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Hans-Jörg Naumer: „Proletarier aller Länder, beteiligt euch!“

DAS INVESTMENT: Ihre Studie prognostiziert für 2025 einen Anstieg der Dividenden im MSCI Europe auf 459 Milliarden Euro. Was sind die Haupttreiber für diesen erwarteten Zuwachs?
Hans-Jörg Naumer: Wir erstellen unsere Prognose immer aus Anlegersicht: Jemand investiert jetzt frisches Geld und erwartet, dass die Firmen dieses investieren, Gewinne erwirtschaften und für das Jahr 2025 ausschütten. Als Grundlage dafür dient unser Konjunkturausblick. Wir haben analysiert, welche Branchen als Dividendenzahler besonders in Frage kommen – größtenteils die üblichen Verdächtigen.
Zudem berücksichtigen wir, dass Unternehmen ihre Dividendenpolitik sehr stetig fortsetzen, also mit großer Vorausschau ihre Dividenden festlegen und nach Möglichkeit anheben. Im Stoxx Europe 600 erhöht der überwiegende Teil der Unternehmen jedes Jahr die Dividenden, es gibt nur wenige Ausnahmen.
Die Konjunkturentwicklung ist der Haupttreiber, kombiniert mit der Verstetigung der Dividendenpolitik. Ich halte unsere Prognose mit 4 Prozent nominalem Wachstum für äußerst realistisch, vielleicht sogar für etwas zu konservativ. Wenn man sich die ersten Gewinnschätzungen der Analysten für das laufende Jahr anschaut, sieht es gut aus. Deutschland hat zwar konjunkturell große Probleme, aber Europa steht insgesamt besser da.
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DAS INVESTMENT: Ihre Studie prognostiziert für 2025 einen Anstieg der Dividenden im MSCI Europe auf 459 Milliarden Euro. Was sind die Haupttreiber für diesen erwarteten Zuwachs?
Hans-Jörg Naumer: Wir erstellen unsere Prognose immer aus Anlegersicht: Jemand investiert jetzt frisches Geld und erwartet, dass die Firmen dieses investieren, Gewinne erwirtschaften und für das Jahr 2025 ausschütten. Als Grundlage dafür dient unser Konjunkturausblick. Wir haben analysiert, welche Branchen als Dividendenzahler besonders in Frage kommen – größtenteils die üblichen Verdächtigen.
Zudem berücksichtigen wir, dass Unternehmen ihre Dividendenpolitik sehr stetig fortsetzen, also mit großer Vorausschau ihre Dividenden festlegen und nach Möglichkeit anheben. Im Stoxx Europe 600 erhöht der überwiegende Teil der Unternehmen jedes Jahr die Dividenden, es gibt nur wenige Ausnahmen.
Die Konjunkturentwicklung ist der Haupttreiber, kombiniert mit der Verstetigung der Dividendenpolitik. Ich halte unsere Prognose mit 4 Prozent nominalem Wachstum für äußerst realistisch, vielleicht sogar für etwas zu konservativ. Wenn man sich die ersten Gewinnschätzungen der Analysten für das laufende Jahr anschaut, sieht es gut aus. Deutschland hat zwar konjunkturell große Probleme, aber Europa steht insgesamt besser da.
Sie betonen in Ihrer Studie, dass Unternehmen zu einer stetigen Dividendenpolitik neigen. Welche Faktoren beeinflussen diese Tendenz zur Stabilität oder auch dazu, Ausschüttungen zu erhöhen?
Naumer: In Deutschland und Europa haben wir – anders als in den USA – eine klare Fokussierung auf Dividenden als Signal, dass es dem Unternehmen gut geht. Amerika setzt eher auf Aktienrückkaufprogramme, was auch steuerliche Gründe hat. Da sowohl institutionelle als auch private Anleger in Europa sehr stark auf die Dividenden achten, ist die Motivation für Unternehmen klar: Sie wollen signalisieren, dass sie die Dividende halten oder sogar anheben können, weil sie auf einem Wachstumspfad sind. Es ist ein starkes Signal.
Natürlich gibt es Ausnahmejahre wie nach der Lehman-Krise oder zu Beginn der Corona-Pandemie. Aber aus Anlegersicht bedeutet die stetige Dividendenpolitik einen sehr konstanten oder sogar wachsenden Zahlungsstrom, in den sie investieren können. Das ist ein starkes Argument für Dividendentitel.
Sie heben die Bedeutung von Dividenden für die Gesamtrendite hervor. Können Sie erläutern, warum Dividenden in den letzten 40 Jahren etwa 36 Prozent zur Gesamtrendite europäischer Aktien beigetragen haben?
