Krankenversicherungen Gesundheit in Deutschland: Wo zukünftig die meisten Fälle von Depression drohen
„Sitzen ist nicht das neue Rauchen, sondern noch schlimmer“, warnt aktuell Ingo Froböse, wissenschaftlicher Leiter des DKV-Reports 2023: Zum siebten Mal haben die DKV Deutsche Krankenversicherung aus der Ergo-Versicherungsgruppe und die Deutsche Sporthochschule Köln hierfür jetzt wieder das Gesundheits- und Bewegungsverhalten der Deutschen untersucht. In einer repräsentativen Umfrage haben die Meinungsforscher von Ipsos im Februar und März insgesamt 2.800 Menschen bundesweit per Telefon zu ihren Lebensgewohnheiten interviewt. Die beiden Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland sowie Niedersachsen und Bremen wurden bei den Ergebnissen jeweils zusammengefasst.
Die Resultate sind aber für alle Regionen ähnlich besorgniserregend. Das gilt beispielsweise für das diesjährige Sonderthema „Psychisches Wohlbefinden“. Der durchschnittliche Wert hierfür beträgt bei den Teilnehmern 62 von 100 möglichen Prozentpunkten. Jeder vierte Befragte gibt jedoch ein niedriges subjektives psychisches Wohlbefinden an. Dies könne „als erster Hinweis für die Entwicklung einer Depression angesehen werden“, erklärt der Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln und Leiter des dortigen Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung. Mit 29 Prozent erreichen Frauen häufiger ein niedrigeres subjektives Wohlbefinden als die männlichen Befragten mit 22 Prozent. Ein guter Weg hin zu einem glücklicheren Lebensgefühl seien demnach regelmäßige sportliche Aktivitäten.
Bewegung sorgt für Wohlbefinden
Auch die Ergebnisse des DKV-Reports deuten darauf hin, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen ausreichender Bewegung und subjektivem Wohlbefinden gibt: „Wer sich wohl fühlt, bewegt sich mehr beziehungsweise wer sich mehr bewegt, fühlt sich wohler.“ Doch statt sich mehr zu bewegen, sitzen die Deutschen von Jahr zu Jahr immer länger: Jede Deutsche verbringt durchschnittlich 9,2 Stunden am Tag im Sitzen. Das ist noch einmal eine halbe Stunde mehr als während der Corona-Pandemie. Im Jahr 2021 waren es bereits 8,7 Stunden. Und bei den Teilnehmern im Alter zwischen 18 und 29 Jahren sind es aktuell sogar mehr als zehn Stunden.
Dies ist auch der laut Froböse erschreckend hohe Negativrekordwert für die werktägliche Sitzzeit in Nordrhein-Westfalen (siehe Grafik unten). „Eine Verminderung der täglichen Sitzzeiten durch Bewegung reduziert das Sterberisiko erheblich“, mahnt der Sportwissenschaftler. Hilfreich seien daher mehr aktive Erholungspausen im Arbeitsalltag: Aktivitäten, wie zum Beispiel Spazieren gehen (70 Prozent), Ausgleichübungen und Sport (67 Prozent) oder auch Entspannungstechniken (47 Prozent) werden zwar häufig als sehr gut oder gut bewertet. Genutzt werden sie aber nur selten: Nur 19 Prozent gehen Spazieren, 5 Prozent machen Ausgleichsübungen oder Sport und lediglich 4 Prozent bauen häufig Entspannungstechniken in ihren Arbeitsalltag ein.
Kriterien für gesunden Lebensstil
Nur 17 Prozent der Befragten erreichen den Benchmark für ein rundum gesundes Leben in allen fünf Lebensbereichen: körperliche Aktivität, Ernährung, Rauchen, Alkohol und Stressempfinden. Das heißt, sie bewegen sich ausreichend, sie ernähren sich ausgewogen, verzichten auf Nikotin und Alkohol und können mit ihrem Stressaufkommen gut umgehen. Damit leben im Vergleich zu 2021 zwar wieder mehr Menschen ein rundum gesundes Leben (2021: 11 Prozent), dennoch bleibt das Niveau niedrig. Frauen haben dabei die Nase vorn: Während jede fünfte Frau (20 Prozent) alle Benchmarks meistert, schafft das nur jeder siebte Mann (14 Prozent).
Die Auswertung nach Bundesländern zeigt, dass die Einwohner von Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Baden-Württemberg am häufigsten alle fünf Benchmarks erreichen (jeweils 21 Prozent). Das Schlusslicht bildet Nordrhein-Westfalen, wo nur 12 Prozent der Bürger alle Benchmarks für einen gesunden Lebensstil erreichen. „Die Ergebnisse des DKV-Reports zeigen deutlich: Die Deutschen lassen ihre Gesundheit sitzen. Nicht einmal jeder fünfte Deutsche erfüllt die Kriterien für ein gesundes Leben. Als Krankenversicherer sehen wir, welche Folgen ein sitzender Lebensstil, Bewegungsmangel und fehlendes Muskeltraining auf lange Sicht haben. Das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu einer Pflegebedürftigkeit im Alter steigt bei fehlender Bewegung. Das Sterblichkeitsrisiko für Dauersitzer mit wenig körperlicher Aktivität – und das betrifft jeden zehnten Befragten – ist gegenüber den aktiven Wenigsitzern substanziell erhöht“, kommentiert DKV-Vorstandsvorsitzender Clemens Muth.
