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Gerd Kommer meint „Eigenheimverrentung“ ist eine schlechte Idee

Von , in AnalysenLesedauer: 10 Minuten
Wohnhäuser vor strahlend blauem Himmel
Eine Immobilie bedeutet Vermögen, an das die Besitzer nicht so leicht herankommen. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, daraus Liquidität zu gewinnen. | Foto: Imago Images / Zoonar

Selbstgenutzte Wohnimmobilien sind eine beliebte Form der Altersvorsorge. Etwa 45 Prozent aller deutschen Haushalte leben im Eigenheim (selbst genutzte Wohnung oder Haus). Umfragen zufolge streben rund zwei Drittel aller Mieterhaushalte kurz- oder langfristig ebenfalls Eigenheimbesitz an.

Allerdings hat das Eigenheim als Element der Altersvorsorge für viele Haushalte, die ihre Berufstätigkeit bald beenden oder schon beendet haben und die nicht in die Kategorie von „sehr reich/sehr vermögend“ fallen, einen strukturellen Nachteil, dem wir in diesem Artikel auf den Grund gehen.

Der fundamentale Nachteil von Immobilien als Investment in der Vermögensabbauphase

Wir illustrieren das Grundproblem anhand des Jungrentnerhaushalts Luisa und Ludwig (nachfolgend der Kürze halber „L&L“). Beide sind 65 Jahre alt, beide haben ihre Berufstätigkeit soeben beendet. Das Paar hat sich in den letzten 25 Jahren ein Vermögen von 500.000 Euro aufgebaut und ist schuldenfrei. Nach Beendigung der Berufstätigkeit sind L&L nun von der Vermögensaufbauphase in die Phase der Vermögensnutzung übergegangen.

In unserem ersten Betrachtungsszenario – nennen wir es Universum A – nehmen wir an, dass L&Ls Vermögen von 500.000 Euro vollständig aus liquiden Anlagen besteht, nämlich einem ETF-Depot im Wert von 300.000 Euro (ein einzelner ETF, der die Anlageklasse Aktien Global abbildet) und aus einem verzinslichen Tagesgeld von 200.000 Euro. Diese Aufteilung oder Asset-Allokation wird oft als 60/40-Portfolio bezeichnet, die für relativ vorsichtig investierende Haushalte zumeist gut passt. Das Portfolio erzeugt laufende Erträge (Zinsen, Dividenden) und Kursgewinne im Aktienteil.

 

L&L leben in einer schönen Dreizimmerwohnung zur Miete. Weil ihre zwei gesetzlichen Renten merklich niedriger sind als zuvor die beiden Gehälter und sie nicht „frugal“ leben möchten, haben sie nun zusammen eine Rentenlücke von 2.500 Euro im Monat oder 30.000 Euro im Jahr. Die zwei wollen diese Lücke aus ihrem liquiden Vermögen, ihrem ETF-Depot und Tagesgeldkonto, decken. Die anfängliche Entnahmerate beträgt daher 30.000 ÷ 500.000 Euro = 6 Prozent im Jahr.

Diese Entnahmerate setzt sich bei einem liquiden Investment wie im Fall von L&L in Bezug auf das Aktien-ETF-Depot aus Ausschüttungen und Anteilsverkäufen und in Bezug auf das Tagesgeldkonto aus Abhebungen zusammen. Die monatliche beziehungsweise jährliche Entnahme kann von L&L jederzeit flexibel erhöht oder gesenkt werden, sollte ihr tatsächlicher Liquiditätsbedarf von der Planung abweichen – was vermutlich recht oft vorkommt.

Je nachdem, welche durchschnittliche inflationsbereinigte (reale) Rendite nach Abzug von Kosten und Steuern man für das Gesamtportfolio unterstellt, würden die 500.000 Euro bei einer jährlichen realen Entnahme von 30.000 Euro im Mittel rund 24 Jahre bis zum vollständigen Verzehr reichen. Allerdings ist  die genaue Dauer für die Zwecke des hier zu analysierenden Sachverhaltes nicht bedeutsam. (Die anfänglich 30.000 Euro werden jedes Jahr parallel zur Vorjahresinflation erhöht.)

Im Paralleluniversum B unterstellen wir, dass L&L in einer selbst genutzten Dreizimmerwohnung, also im Eigenheim leben. Die Immobilie hat einen Marktwert von 500.000 Euro. Es ist die gleiche Wohnung, in der die beiden in Universum A zur Miete leben. Wiederum existiert kein weiteres Vermögen abgesehen von den Ansprüchen an die gesetzliche Rentenversicherung. In Universum B sparen sich die beiden aufgrund der entfallenen Miete jährlich 16.000 Euro an Lebenshaltungskosten. Diese Ersparnis resultiert aus einer eingesparten jährlichen Bruttomiete von 22.500 Euro gemindert um 6.500 Euro laufende Kosten per annum für Instandhaltung, Versicherung und Grundsteuer. Entsprechend beläuft sich ihre jährliche Rentenlücke nun nicht mehr auf 30.000 Euro, sondern nur noch auf 14.000 Euro. Jetzt wird die Herausforderung erkennbar: Woher sollen L&L diese 14.000 Euro (gerundet knapp 1.200 Euro pro Monat) nehmen, wenn nicht stehlen?