Naumer: Diese Zahl aktualisiere ich jedes Jahr und finde sie immer wieder spannend. Sie lässt sich klassisch mit dem Anlage- und Zinseszinseffekt erklären. Wir vergleichen die Gesamtperformance inklusive Dividenden mit der reinen Kursentwicklung, und über diese lange Zeitspanne kommt ein beachtlicher kumulativer Effekt zustande.
Ich habe bewusst eine lange Zeitspanne gewählt, um deutlich zu machen: Wer in Aktien investiert, tut dies oft über viele Jahre. Gerade jüngere Menschen oder Menschen mittleren Alters, die bis zum Rentenalter investieren wollen, haben einen langen Anlagehorizont. Mit der 40-Jahres-Perspektive will ich ausdrücken: Ein großer Teil der Investitionsrendite – nämlich über ein Drittel – kommt aus Dividenden, und diese sind sehr stabil.
Anleger schauen naturgemäß oft auf die täglichen Kursbewegungen und empfinden den Aktienmarkt als sehr volatil. Ich rate dann: Schaut auf die Dividenden! Diese machen über die Zeit betrachtet 36 Prozent vom „Gesamtkuchen“ aus.
Dividenden werden oft als „Kirsche auf dem Sahnehäubchen“ gesehen. Sie betonen aber, dass sie einen wesentlichen Beitrag zur Rendite leisten.
Naumer: Absolut. 36 Prozent sind ein erheblicher Teil der Gesamtrendite über 40 Jahre. In der Studie habe ich das auch für kürzere Zeiträume von fünf und zehn Jahren analysiert, da nicht jeder einen 40-Jahres-Horizont hat. Selbst in schwierigen Fünfjahres-Zeiträumen, in denen Krisen stärker durchschlagen, liefern Dividenden einen stabilisierenden Faktor.
Eine Binsenweisheit dabei: Eine Dividende kann nicht negativ werden. Im europäischen Markt als Ganzes sind die Dividendenzahlungen nie komplett ausgefallen. Bei einzelnen Unternehmen kommt das natürlich vor, aber insgesamt bringen Dividenden immer einen positiven Beitrag – auch in schwierigen Phasen, in denen sie helfen, die Gesamtrendite zumindest in Richtung Nulllinie zu bringen.
Es gibt deutliche Unterschiede im Dividendenbeitrag zur Gesamtrendite zwischen verschiedenen Regionen: In Europa liegt er bei 36 Prozent, in Nordamerika bei 22 Prozent und in Asien-Pazifik bei 41 Prozent. Wie erklären Sie diese Unterschiede?
Naumer: Die USA haben eine andere Kultur. In Amerika sind Dividenden historisch weniger bedeutend. Unternehmen wie Google oder Microsoft haben lange Zeit kommuniziert: „Wir investieren das Geld lieber. Wenn ihr Geld braucht, verkauft einfach die Aktien.“ Das war die Philosophie. Erst langsam haben auch diese großen Player begonnen, zumindest kleine Dividenden auszuschütten.
Wenn man sich die Entwicklung anschaut, ist der Anteil der dividendenzahlenden Unternehmen in den USA über die Zeit gestiegen, ging während Corona zurück und hat das alte Niveau noch nicht ganz wieder erreicht. Es gibt eine leichte Annäherung an europäische Verhältnisse, aber der Unterschied bleibt deutlich – was sich in dem geringeren Beitrag zur Gesamtrendite widerspiegelt.
In Asien ist das Ausschüttungsverhalten näher an Europa als an den USA. Wir beobachten, dass Investoren dort sehr stark auf Kapitaleinkommen ausgerichtet sind. Das erklärt den höheren Dividendenbeitrag in dieser Region.
Dividenden schwanken insgesamt weniger als Unternehmensgewinne. Welche Implikationen hat das für Anleger in volatilen Marktphasen?
Naumer: Das ist ein wichtiger Punkt. Gerade in volatilen Marktphasen puffern Dividenden enorm ab. Unternehmen verfolgen die Strategie „Ich verteidige meine Dividende“, weil eine Kürzung ein negatives Signal wäre, das der CFO vermeiden möchte.
Wir haben uns das auch aus einem anderen Blickwinkel angeschaut: Wir haben Portfolios nach ihrer Volatilität analysiert und dabei dividendenzahlende mit nicht-dividendenzahlenden Unternehmen verglichen. Interessanterweise zeigt sich, dass die nicht-dividendenzahlenden Unternehmen noch einmal deutlich volatiler sind.
