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Dorniger Weg zum guten Zweck
ESG-Abfrage-Pflicht in der Praxis: Diese Erfahrungen machen Finanzberater
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Von in AnalysenLesedauer: 7 Minuten
Mann im Business-Outfit
Mann im Business-Outfit: Seit über einem Jahr ist die Frage nach den Nachhaltigkeitsvorlieben der Kunden Pflichtbestandteil von Finanzberatungsgesprächen. | Foto: Pexels / Andrea Piacquadio

Möchten sie ihr Geld auch nachhaltig anlegen – und wenn ja, wie genau? Und in welchem Umfang? Vor einem Jahr wurde die Frage nach Nachhaltigkeitsvorlieben Pflichtbestandteil von Beratungsgesprächen zu Finanz- und Versicherungsanlageprodukten. Berater sollen ihre Kunden seitdem aktiv mit der Nase auf das Thema Nachhaltigkeit stoßen. Auf diese Weise will der europäische Gesetzgeber Investitionen so kanalisieren, dass sie den nachhaltigen Wirtschaftsumbau stärker fördern. Unter anderem wurden dafür die europäischen Richtlinien Mifid II für den Finanzvertrieb und IDD für den Versicherungsvertrieb über zugehörige Verordnungen angepasst: Seit dem 2. August 2022 müssen Finanzberaterinnen und -berater das Thema verpflichtend aufgreifen. Für Vermittler und Berater, die nach Paragraf 34f und 34h der deutschen Gewerbeordnung tätig sind, gilt die Pflicht seit dem 20. April 2023.

Die Nachhaltigkeitsabfrage sollte ein großer Wurf sein. Mittlerweile wird sie jedoch vor allem als praxisfern und lästig wahrgenommen. In Beratungsgesprächen wird das Thema oft umschifft. Das heißt allerdings bei Weitem nicht, dass die Kunden am Ende nicht nachhaltig anlegen. Was ist passiert?

Nachhaltig anlegen wird populärer - aber nicht unbedingt im EU-Sinne 

„Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten im Supermarkt und haben verschiedene Müsliriegel im Sortiment“, zieht Lars Gentz einen bildhaften Vergleich. Gentz ist Geschäftsführer der Online-Beratungsplattform Walnut. Seine Geschichte: Ein Kunde will einen Müsliriegel kaufen und erkundigt sich, welcher Riegel am besten mit einer gesunden Ernährung vereinbar sei. Der Verkäufer versucht daraufhin, die Angaben der Verpackung zu interpretieren. „Doch anstelle der einheitlichen Nährstofftabelle kommt jedes Produkt mit einer anderen Darstellung der Inhaltsstoffe daher: mal Tabelle, mal Piktogramm, mal Fließtext.“ So ähnlich sei die Situation bei der Nachhaltigkeitsabfrage, findet Gentz.

Wenn es nach EU-Lehrbuch ginge, müssten Finanzberater ihren Kunden im Rahmen der Geeignetheitsprüfung zunächst drei unterschiedliche Konzepte von Nachhaltigkeit erklären. Nachhaltigkeit auf EU-Ebene lässt sich entweder an der Taxonomieverordnung oder an der Offenlegungsverordnung oder mit Blick auf sogenannte PAIs messen. PAI (Principle Adverse Impact) steht für wesentliche negative Auswirkungen auf vorab festgelegte Nachhaltigkeitsfaktoren. Kunden sollen jeweils einen Prozentsatz festlegen, mit dem jeder dieser Ansätze in ihrem Portfolio vertreten sein soll.

Gentz übersetzt in die Supermarkt-Analogie: „Der Kunde kann zu sämtlichen denkbaren Inhaltsstoffen eines gewünschten Müsliriegels detaillierte Vorgaben machen – etwa, dass der Zuckeranteil höchstens 5 Prozent betragen oder der Riegel keine Erdnüsse enthalten darf.“ Der Verkäufer müsse dann ein Produkt finden, das diesen Anforderungen möglichst genau entspricht – eine mitunter unlösbare Aufgabe.

Viele Banken, Großvertriebe und Maklerpools haben für ihre Vermittler eigene Beratungsstrecken im Angebot, in die die Nachhaltigkeitsabfrage integriert wurde. Bei Versicherungsanlagen ist das Thema in Vergleichsrechner aufgenommen worden. Am Ende der Abfragestrecken werden teilweise konkrete Produkte vorgeschlagen, die zu den Kunden passen sollen. „Seit Mitte 2022 können BCA-Geschäftspartner die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen beim Kunden intuitiv und regulatorisch einwandfrei über unsere Anlage-Software durchführen“, sagt Frank Ulbricht, BCA-Vorstand und Chef der angeschlossenen Bank für Vermögen.

„Ziel des Regulators konterkariert“

Das klingt gut, verrät aber nicht, wie oft die Nachhaltigkeitsabfrage wirklich so durchgeführt wird wie angedacht. Denn am Ende eines umständlichen Prozesses kann sich auch herausstellen, dass zu den konkreten Kundenvorlieben gar kein Produkt existiert. Es gibt allerdings eine Schnellstraße, die Beratern langatmige Erläuterungen und Kunden Frust ersparen kann: Wenn ein Kunde angibt, auf Nachhaltigkeit bei der Geldanlage verzichten zu wollen, kann der Berater im Protokoll ein Häkchen setzen und das Thema überspringen. Es ist ein offenes Geheimnis: Der Finanzvertrieb wählt recht häufig diesen Weg. Dem Kunden wird zu verstehen gegeben, dass alles andere den Fortgang verkompliziert. Nachhaltige Fonds lassen sich im Nachgang trotzdem auswählen.

