Merger-Experte Kai Lucks
So digital ist Deutschland
Kai Lucks ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions. Foto: Bundesverband Mergers & Acquisitions
Staat und Wirtschaft müssen digital gut aufgestellt sein, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Die Umsetzung entsprechender Strategien kommt jedoch nur schleppend voran. Hier erklärt Kai Lucks vom Bundesverband Mergers & Acquisitions, was hinter der vierten industriellen Revolution steckt.
Die Umstellung eines klassisch funktionierenden Unternehmens auf einen Betrieb mit durchgängiger intelligenter Vernetzung aller Prozesse, mit umfassender Integration von Mensch und Maschine, stellt auf für die meisten Unternehmen noch eine große Herausforderung dar, selbst wenn der IT-Hintergrund bereits fortgeschritten ist. Dies gilt sowohl für das Ausmaß der Umstellung auf eine umfassende informationelle Durchdringung der Prozesse als auch für die damit verbundenen Ressourcen, die für die Umstellung und Risikoprävention benötigt werden. Die Bundesregierung hat die Bedeutung von Informationstechnologie und digitaler Vernetzung als entscheidende Hebel zur Weiterentwicklung unserer Wirtschaft...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Umstellung eines klassisch funktionierenden Unternehmens auf einen Betrieb mit durchgängiger intelligenter Vernetzung aller Prozesse, mit umfassender Integration von Mensch und Maschine, stellt auf für die meisten Unternehmen noch eine große Herausforderung dar, selbst wenn der IT-Hintergrund bereits fortgeschritten ist. Dies gilt sowohl für das Ausmaß der Umstellung auf eine umfassende informationelle Durchdringung der Prozesse als auch für die damit verbundenen Ressourcen, die für die Umstellung und Risikoprävention benötigt werden. Die Bundesregierung hat die Bedeutung von Informationstechnologie und digitaler Vernetzung als entscheidende Hebel zur Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und zur Sicherung unseres Wohlstands erkannt. Das hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in seinem Frühjahrsgutachten 2022 Industrie 4.0 für den Wirtschaftsstandort Deutschland festgestellt:
- 95 Prozent der Unternehmen sehen die Industrie 4.0 als Chance
- 6 von 10 Unternehmen nutzen bereits Industrie-4.0-Anwendungen
- 91 Prozent der Industrieunternehmen sehen die Industrie 4.0 als Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie
- 75 Prozent der Industrieunternehmen glauben, dass die Industrie 4.0 die CO2-Emissionen reduzieren wird
Diese Stellungnahmen wecken Hoffnungen und ignorieren leider noch die Hürden der Umsetzung. Wir mögen reich an Konzepten und Technologien sein, aber wir sind schwach, wenn es um die Umsetzung geht. Bei allem Erfindungsreichtum und aller Forschungsförderung findet die Kapitalisierung von Ideen, Konzepten und Erfindungen, die der Industrie 4.0 zuzurechnen sind, vor allem und viel schneller bei unseren Konkurrenten statt, insbesondere in den USA und China. Dies ist für die weitere Entwicklung unserer Wirtschaft besonders kritisch, weil durch den Wirtschaftsboom und die niedrigen Zinsen Unternehmen am Markt verbleiben konnten, die unter schwierigeren Randbedingungen längst verdrängt worden wären. Durch die Corona-Wellen – zu Beginn der Wellen wurde mit zusätzlichen 100.000 Unternehmensinsolvenzen gerechnet – sind auch unternehmerische Schäden entstanden, die sich noch nicht in Form von Betriebsschließungen niedergeschlagen haben.
Insolvenzen nur durch neue Geschäftsmodelle zu kompensieren
Prognosen von Wirtschaftsinstituten sagen voraus, dass der Transformationsdruck und die mittelfristig noch zu erwartende große Insolvenzwelle, die wir durch eine boomende Wirtschaft in Verbindung mit für den Markt zu niedrigen Kapitalkosten erleben, nur durch neue Geschäftsansätze kompensiert werden können. Diese müssen eng mit Hightech-Innovationen, einer weitreichenden Digitalisierung und einer allumfassenden Kommunikation auf Basis neuester Infrastrukturtechnologien verbunden sein. Dazu gehören der aktuelle Ausbau von 5G und die vorbereitende Forschung und Entwicklung für 6G in internationalen Konsortien.
Die Dimensionen des Wandels lassen sich auf unterschiedlichste Weise abbilden. Häufig genannt werden die Optimierung von Prozessen, die Flexibilisierung von Tätigkeiten, der grundsätzliche Transformationswillen, die Steigerung des Kundennutzens und die Minimierung des Ressourceneinsatzes. Um den Wandel zu messen und Reproduzierbarkeit und Nachhaltigkeit zu gewährleisten, müssen Prozesse und Produkte umfassend abgebildet und mit Daten hinterlegt werden.
Ein weitergehendes Konzept fordert virtuelle Bilder von realen Produkten und Prozessen. Auch dieses Konzept löst bei den Betroffenen – vor allem der älteren Generation – Bedenken aus, da sie meist aus realen, greifbaren Handlungs- und Produktwelten kommen. Widerstand aus den Reihen der erfahrenen Werksmeister gegen die Transformationsbeauftragten bricht erst relativ spät aus, wenn den Vertretern der alten Welt die Tiefe der Veränderung und die persönlichen Konsequenzen erst nach einer Reihe ausführlicher Gespräche wirklich klar werden. Bis dahin sind jedoch bereits erhebliche Anstrengungen und Zeit investiert worden, die praktisch abgeschrieben werden müssen, bis sich die streitenden Parteien diplomatisch auf gemeinsam zu tragende Richtungsänderungen einigen. Tatsache ist also, dass die Umsetzung des Wandels im Spannungsfeld der Kräfte viel mehr Zeit kostet, viel mehr Ressourcen bindet und viel größere Risiken birgt, als sich die Prediger des Wandels vorstellen konnten. Dabei müssen auch Rückschläge verkraftet werden, wie es derzeit zum Beispiel die chemische Industrie zu vermelden hat.
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