jedem Fall brisante Fragen auf.
Wie hat dir der Artikel gefallen?
Über den Autor