Das bedeutet, ich habe zwei stabilisierende Faktoren:
Erstens sind Dividenden planbarer als Gewinne, und zweitens sind Unternehmen, die sich als Dividendenzahler positionieren, weniger volatil als Nicht-Zahler. Das erhöht die Stabilität im Portfolio.
Natürlich gibt es immer Schwankungen, aber für Anleger, die ihr Geld arbeiten lassen und Kapitaleinkommen erzielen möchten, ohne die letzte Performance-Spitze mitzunehmen, ist eine Dividendenstrategie sehr geeignet.
Welche Sektoren werden 2025 voraussichtlich besonders starke Dividendenzahlungen leisten?
Naumer: Wir sind da relativ breit aufgestellt. Traditionell sind Finanzwerte, primär Versicherer, starke Dividendenzahler. Auch Konsumtitel sind stark vertreten. Was wir kaum sehen, ist die Energieseite. Die Technologiebranche ist in Europa ohnehin schwächer vertreten als in Amerika und zeigt zudem eine Zurückhaltung bei Ausschüttungen.
Können Dividendenstrategien auch zur Stabilisierung eines Portfolios in Zeiten wirtschaftlicher Disruption beitragen?
Naumer: Das ist eine wichtige Frage, denn Disruption bedeutet ja den Angriff auf traditionelle Geschäftsfelder. Wir erleben aktuell mehrere disruptive Kräfte gleichzeitig: demografische Entwicklung, Digitalisierung, Dekarbonisierung und De-Globalisierung.
Die Herausforderung besteht meines Erachtens nicht primär darin, in Dividendenkategorien zu denken, sondern sich zu fragen: Welche Unternehmen meistern diese Disruption am besten? Technologieunternehmen werden gerne als Antwort genannt, aber wir sehen gerade, dass auch High-Flyer mal gerupft werden können. Eine Technologie ist nur so lange führend, bis die nächste sie verdrängt – das ist Disruption pur.
Die Anforderung an das Portfolio-Management ist daher, die Unternehmen zu identifizieren, die auf diese Disruption am besten eingestellt sind – quer über alle Segmente hinweg. Das ist ein klarer Fall für aktives Management, denn die Disruption, die wir gerade erleben, ist derartig rasant, dass uns manchmal gar nicht bewusst ist, was da alles passiert.
Welche Risiken sehen Sie für die prognostizierte Dividendenentwicklung in Europa?
Naumer: Wie gesagt, halte ich unsere Prognose von 4 Prozent Wachstum für eher konservativ. Ein Risiko wäre natürlich eine stärkere Konjunkturabkühlung als erwartet. Für Deutschland gehen wir aktuell davon aus, dass wir mit Müh und Not die Nullgrenze beim Wachstum schaffen – vielleicht einen „schwarzen Streifen unterm Fingernagel“ darauflegen mit 0,3 oder 0,4 Prozent. Das ist aus ökonomischer Sicht lächerlich und nach den Jahren, die wir hinter uns haben, eine Katastrophe.
Ein weiteres Thema ist die Politik unter Trump in Amerika. Die drohenden Zölle könnten erhebliche Auswirkungen haben. Wenn es schnell käme, wäre es ein Warnsignal. Sollten die Zölle dann in die Größenordnung kommen, die für Mexiko mit 25 Prozent angedroht wurde – eine Verzehnfachung des aktuellen Niveaus – wäre das ein Rückfall um 30 bis 40 Jahre beim Freihandel. In diesem Szenario würde keine unserer Wachstumserwartungen standhalten. Das ist für mich das größte Preisrisiko.
Wie schätzen Sie die globale Staatsschuldenproblematik als möglichen Risikofaktor ein?
Naumer: Aus Dividendensicht ist das weniger relevant. Aber natürlich ist das Thema Schulden bedeutsam. In den USA hat Trump faktisch eine Schuldenstrategie, auch wenn er sagt, er wolle die Inflation bekämpfen und die Preise drücken. Durch seine Ausgabenprogramme und vor allem durch sein Steuersenkungsprogramm verfolgt er eine klare Verschuldungsstrategie. Es ist unsere feste Überzeugung, dass die Zolleinnahmen die entfallenen Steuereinnahmen nicht kompensieren werden.
Was im Markt noch nicht eingepreist ist, ist das Risiko eines „Truss-Moments“ – benannt nach der kurzzeitigen britischen Premierministerin, deren Schuldenpläne zu erheblichen Marktturbulenzen führten. Wenn die Märkte das Vertrauen in die Schuldentragfähigkeit verlieren, könnte es zu starken Reaktionen über die Risikoprämien am Anleihenmarkt kommen.
