DIN SPEC 77223 Die 3 Schritte zur Analyse der Risikotragfähigkeit
Mit der Einführung der Versicherungsvertriebsrichtlinie Insurance Distribution Directive (IDD) und Finanzmarktrichtlinie Markets in Financial Instruments Directive (Mifid II) in 2018 ist die DIN SPEC 77223 „Standardisierte Vermögens- und Risikoanalyse für den Privatanleger“ ins Rampenlicht gerückt. Bisher stand sie im Schatten ihrer großen Schwester, der DIN SPEC 77222 „Standardisierte Finanzanalyse für den Privathaushalt“. Letztere soll zur DIN-Norm werden und Teile der Finanzbranche ein Stück weit verändern.
DIN SPEC 77223 mit höherem Stellenwert
Die DIN SPEC 77223 „Standardisierte Vermögens- und Risikoanalyse für den Privatanleger“ wurde bereits im Februar 2016 beim DIN Deutsches In-stitut für Normung e. V. veröffentlicht. Genutzt wurde die DIN SPEC 77223 bis dato allerdings nur von einigen Bankberatern und Finanzberatern mit einer Gewerbeerlaubnis nach Paragraf 34f Gewerbeordnung (GewO). Durch die Anpassung der IDD an die Finanzmarktrichtlinie Mifid II bekommt die DIN SPEC 77223 zukünftig einen wesentlich höheren Stellenwert.
Der potenzielle Anwenderkreis erweitert sich nun auf alle Berater und Vermittler (insbesondere nach Paragraf 34d GewO), die anlagebasierte Versicherungsprodukte vermitteln oder Beratungsleistungen erbringen. Bei der IDD spielen die Begriffe Angemessenheit und Geeignetheit eine wichtige Rolle, wenn es um Versicherungsanlageprodukte geht. Was für Finanzanlagenvermittler und Bankberater auf Basis der Mifid schon eine ganze Weile Pflicht ist, gilt nun auch für Versicherungsvermittler und Versicherungsberater. Mit diesen neuen Regulierungen schließt der Gesetzgeber eine wichtige Lücke – ganz im Sinne des Verbraucherschutzes.
Sind Produkte geeignet und angemessen?
Vielleicht stellt sich an dieser Stelle die Frage, wozu es dann noch eines DIN-Standards bedürfe. Das lässt sich relativ einfach beantworten. In engem Zusammenhang zur Mifid und IDD stehen das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) und die Verordnung über die Finanzanlagenvermittlung (FinVermV). Beide regeln unter anderem die Prüfung von Geeignetheit und Angemessenheit von Anlageprodukten in Bezug auf den Privatanleger. Schaut man sich die einschlägigen Paragrafen, Begriffe und Inhalte (zum Beispiel „finanzielle Risikotragfähigkeit“) genauer an, zeigt sich schnell, wie viel Interpretationsspielraum der Gesetzgeber bei der praktischen Umsetzung der Gesetze und Verordnungen zulässt.
Hallo, Herr Kaiser!
Ein gutes Beispiel dafür bietet die verpflichtende Beratungsdokumentation. Die wohl bekannteste Form der Dokumentation ist der sogenannte WpHG-Bogen. Es gibt ihn in unzähligen Ausprägungen, was sich nicht nur am variierenden Umfang festmacht. So werden etwa sehr unterschiedliche Begriffe und Klassen für die Risikoeinordnung des Anlegers verwendet oder die finanzielle Risiko-tragfähigkeit (Liquidität, Vermögen/Verbindlichkeiten) wird mehr oder weniger detailliert ermittelt. Natürlich ist selbst die kürzeste Dokumentation mit zwei bis drei Seiten rechtskonform, dafür sorgen fachlich spezialisierte Juristen. Der Forderung der Anlegerschützer nach mehr Transparenz und Klarheit kommt dies aber nur teilweise entgegen.
Analyseprozess in 3 Prozessschritten
Genau hier hilft die DIN SPEC 77223. Dieser Standard baut auf den gesetzlichen Rahmenbedingungen von WpHG und FinVermV auf und konkretisiert in einem standardisierten Analyseprozess die Prüfung von Geeignetheit und Angemessenheit. Der Analyseprozess gliedert sich in drei Prozessschritte:
- Datenaufnahme
- Risikoprofilierung des Anlegers
- Prüfung von Kenntnissen und Erfahrungen
- Ermittlung der (subjektiven) Risikobereitschaft des Anlegers
- Prüfung der (finanziellen) Risikotragfähigkeit des Anlegers
- Festlegung der Anlagestrategie pro Anlageziel
Die Inhalte und Ergebnisse der Prozessschritte werden nach Durchführung in einem standardisierten Risikoanalysebogen beziehungsweise einem Protokoll dokumentiert.