Die Kapitalbindung bei Immobilieneigentum

Das Problem: Die Substanz oder das „Kapital“ in einer Immobilie lässt sich nicht peu à peu verbrauchen wie bei einem Bankguthaben oder Wertpapierdepot. Ein laufender Verbrauch ist bei einer Immobilie lediglich bis zur Höhe der Nettomiete möglich. Die Nettomiete ist die (Brutto-)Miete abzüglich Aufwendungen für Instandhaltung, Versicherung und Grundsteuer.

Bei einem Eigenheim gibt es naturgemäß keine Mieteinkünfte, aber der Eigentümer spart sich Ausgaben in Höhe der Nettomiete, die er leisten müsste, gäbe es das Eigenheim nicht. In diesem Punkt besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen einer selbst genutzten und einer vermieteten Immobilie – in beiden Fällen kann man als Eigentümer nur den laufenden Nettoertrag verbrauchen, aber nicht die in der Immobilie gebundene Substanz, das Kapital.

Ein weiterer im Kontext von Liquidität und Cash-Flow ungünstiger Aspekt von Immobilien: Die Nettomiete beziehungsweise eingesparte Nettomiete (wie oben definiert) schwankt im Zeitablauf wegen der Unregelmäßigkeit und „Klumpigkeit“ von Instandhaltungsaufwendungen von Jahr zu Jahr beträchtlich. Bei größeren Reparaturen kann es in einem einzelnen Jahr sogar vorkommen, dass man als Eigentümer mehr in die Immobilie hineinstecken muss als man in Gestalt der ersparten Miete beim Eigenheim oder echten Miete bei einem Vermietungsobjekt aus ihr herauszieht. Dann liegt ein negativer Cash-Flow vor. Bei einem Wertpapierdepot kann das nicht passieren.

 

Einer Lobby-Organisation der deutschen Immobilienverrentungsbranche zufolge sollen in Deutschland über drei Millionen Eigenheimbesitzer ab 55 Jahren existieren, die sich aufgrund der Kapitalbindung im Eigenheim grundsätzlich mit einem Liquiditätsproblem konfrontiert sehen, also zu wenig Liquidität haben, aber ihre Immobilie zugleich nicht verkaufen möchten. Die Ursache des Liquiditätsproblems bei diesen Selbstnutzerhaushalten kann eine laufende Rentenlücke sein (zu wenig Einkommen relativ zu den Lebenshaltungskosten) wie im Falle von L&L. Das Geldproblem kann aber auch aus dem Wunsch resultieren, die Immobilie  modernisieren zu wollen oder eine größere Lifestyle-Ausgabe zu finanzieren, zum Beispiel einen Camper-Van oder ein Segelboot.

Wir beschreiben nun im Schnelldurchgang zehn finanzielle Lösungsansätze – Liquiditätsschaffungsmodelle – für solche Eigenheimhaushalte. Bei neun von den zehn Ansätzen geht es letztlich darum, das in der Immobilie gebundene Kapital für die Eigentümer zumindest teilweise freizusetzen, sprich liquide zu machen oder im Fachjargon: das Kapital in der Immobilie zu monetisieren, so dass der Eigentümer es bei Bedarf verbrauchen kann.

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Lösung 1: Absenkung des Lebensstandards

Im Grunde genommen ist das eine Nicht-Lösung für das Problem von Luisa und Ludwig und auf alle Fälle eine, die sie nicht möchten. Überdies sehen sie keine Notwendigkeit, ihrem 35-jährigen Sohn Louis ein Erbe zu hinterlassen. Louis verdient selbst gut, hat eine vermögende Frau geheiratet und bereits von sich aus klar gemacht, dass er nichts erben möchte. Lösung 1 scheidet für L&L also aus.

Lösung 2: Verkauf des Eigenheims, um eine neue preisgünstigere Immobilie zu kaufen

Neudeutsch nennt sich diese Lösung Downsizing. Sie kommt aber für L&L auch nicht in Betracht, weil sie ihren Lebensstandard nicht senken wollen. In einer kleineren oder schlechter gelegenen, billigeren Wohnung zu leben, würde aber genau das bedeuten. Außerdem hängen sie emotional an ihrer jetzigen Immobilie.