Hallo, Herr Kaiser!
Ungesunder Umgang mit Stress
„Regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung und ausreichend Regeneration sind neben Nichtrauchen und sozialen Kontakten, die besten Zutaten für ein gesundes Leben.“ Doch in der Praxis „kleben die Deutschen im Durchschnitt 554 Minuten, also über 9 Stunden pro Werktag, auf ihren Stühlen, Sesseln und Sofas“, so Muth weiter. „Auch die Psyche leidet. Ein Viertel der Befragten fühlen sich subjektiv nicht wohl. Auch wenn die Ursachen hierfür vielfältig sind, zeigt der Report, dass es einen Zusammenhang zwischen ausreichender Bewegung und subjektivem Wohlbefinden gibt.“ Jeder Mensch benötige ausreichend viel Zeit zur Regeneration und zum Durchatmen.
Hieran scheint es aber zu mangeln, denn knapp mehr als die Hälfte der Befragten erreicht weiterhin nicht den Benchmark Stress. Der aktuelle Wert liegt mit 48 Prozent zwar 8 Prozentpunkte über der Kennzahl im Corona-Ausnahmejahr 2021. Dennoch empfinden 28 Prozent ihre Stressbelastung als hoch beziehungsweise sehr hoch. Letzteres ist vor allem bei Frauen (32 Prozent) stark ausgeprägt und tritt bei ihnen häufiger auf als bei Männern (25 Prozent). Auch das Alter spielt eine Rolle: Die Menschen in der sogenannten „Rushhour des Lebens“ – im Alter zwischen 30 und 45 Jahren – erreichen am wenigsten (35 Prozent) den Benchmark Stress. Wenn nämlich Beruf, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen geballt zusammenkommen, bleibt zum Verschnaufen kaum Zeit. Die Folge: Nur jeder zehnte von ihnen führt ein rundum gesundes Leben.
Weltgesundheitsorganisation empfiehlt Muskeltraining
Den Benchmark Aktivität (ausdauerorientierte Bewegung) schaffen laut diesjährigem DKV-Report zwar immerhin rund 72 Prozent (2021: 70 Prozent; 2018: 69 Prozent). Das jetzt erstmals berücksichtigte Kriterium Muskelaktivität (mindestens zweimal pro Woche) erfüllen allerdings nur 40 Prozent der Befragten. „Dabei profitieren vor allem die Älteren stark von einem regelmäßigen Muskeltraining, denn ab dem 30. Lebensjahr geht die Muskulatur ohne Training stetig zurück. Mit Muskeltraining können wir dagegen arbeiten und damit sogar einen wichtigen Schutzfaktor gegen Pflegebedürftigkeit im Alter aufbauen“, erklärt Froböse.
Und nur 38 Prozent erreichen die kombinierten Bewegungsempfehlungen von Ausdauer- und Muskelaktivität. „Dabei gelten Bewegung im Alltag sowie ein strukturiertes Ausdauer- und Muskeltraining zu den wertvollsten und effektivsten Strategien gegen viele chronische Lebensstil-Erkrankungen.“ Als konkrete Beispiele nennt der Kölner Professor Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Probleme sowie verschiedene Krebsarten, muskuloskelettale Erkrankungen wie Arthrose und Osteoporose, aber auch seelische Leiden wie Depression. Das psychische Wohlbefinden sei aber bei jedem Vierten hierzulande heute so niedrig, dass er oder sie potenziell depressionsgefährdet ist.
Psyche ist Hauptgrund für eine Berufsunfähigkeit
Insbesondere während der Corona-Pandemie wurden viele Beschäftigte wegen Depressionen krankgeschrieben: Laut den Daten des drittgrößten gesetzlichen Krankenversicherers DAK erreichten psychische Erkrankungen einen neuen Höchststand. Und mit durchschnittlich 39,2 Tagen dauerte eine psychische Krankschreibung so lange wie nie zuvor. Psychische Krankheiten wie Depression und insbesondere das Burnout-Syndrom spielen aber auch in der Sparte Berufsunfähigkeitsversicherungen zunehmend die Hauptrolle, da inzwischen fast jeder dritte Leistungsfall auf sie zurückgeht. „Immer mehr Menschen in Deutschland werden wegen psychischer Erkrankungen berufsunfähig“, beobachtet beispielsweise Guido Bader.
„Die Abwärtsspirale, die beispielsweise in eine folgenschwere Depression führen kann, ist mitunter gar nicht so schnell zu erkennen. Doch wenn der Antragsteller bereits bei einigen Therapiesitzungen war und sich die Diagnose Depression bestätigt hat, ist es für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu spät“, so der Vorstandschef der Stuttgarter Versicherungsgruppe weiter. „Die schleichende Gefahr, psychisch zu erkranken, kann übrigens zwar jeden treffen, insbesondere trifft es jedoch Frauen bis zum 40. Lebensjahr. Tendenz steigend: Im Vergleich zu einer vorangegangenen Untersuchung der Deutschen Aktuarvereinigung vor 20 Jahren haben sie heute ein um über 30 Prozent erhöhtes Risiko, berufsunfähig zu werden.“ Das spiegele die steigende psychische Belastung während der vergangenen zwei Jahrzehnte wider.