Finanzprodukte auf der Blockchain Digitale Assets: Ein Universum tut sich auf
And the winner is … die Commerzbank. Mitte November wurde bekannt, dass die Bank mit dem gelben Logo als erste hiesige Vollbank eine Lizenz als Kryptoverwahrerin erhält. Damit gesellt sie sich zu einer Gruppe von jetzt acht Anbietern vor allem aus dem Fintech-Milieu. Die Unternehmen haben viel Zeit, Aufwand und Kraft investiert, um eine der noch seltenen Bafin-Genehmigungen zu ergattern.
Dabei können Finanzdienstleister, die Kryptowerte vermitteln möchten, dies auch einfacher handhaben. Ohne eigene Lizenz, dafür mit Unterstützung von Partnerunternehmen, die die Verwahrung von Kryptowerten und möglicherweise noch andere Dienstleistungen erbringen. Es muss dabei nicht unbedingt um Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether gehen – die Welt der digitalen Assets ist vielfältig. Mittlerweile gibt es auch einen umfangreichen regulatorischen Rahmen dafür.
Mica – fortschrittliches Regelwerk
Im April 2023 verabschiedete die Europäische Union die Mica-Verordnung. Ihre Wirkung sollen die Regeln Mitte und Ende 2024 entfalten. Mica steht für „Markets in Crypto Assets“. Die Verordnung soll die Bedingungen für die Emission und den Handel mit digitalen Assets setzen, die in einem dezentralen Netzwerk gespeichert sind. Die Technologie dahinter nennt sich Distributed-Ledger-Technologie, DLT, gemeinhin spricht man von der Blockchain-Technologie.
Das Mica-Rahmenwerk gilt als extrem fortschrittlich, bei digitalen Vermögenswerten ist der europäische Gesetzgeber weltweit in Vorleistung gegangen. Experten hoffen, dass sich die europäischen Regeln langfristig als globaler Standard durchsetzen werden. Noch bevor die Mica verabschiedet wurde, war zunächst die seit 2018 gültige EU-Richtlinie Mifid II auf digitale Finanzinstrumente erweitert worden. In Deutschland erlaubt das eWpG (Elektronisches Wertpapiergesetz) mittlerweile, dass Anleihen und Fonds auch als digitale Wertpapiere begeben werden, Aktien sollen folgen.
Die Mica geht noch darüber hinaus: Sie setzt Regeln für weitere Digitalwerte, nämlich für E-Geld-Token, für sogenannte Utility Token und für wertreferenzierte Token – übersetzt: für elektronisch abgebildetes Geld, für digitale Token mit bestimmtem Nutzen und bestimmten Rechten und für Token, hinter denen reale Vermögenswerte stehen. Der Begriff Token lässt sich mit „digitales Gut“ umschreiben.
Besonders spannend für den Finanzvertrieb, darunter für unabhängige Vermögensverwalter und Finanzanlagenvermittler, dürften die wertreferenzierten Token werden. Denn Finanzanlagen lassen sich potenziell auch als Token auf die Blockchain bringen – ein alternativer Handelsweg, der einige Vorteile mit sich bringt.
Handel per Token
„Man kann fast alles tokenisieren“, sagt Tobias Eckl. Er ist Vorstand des Münchner Fintechs Gubbi, das sich auf Beratung und technologische Hilfe bei Tokenisierungsprojekten spezialisiert hat. Ob Gold, Immobilien, Oldtimer oder Solaranlagen – die Werte als Token abzubilden ist praktisch: Token-Besitzer brauchen sich nicht mehr zu überlegen, wie das Asset transportiert und wo es gelagert werden soll. Das Besitzrecht ist dabei klar und unveränderbar festgeschrieben: Eine Blockchain hält jegliche Bewegungen der auf ihr emittierten Token fest. Alle Käufe und Verkäufe lassen sich transparent und über das gesamte Leben des Assets nachverfolgen. Die auf der Blockchain festgeschriebenen Besitzrechte lassen sich praktisch nicht fälschen.
Ein weiterer Vorteil ist, dass sich Token beliebig stückeln lassen. Anleger können bei Bedarf auch nur einen kleinen, günstigeren Anteil an einem großen Vermögenswert kaufen. Token machen zudem umständliche Prozesse in der Prozesskette von Finanzanlagen effizienter und billiger. Zum Beispiel ihre Verwahrung und Transfers: „Durch das Verlagern auf die Blockchain wird die gesamte Abwicklungskette bei Depotbanken günstiger“, so Eckl.
Noch ein Vorteil aus Sicht des Vertriebs: „Token halten das betreute Volumen des Vermittlers und die Assets under Custody des Emittenten stabil.“ Wie das? „Man wird in Zukunft mehr auf das Thema Kunde zu Kunde setzen“, glaubt Eckl. Er erläutert: „Viele Token lassen sich auch über einen Sekundärmarkt oder über digitale Börsen handeln.“ Es geht sogar ganz ohne Handelsplatz – einfach von einer digitalen Kundengeldbörse („Wallet“) zur anderen. Nach einem Peer-to-Peer-Weiterverkauf ließen sich die Token dann weiter ihrem Ursprung zurechnen. Es lasse sich sogar dafür sorgen, dass der Vermittler eine Vertriebs- oder Tippgeberprovision vom Emittenten erhält, meint Eckl.