Auch in Europa sehe ich Risiken, etwa in Frankreich. In Deutschland bin ich ein großer Anhänger der Schuldenbremse, weil sie den Verteilungskonflikt offenbar werden lässt und den Druck für notwendige Veränderungen erhöht. Unsere Sozialausgaben sind angesichts der demografischen Entwicklung eine Vollkatastrophe für die junge Generation.
Aber die aktuelle Politik zeigt auch hier, dass die „Bremskraft“ der Schuldenbremse durch „Sondervermögen“ außer Kraft gesetzt werden dürfte. Verständlich, wenn es um unsere Verteidigung geht, nicht verständlich, wenn nicht rigoros über alle Ausgabenpositionen gegangen wird. Machen wir uns nichts vor: Wir leben längst über unsere Verhältnisse.
Als Aktieninvestor bin ich da gelassener: Aktien sind ein Hedge gegen die Inflation. Die Ausgaben erfreuen die Unternehmer – und die Aktionäre, die ihr Geld für sich arbeiten lassen, zum Beispiel im Kapitaleinkommen zu erzielen. Das wird auch immer wichtiger, den die Rentenversicherung bedarf dringender Reformen.
Ein Aspekt, der in Ihrer Studie überrascht: In Deutschland machen Kapitaleinkommen nur einen sehr kleinen Teil des Gesamteinkommens aus. Warum ist das problematisch?
Naumer: Das ist ein Thema, das mich wirklich umtreibt. In Deutschland wird Einkommen oft nur als Arbeitseinkommen verstanden. Ich versuche klarzumachen, dass wir in eine Zeit gehen, wo wir demografisch betrachtet unser Vermögen mehr oder minder verleben oder vererben, wo wir nicht mehr aktiv im Arbeitsleben stehen. Unser Haupteinkommensstrom kommt dann nicht mehr aus der Arbeit, sondern aus Renten und idealerweise auch aus dem eigenen Kapital.
Zudem reden wir über Disruption, KI, intelligente Roboter – und trotzdem halten wir an der Vorstellung fest, dass unser Haupteinkommen aus Arbeit kommen muss.
Wir müssen mehr dahin kommen, dass Einkommen ganz natürlich auch aus Kapital kommen kann und sollte.
Wenn man sich OECD-Daten anschaut, sieht man, dass in Deutschland der überwiegende Teil des Alterseinkommens aus der gesetzlichen Rente kommt. Nur ein kleiner Teil stammt aus betrieblicher und privater Altersvorsorge. Noch erschreckender: Nach Berechnungen des DIW kommen im Durchschnitt der gesamten deutschen Bevölkerung nur 2 Prozent des Gesamteinkommens aus Kapitaleinkommen! Und das erhalten nicht alle gleich. Da müssen wir umdenken.
In welche Richtung denn? Muss sich in Deutschland die doch noch oft vorherrschende Einstellung ändern, dass Einkommen aus Kapital irgendwie unseriös ist?
Naumer: Genau! Und ich plädiere für eine konsistente Förderung der Vermögensbildung – auch als „Populismusprophylaxe“. Wir brauchen mehr Netto vom Brutto für die Vorsorge. Die Idee wäre, von den 18,3 Prozent Rentenbeitrag einige Prozentpunkte herauszunehmen, den Staat eine Brückenfinanzierung für die entfallenen Beiträge machen zu lassen und dafür den Menschen zu ermöglichen, eigenes Vermögen aufzubauen, aus dem sie Kapitaleinkommen beziehen können.
Schon ein Kindervorsorgedepot mit 10 Euro im Monat kann über die Jahre zu einem beachtlichen Betrag anwachsen. Wer früh mit dem Investieren anfängt, lernt mit Risiken umzugehen und baut ein Vehikel auf, in das er später einsparen kann.
Wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass die staatliche Rente für alles reichen muss. Sie sollte eher für grundlegende Dinge wie die Miete reichen, während der andere Teil der Finanzierung kapitalgedeckt erfolgt.
Wir müssen Marx in unserem Denken über Bord werfen und verstehen, dass Kapitalbeteiligung der bessere Weg ist. In diesem Sinne würde ich Marx umschreiben: „Proletarier aller Länder, beteiligt euch!“
Über den Interviewten:
Hans-Jörg Naumer ist promovierter Volkswirt und leitet seit 2000 den Bereich Capital Markets & Thematic Research bei der Fondsgesellschaft Allianz Global Investors. Er ist unter anderem Herausgeber des Buches „Vermögensbildungspolitik“ und Autor von „Grünes Wachstum“.



