

Schlankere Prozesse, geringere Kosten und potenziell viele Marktteilnehmer, die eigene Token auflegen – die neuen Möglichkeiten können sich durchaus tiefgreifend auf die Finanzbranche auswirken: „Die Distributed-Ledger-Technologie hat das Potenzial, bestehende Kapitalmarkt-
infrastrukturen so grundlegend zu transformieren wie einst der Elektroantrieb die Automobilbranche“, schätzt Jens Siebert von KPMG. Siebert ist Partner im Bereich Financial Services Management Consulting.
Tokenisierungs-Spezialist Eckl wirft eine kühne Zahl in den Raum: „Ich glaube, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren einen Markt sehen werden, der wesentlich auf der Blockchain stattfindet.“ Das herkömmliche Depotgeschäft werde sich dorthin verlagern.
Tokenisierung – es gibt auch Skeptiker
Mögen die Blockchain-Technologie und digitale Assets jene, die sich intensiv damit beschäftigt haben, auch begeistern – andere stehen beidem nach wie vor skeptisch bis ablehnend gegenüber. Selbst einige große Institute agieren sehr zurückhaltend. „Eine flächendeckende Umsetzung in Deutschland steht noch aus“, sagt Siebert. Die Gründe? Es liegt nicht nur an den schillernden Skandalen, die die Welt der Kryptoanbieter im weiteren Sinne immer mal wieder produziert. Im vergangenen Jahr brach etwa die bekannte Kryptobörse FTX zusammen. Der Bitcoin wurde schon häufig im Zusammenhang mit Erpressung und Geldwäschegeschäften gesehen. Doch diese Auswüchse stehen nicht pars pro toto für die gesamte Welt der Kryptotechnologie. Diese ist weitaus vielfältiger.
Vertreter der B2B-Welt sehen die Dinge naturgemäß nüchterner. Nils Bulling etwa, Leiter Digital Assets bei Avaloq, einem Anbieter für digitale Banking-Lösungen, meint: „Die Erfahrung zeigt, dass Banken und Vermögensberater immer noch zögern, mitunter hoch volatile digitale Assets in ihre Vermögensverwaltungsmandate aufzunehmen.“ Man fürchte um den eigenen guten Ruf. Aktuell gebe es noch keine Langfristerfahrung, wie sich digitale Vermögenswerte entwickelten. In puncto Volatilität zumindest dürfte es stark darauf ankommen, um welchen Digitalwert es sich im Einzelnen handelt. Ein Token, der einen realen Vermögenswert repräsentiert, dürfte potenziell weniger schwanken, als es ein rein kryptografisch erzeugter Wert wie der Bitcoin tut.
Laut Beobachtung von Unternehmensberater Siebel befürchten Finanzakteure jedoch auch eine schleppende Nachfrage und unzureichende Handelsplätze für Krypto-Assets. „Es mangelt an Investoren und damit auch an Liquidität“, so Siebel. Als problematisch sieht er es ebenfalls, dass es bisher keinen gemeinsamen Nenner bei Technologie-Standards gibt. Eine einheitliche Infrastruktur für digitale Vermögenswerte stehe noch aus.
Potenzial für Tokenisierungen ist enorm
Trotzdem ist spürbar, dass Zug in das Thema Kryptotechnologie und digitale Assets kommt. Laut einer OECD-Studie von 2022 hatten 84 Prozent der befragten Erwachsenen in Deutschland schon einmal von Kryptowerten beziehungsweise Krypto-Token gehört. 5 Prozent besaßen solche Produkte sogar persönlich. Eine Umfrage des Fintechs Avaloq ergab sogar, dass 40 Prozent der befragten Finanzanleger auch in Kryptowerte investierten. Nach Daten der Europäischen Union hat sich die Marktkapitalisierung digitaler Vermögenswerte allein zwischen 2020 und 2022 verachtfacht, auf 1,5 Billionen Euro.
Das Potenzial für die Tokenisierung von Finanzanlageprodukten ist weiter enorm. So prognostiziert das Weltwirtschaftsforum, dass die tokenisierten Märkte 2027 bereits 24 Billionen US-Dollar umfassen würden. Zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts könnten dann per Distributed-Ledger-Technologie gespeichert und abgewickelt werden.
In der Finanzbranche ist der Trend deutlich angekommen. „Mittlerweile haben viele Banken in Deutschland angekündigt, Lizenzen und Produktlösungen für die Verwahrung und die Emission von digitalen Vermögenswerten aufzubauen oder haben dies bereits getan“, beobachtet Siebel. Die Commerzbank mit ihrer frischen Kryptoverwahrlizenz ist nur eine große Adresse von mehreren. Weitere Interessenten stehen schon in den Startlöchern, darunter auch der Vermögensverwalter der Deutschen Bank, die DWS.
Große Marktteilnehmer als Vorreiter
Was große Marktakteure tun, beeinflusst in aller Regel die Stimmung unter allen Marktteilnehmern. Die Akzeptanz für digitale Assets dürfte schon in naher Zukunft weitere Initiativen beflügeln, darunter diverse Emissionen von Token, auch durch kleinere Finanzdienstleister. Die Mica-Verordnung wird im kommenden Jahr voraussichtlich für weiteren Schub beim Thema digitale Assets sorgen.
In Sachen Vertrieb sieht Avaloq-Spezialist Bulling die traditionellen Banken und Finanzdienstleister übrigens in einer guten Ausgansposition, auch gegenüber ihren Wettbewerbern aus dem Fintech-Milieu. „Für etablierte Finanzinstitute ist es einfacher, ein Kryptostandbein zu schaffen, als es für Krypto-Natives ist, in der Welt von klassischen Anlagen und persönlicher Beratung Fuß zu fassen“, so Bulling. „Der klare Vorteil traditioneller Anbieter von Vermögensberatungsleistungen ist, dass sie bereits über etablierte Teams und ein starkes Arbeitgeber-Branding verfügen.“ Einstweilen befänden sie sich damit im Wettbewerbsvorteil.