Schlankere Prozesse, geringere Kosten und potenziell viele Marktteilnehmer, die eigene Token auflegen – die neuen Möglichkeiten können sich durchaus tiefgreifend auf die Finanzbranche auswirken: „Die Distributed-Ledger-Technologie hat das Potenzial, bestehende Kapitalmarkt-
infrastrukturen so grundlegend zu transformieren wie einst der Elektroantrieb die Automobilbranche“, schätzt Jens Siebert von KPMG. Siebert ist Partner im Bereich Financial Services Management Consulting.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Tokenisierungs-Spezialist Eckl wirft eine kühne Zahl in den Raum: „Ich glaube, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren einen Markt sehen werden, der wesentlich auf der Blockchain stattfindet.“ Das herkömmliche Depotgeschäft werde sich dorthin verlagern.
Tokenisierung – es gibt auch Skeptiker
Mögen die Blockchain-Technologie und digitale Assets jene, die sich intensiv damit beschäftigt haben, auch begeistern – andere stehen beidem nach wie vor skeptisch bis ablehnend gegenüber. Selbst einige große Institute agieren sehr zurückhaltend. „Eine flächendeckende Umsetzung in Deutschland steht noch aus“, sagt Siebert. Die Gründe? Es liegt nicht nur an den schillernden Skandalen, die die Welt der Kryptoanbieter im weiteren Sinne immer mal wieder produziert. Im vergangenen Jahr brach etwa die bekannte Kryptobörse FTX zusammen. Der Bitcoin wurde schon häufig im Zusammenhang mit Erpressung und Geldwäschegeschäften gesehen. Doch diese Auswüchse stehen nicht pars pro toto für die gesamte Welt der Kryptotechnologie. Diese ist weitaus vielfältiger.
Vertreter der B2B-Welt sehen die Dinge naturgemäß nüchterner. Nils Bulling etwa, Leiter Digital Assets bei Avaloq, einem Anbieter für digitale Banking-Lösungen, meint: „Die Erfahrung zeigt, dass Banken und Vermögensberater immer noch zögern, mitunter hoch volatile digitale Assets in ihre Vermögensverwaltungsmandate aufzunehmen.“ Man fürchte um den eigenen guten Ruf. Aktuell gebe es noch keine Langfristerfahrung, wie sich digitale Vermögenswerte entwickelten. In puncto Volatilität zumindest dürfte es stark darauf ankommen, um welchen Digitalwert es sich im Einzelnen handelt. Ein Token, der einen realen Vermögenswert repräsentiert, dürfte potenziell weniger schwanken, als es ein rein kryptografisch erzeugter Wert wie der Bitcoin tut.
Laut Beobachtung von Unternehmensberater Siebel befürchten Finanzakteure jedoch auch eine schleppende Nachfrage und unzureichende Handelsplätze für Krypto-Assets. „Es mangelt an Investoren und damit auch an Liquidität“, so Siebel. Als problematisch sieht er es ebenfalls, dass es bisher keinen gemeinsamen Nenner bei Technologie-Standards gibt. Eine einheitliche Infrastruktur für digitale Vermögenswerte stehe noch aus.
Potenzial für Tokenisierungen ist enorm
Trotzdem ist spürbar, dass Zug in das Thema Kryptotechnologie und digitale Assets kommt. Laut einer OECD-Studie von 2022 hatten 84 Prozent der befragten Erwachsenen in Deutschland schon einmal von Kryptowerten beziehungsweise Krypto-Token gehört. 5 Prozent besaßen solche Produkte sogar persönlich. Eine Umfrage des Fintechs Avaloq ergab sogar, dass 40 Prozent der befragten Finanzanleger auch in Kryptowerte investierten. Nach Daten der Europäischen Union hat sich die Marktkapitalisierung digitaler Vermögenswerte allein zwischen 2020 und 2022 verachtfacht, auf 1,5 Billionen Euro.
Das Potenzial für die Tokenisierung von Finanzanlageprodukten ist weiter enorm. So prognostiziert das Weltwirtschaftsforum, dass die tokenisierten Märkte 2027 bereits 24 Billionen US-Dollar umfassen würden. Zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts könnten dann per Distributed-Ledger-Technologie gespeichert und abgewickelt werden.
In der Finanzbranche ist der Trend deutlich angekommen. „Mittlerweile haben viele Banken in Deutschland angekündigt, Lizenzen und Produktlösungen für die Verwahrung und die Emission von digitalen Vermögenswerten aufzubauen oder haben dies bereits getan“, beobachtet Siebel. Die Commerzbank mit ihrer frischen Kryptoverwahrlizenz ist nur eine große Adresse von mehreren. Weitere Interessenten stehen schon in den Startlöchern, darunter auch der Vermögensverwalter der Deutschen Bank, die DWS.
Große Marktteilnehmer als Vorreiter
Was große Marktakteure tun, beeinflusst in aller Regel die Stimmung unter allen Marktteilnehmern. Die Akzeptanz für digitale Assets dürfte schon in naher Zukunft weitere Initiativen beflügeln, darunter diverse Emissionen von Token, auch durch kleinere Finanzdienstleister. Die Mica-Verordnung wird im kommenden Jahr voraussichtlich für weiteren Schub beim Thema digitale Assets sorgen.
In Sachen Vertrieb sieht Avaloq-Spezialist Bulling die traditionellen Banken und Finanzdienstleister übrigens in einer guten Ausgansposition, auch gegenüber ihren Wettbewerbern aus dem Fintech-Milieu. „Für etablierte Finanzinstitute ist es einfacher, ein Kryptostandbein zu schaffen, als es für Krypto-Natives ist, in der Welt von klassischen Anlagen und persönlicher Beratung Fuß zu fassen“, so Bulling. „Der klare Vorteil traditioneller Anbieter von Vermögensberatungsleistungen ist, dass sie bereits über etablierte Teams und ein starkes Arbeitgeber-Branding verfügen.“ Einstweilen befänden sie sich damit im Wettbewerbsvorteil.