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Selbst Beraterinnen und Berater, die für das Thema offen ist, schrecken davor zurück, nach EU-Regelwerk vorzugehen, glaubt Marcus Brenken, Makler Finanzen und Versicherungen und Chef des Beraternetzwerks Ökofinanz-21. Brenken ist seit 2005 auf nachhaltige Geldanlage spezialisiert. Von den jüngeren Vorgaben für Beratungsgespräche ist er enttäuscht. „Das Ziel des Regulators wird konterkariert“, meint er. Die Nachhaltigkeitsabfrage sei einfach eine Zusatzregel im ohnehin regulatorisch überfrachteten Beratungsgespräch geworden.

So weit die Beratersicht. Wie sehr interessieren sich aber hiesige Finanzkunden für Nachhaltigkeit? Fest steht: Menschen nehmen das Thema heute sensibler wahr als noch vor einigen Jahren. Nachhaltigkeit in Form von Umwelt- und Klimaschutz, aber auch Menschenrechten und Arbeitsbedingungen ist in aller Munde. Eine trotzige Gegenbewegung, wie sie sich in den USA formiert hat, konnte sich in Europa bislang nicht durchsetzen.

 

Wie sehr sich Finanzkunden für das Thema interessieren, darüber herrschen in der Vertriebsbranche geteilte Ansichten. Über eines ist man sich jedoch weitgehend einig: Die Nachhaltigkeitsabfrage schreckt sie eher ab. So meint etwa Vermittler Dennis Frohreich, Gründer von Frohreich Investments, dass sich nachhaltige Geldanlage bislang weniger auf Kundenseite etabliert habe: „Der Wandel geschieht eher auf der B2B-Ebene.“ Frohreich betont jedoch: Selbst wenn Kunden formal auf eine nachhaltige Geldanlage verzichteten, könnten sie im Nachgang dennoch in nachhaltige Fonds investieren – nachhaltig nicht im Sinne des EU-Gesetzgebers, sondern nach ihren eigenen Maßstäben. Ein Vorteil ist auch: Berater können ihren Kunden dann nachhaltige Fonds empfehlen, mit denen sie selbst seit vielen Jahren gute Erfahrungen gemacht haben.

Frage nach ESG-Vorlieben: Regeln sollen überarbeitet werden

Die praktischen Probleme, die die Nachhaltigkeitsabfrage mit sich bringt, hat man auf EU-Ebene sehr wohl registriert. Im September endete die Frist einer Umfrage der europäischen Wertpapieraufsicht Esma. Soweit aus Stichproben nachvollziehbar, hagelte es dort Kritik, sowohl von Asset Managern als auch aus dem Vertrieb: Die EU-Vorgaben seien zu umständlich. Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW bezeichnete sie gar als „weltfremd“. Vom Verband Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) heißt es, dass der „derzeitige Rahmen somit unzureichend ist, um das Interesse an nachhaltiger Geldanlage zu steigern.“ FNG-Spezialistin Verena Menne, Referentin für Recht und Regulatorik, bemängelt zudem, dass sich die Esma-Umfrage zu stark am komplizierten Ist-Zustand orientiere. „Es wurden 36 Detailfragen gestellt, die weder aus Sicht von Asset Managern noch von Beratern sinnvoll zu beantworten waren.“ Die Art der Esma-Abfrage lasse erahnen, dass sich nur Details, nicht aber die Abfragesystematik ändern werden.

Was neben der missglückten Pflicht zur Präferenzabfrage für ein breiteres Interesse an nachhaltigen Investments sorgen könnte? Dazu gibt es in der Branche viele Ideen. BCA-Vorstand Ulbricht zum Beispiel fordert klare Ausschlusskriterien. „Einigen Maklerkunden geht es schlicht darum, bestimmte Branchen oder Industrien aus der Anlage auszuklammern.“  

Nayely Orozca Lopez, Nachhaltigkeitsreferentin beim Hamburger Maklerdienstleister Netfonds, wünscht sich einheitlichere Daten: „Die unterschiedlichen Methoden der Datenanbieter erschweren den Vergleich der Produkte und die Zusammenstellung eines nachhaltigen Portfolios.“ Ein Datenstandard auf Regierungs- und Verbandsebene würde Finanzprodukte aus Berater- wie auch Kundensicht besser vergleichbar machen. „Eine europäische Datenbank für die Unternehmen ist bereits geplant“, erinnert Lopez. Diese könne helfen, Nachhaltigkeitsansätze transparenter und einheitlicher darzustellen. Makler Brenken meint: Dem Vertrieb wäre sehr geholfen, wenn Asset Manager ihre Informationen deutlich übersichtlicher gestalteten. So ließe sich die Lücke schließen, die der Gesetzgeber hinterlassen hat.

Sebastian Grabmaier, Chef des Technologie- und Maklerdienstleisters JDC, hat noch einen anderen Vorschlag, wie Endkunden für das Thema zu begeistern wären. Statt des Zwangs zur Nachhaltigkeitsabfrage sollten Vermittler besser auf die großen Investitions- und Gewinnchancen hinweisen. Energie, Infrastruktur oder Mobilität der Zukunft – Grabmaier weiß: „Wo Menschen Chancen und Gewinne wittern, da fließt in der Regel auch viel Geld hin.“

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