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Dunning-Kruger-Effekt: Selbstüberschätzung kostet viel Geld

Die einen sind überzeugt, überdurchschnittlich gute Autofahrer zu sein, andere denken, sie wissen mehr über Raketentechnologie, die Energiewende, das Geldsystem oder Banken als alle anderen zusammen.
Gefährliches Halbwissen ist überall. Denn: Wer wenig weiß, hat oft das größte Ego. Doch was vielleicht bei Bankräubern im Film oder Autofahrern noch lustig ist, ist an der Börse der sichere Weg zu Verlusten.
Eine Hypothese wäre: „Wer viel über ein Thema weiß, zeigt sich selbstbewusst. Schließlich hat er ja Erfahrungen gemacht!“
Doch die Psychologie ist scheinbar paradox: Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die wenig über ein Thema oder einen Sachverhalt wissen, das größte Selbstvertrauen haben und die waghalsigsten Entscheidungen treffen. Erfahrenere Leute hingegen, die umfangreiches Wissen haben, sind sehr viel vorsichtiger, weil sie sich der Lücken ihres Wissens und exogener Faktoren bewusst sind. Damit ist diese Hypothese widerlegt.
Dunning-Kruger-Effekt: Warum Menschen sich selbst überschätzen
Dieser Effekt wird nach seinen Entdeckern David Dunning und Justin Kruger auch Dunning-Kruger-Effekt genannt. Konkret haben die beiden in ihren Experimenten erforscht, dass
- wenig kompetente Menschen dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen,
- überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht richtig einzuschätzen („andere zu unterschätzen“)
- und das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht richtig einzuschätzen.
Nüchtern, statistisch betrachtet, ist es schließlich unmöglich, dass die Mehrzahl der Autofahrer überdurchschnittlich gut Auto fährt.
Nüchtern betrachtet.
Das Problem der Inkompetenz
Du meinst, das sind Einzelfälle und du bist nicht betroffen?
Allgemein wird das vergleichsweise hohe Unfallrisiko beim Autofahren im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln (zum Beispiel Flugzeug) völlig unterschätzt, weil man selbst meint, sein Fahrzeug (anders als die anderen) „unter Kontrolle“ zu haben.
In der Weltgeschichte und der Politik finden sich zahlreiche Beispiele für den Dunning-Kruger-Effekt. Millionen Tote und enorme ökonomische Schäden sind auf inkompetente Politiker zurückzuführen, die mit Propaganda und Charisma Menschen überzeugt und hochriskante Strategien verfolgt haben, was häufig in Tragödien und Katastrophen endete.
Das Problem ist immer Inkompetenz gepaart mit einer „großen Klappe“ – die Inkompetenten sind lauter als die Erfahreneren und üben dadurch einen größeren Einfluss aus, mit potenziell katastrophalen Folgen.
Kognitive Verzerrungen kosten viel Geld
Unter Kapitalanlegern sind kognitive Verzerrung, insbesondere der Dunning-Kruger-Effekt, sehr verbreitet und können gleichzeitig richtig viel Geld kosten. Gerade Anleger mit wenig Erfahrung trauen sich an die riskantesten Anlageinstrumente wie obskure Kryptowährungen oder hochriskante Derivate. Dieses Verhalten wird besonders dann noch weiter ermutigt, wenn man mit den getroffenen Entscheidungen erste Erfolge erzielt. Stichwort Fehlattribution.
Der Dunning-Kruger Effekt umfasst auch die Fehleinschätzung, andere beurteilen zu können. Genauer: „Kann ich einschätzen, ob jemand anderes (zum Beispiel derjenige, der sich um meine Geldanlage und meine Rente kümmern soll) auch MEINE Interessen vertritt?“ („Klar, kann ich das beurteilen!“)
Problematisch ist hierbei, wenn man einer Illusion von Wissen unterliegt. Ein Anleger mit wenig Erfahrung könnte zum Beispiel schon einmal etwas von der Größe „Kurs-Gewinn-Verhältnis“ (KGV) gehört haben und der Auffassung sein, dass ein KGV von unter zehn niedrig ist (wie im Dax aktuell BMW, VW, Mercedes-Benz, Heidelberg Materials, Bayer, Deutsche Bank, BASF, Commerzbank, DHL, Fresenius, E.ON oder RWE), eine Unterbewertung der Aktie anzeigt und daraus ein Kaufsignal ableiten.
Ganz so einfach ist es in der Realität dann aber eben doch nicht.
Man würde damit unterstellen, dass alle anderen Anleger zu inkompetent waren, eine solch günstige Kaufgelegenheit zu identifizieren. In Wirklichkeit sind liquide Kapitalmärkte aber doch halbwegs effizient, was bedeutet, dass ein besonders niedriges KGV auch völlig berechtigt sein kann, wenn zum Beispiel die Wachstumsaussichten des Unternehmens schlecht sind.
Folgen des Dunning-Kruger-Effekts für Kapitalanleger können sein:
- Für aktive Anleger: Hochriskante Entscheidungen, zu geringe Diversifikation im Portfolio, Alles-auf-eine-Karte-Setzen, Overtrading und damit Entscheidungen mit zu hohe Trading-Kosten und zu schlechtem Risiko-Ertrags-Verhältnis treffen.
- Für Anleger, die Finanzberatung in Anspruch nehmen: Menschen zu vertrauen (Verantwortung zu delegieren), die
- es entweder selber nicht wissen (oftmals sind die lautesten Menschen selbst Opfer des Dunning-Kruger-Effekts), und/oder
- nur ihre eigenen (Provisions-, Rückvergütungs- und Affiliate-) Interessen haben, und/oder
- deren Kosten zu hoch sind und die Rendite auffressen (Dachfonds, Renten-/ Lebensversicherungen).
Wie man den Dunning-Kruger-Effekt umgehen kann
Wie kann man sich selbst vor den negativen Folgen des Dunning-Kruger-Effekts schützen?
- Ein erster Schritt besteht darin, sich seiner Existenz überhaupt bewusst zu sein.
- Als Zweites sollte man sich immer klarmachen, dass Erfolge (wie auch Misserfolge) auch auf Zufall beruhen können und keinesfalls ein Ausweis überlegener Fähigkeiten sein müssen.
- Drittens sollte man den Blick nicht auf diejenigen mit der großen Klappe, sondern auf erfahrene Mit-Menschen und -Trader richten und deren Meinung einholen.
Es gibt Menschen, die ihre Erfahrungen in Seminaren und Ausbildungen teilen. Vielleicht können sie sich vorstellen, dass diese selbst den Dunning-Kruger-Effekt schon überwunden haben und sich darum nicht so lautstark äußern.

Sich auf eine Reise des Lernens zu begeben und eigenes Wissen aufzubauen, kann schon mal etwas länger dauern als man annimmt. Im Endeffekt sorgt es aber dafür, dass man die Weichen für die Zukunft richtig stellt sind und das Risiko reduziert von anderen übervorteilt zu werden.
Über die Autoren
Christoph D. Wahlen und Gösta Jamin sind Gründer der Finanzakademie by Pro Coaching. In den vergangenen Jahrzehnten haben die beiden an der Börse selbst schmerzliche Erfahrungen mit Fehlern gemacht, die eigentlich vermeidbar gewesen wären. In der Serie „Geld-Psychologie" schreiben sie über Fallen, die unser Gehirn uns stellt, um dir dabei zu helfen, sie aufzudecken und zu vermeiden. Mehr Infos und Weiterbildungsangebote findest du auf Finanzakademie – by PRO Coaching.