Lösung 3: Verkauf des Eigenheims und Mieten einer gleichwertigen Immobilie

L&L würden in diesem Fall ihre Wohnung einfach verkaufen, um dann ein neues, gleichwertiges Objekt in der Nähe zu mieten. Ein offensichtlicher Vorzug der Verkaufslösung relativ zu den meisten anderen Monetisierungsstrategien besteht darin, dass diese Vorgehensweise rechtlich und wirtschaftlich schön einfach ist. Außerdem kann die neue Mietimmobilie genau nach den gesundheitsbedingten und sonstigen Kriterien von L&L ausgesucht werden, die für ein älteres Ehepaar zu diesem Zeitpunkt vorwärtsgerichtet wichtig sind, beispielsweise Barrierefreiheit oder räumliche Nähe zu Sohn und Schwiegertochter.

Lösung 4: Einen Teil des Eigenheims vermieten

Den sprichwörtlichen Untermieter hereinholen: Das ist aus vielerlei Gründen nicht nach jedermanns Geschmack und auch nicht nach dem von L&L. Die Vermietung eines Teils der Immobilie scheitert darüber hinaus bei zahlreichen Eigenheimen daran, dass die Immobilie vom Grundriss her oder aus anderen baulichen Gründen nicht zur Teilvermietung geeignet ist.

Lösung 5: Verkauf des Eigenheims bei gleichzeitiger Einräumung eines Nießbrauchsrechts

Die Immobilie wird verkauft. Der Käufer (das könnte ein spezialisiertes Unternehmen oder eine Privatperson sein) räumt dem Alteigentümer (nachfolgend der Kürze halber „Alt-ET“) ein lebenslanges Nießbrauchsrecht ein, das notariell beurkundet und ins Grundbuch eingetragen wird.  Bei einer Wohnimmobilie gibt das dem Nießbraucher (dem Alt-ET) das Recht, weiterhin bis zu seinem Lebensende in dem Objekt zu wohnen, obwohl der Nießbraucher nicht mehr Eigentümer ist. Das Nießbrauchsrecht ist ein jahrhundertealter Typ von Nutzungsrecht für Immobilien (oder andere Wirtschaftsgüter) und wird in 59 Paragraphen des BGBs detailliert geregelt. Weil die im Grundbuch eingetragene Last das Objekt für den Käufer weniger wertvoll macht, ist der Verkaufspreis relativ zu einem nießbrauchfreien Objekt entsprechend niedriger.

Der Alt-ET kann sein Nießbrauchsrecht nicht veräußern, vererben oder verschenken. Wer die Kosten für die Instandhaltung trägt, kann einzelvertraglich geregelt werden, typischerweise ist es der Nießbraucher, da er ja den vollen wirtschaftlichen Nutzen aus der Immobilie hat.

Statt einer simplen Kaufpreiszahlung wäre auch eine lebenslange Leibrente denkbar, die der Käufer an den Alt-ET (Nießbraucher) zahlt. Von Leibrentenkonstruktionen raten wir generell ab. Sie haben mehrere große Nachteile, darunter das Grundproblem, dass der Zahlungspflichtige im Laufe der folgenden Jahre oder Jahrzehnte nicht mehr zahlt, zum Beispiel wegen einer Insolvenz. Dann kann der Rentenempfänger böse im Regen stehen. Dieses komplexe Risiko besteht selbst bei großen Versicherungsunternehmen wie der Allianz und ist bei kleineren Firmen oder gar Privatpersonen besonders hoch. Bei einer Eigenheimverrentung mit Leibrentenkonstruktion gibt es zwar Instrumente, dieses Kontrahentenrisiko (Ausfall des Rentenzahlers) partiell zu senken, etwa durch eine sogenannte Rückfallklausel. Aber solche Instrumente sind bestenfalls Heftpflasterlösungen und heilen das Grundproblem nur zum Teil.

Leibrenten bedeuten für den Empfänger, zweitens, inakzeptabel hohes Inflationsrisiko, da die Rente im Zeitablauf gar nicht oder nur in geringem vertraglich fixiertem Maße steigt. Bei einer Inflation von dauerhaft oberhalb circa drei bis vier Prozent p.a. würde die Kaufkraft der Renten daher im Zeitablauf drastisch sinken. Im Fall einer galoppierenden Inflation wäre sogar fast alles weg.

Weil Leibrenten in Deutschland nur von Privatpersonen, vom Staat und von lizenzierten, Bafin-regulierten Versicherungsunternehmen gewährt werden dürfen, wird in der Praxis oft folgendes Kombimodell praktiziert:

  • Schritt 1: Kaufpreiszahlung durch den Verrentungsanbieter
  • Schritt 2: Einzahlung des Kaufpreises in eine „Sofortrente“, die ein gesondertes Versicherungsunternehmen anbietet (vermutlich fließt dann für die Vermittlung eine Provision vom Versicherungsunternehmen an den Verrentungsanbieter)

So oder so gilt aus unserer Sicht: Finger weg von Leibrentenkonstruktionen, die im Prinzip anstelle einer einfachen Kaufpreiszahlung auch bei einigen der anderen nachfolgend skizzierten Immobilienverrentungsmodelle zum Einsatz kommen können. In der Praxis werden Leibrentenkonstruktionen aus guten Gründen jedoch selten gewählt.

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