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Frische Ideen für festgefahrene Debatte
Provisionsverbot – für den EU-Finanzvertrieb gibt es auch Alternativen
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Frische Ideen für festgefahrene Debatte Provisionsverbot – für den EU-Finanzvertrieb gibt es auch Alternativen

Smiling business colleagues discussing work in office
Personen diskutieren: Das Provisionsverbot im Finanzvertrieb ist erstmal vom Tisch. | Foto: Imago Images / Westend61

Es war eine kleine Bombe, die die irische EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness da gezündet hatte – und die sich mittlerweile in Rauch aufgelöst hat. Allerdings ist das Thema damit nicht vom Tisch. Aber der Reihe nach: Ende vergangenen Jahres war bekannt geworden, dass die EU-Kommission über ein allgemeines Provisionsverbot im europäischen Finanzvertrieb nachdenkt. Das Provisionsverbot wurde als Teil der Kleinanlegerstrategie diskutiert, die die Kommission auf den Weg bringen will. Der Plan gelangte durch einen Brief von McGuinness an das EU-Parlament an die Öffentlichkeit.

Ihren Beschluss zur Kleinanlegerstrategie hat die EU-Kommission seither mehrmals verschoben. Er soll jetzt am 24. Mai kommen. Um ein allgemeines Provisionsverbot wird es dann allerdings nicht mehr gehen, hat McGuinness bereits klargestellt. Um neue Regeln für den Finanzvertrieb aber sehr wohl. Insofern lohnt es sich, das Thema Provisionsverbot im Auge zu behalten. Denn es ist zwar für diesen Anlauf, aber vermutlich nicht generell ad acta gelegt.

Provisionsdebatte – ein alter Hut

Die Debatte über Provisionen im Finanzvertrieb ist nicht neu. Seit Jahren wird das Für und Wider erörtert, auf deutscher wie auf EU-Ebene. Beide Seiten, Provisionsbefürworter und -gegner, argumentieren interessanterweise mit dem Verbraucherwohl. Viele Verbraucherschützer etwa würden ein Provisionsverbot wohl lieber heute als morgen durchgesetzt wissen. So setzt sich zum Beispiel Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg seit Langem aktiv dafür ein.

 

„In der Verbraucherberatung erleben wir täglich, zu welchem finanziellen Schaden provisionsorientierte Anlageberatung führt“, meint Nauhauser. An Vermittlern, die mit Provisionen arbeiten, sich also von Versicherern oder Fondsgesellschaften ihre Leistung vergüten lassen, will er kein gutes Haar lassen: „Ihre sogenannte Beratung ist Verkauf und daher nicht am Bedarf der Kundinnen ausgerichtet – sondern an der Höhe der Provision.“ Die Rückvergütungen der Produktgeber setzten falsche Anreize. Anlegern gehe so ein erheblicher Teil der möglichen Rendite aus Finanzanlagen verloren.

Kundenwohl – jeder will es

Auch die Vermittlerseite argumentiert mit dem Wohlergehen der Verbraucher: Ein Provisionsverbot ginge zulasten vieler Privatanleger, sagt Norman Wirth, Vorstandschef des Bundesverbands Finanzdienstleistung AfW. Der Verband vertritt die Interessen freier Finanz- und Versicherungsdienstleister in Deutschland. Hiesige Finanzkunden seien es nicht gewohnt, für Beratung gesondert zu zahlen. Grund: Im traditionellen, provisionsbasierten Finanzvertrieb ist die Vergütung für den Berater im Gesamtpreis der Fonds oder Versicherungen enthalten.

„Binnen kürzester Zeit würden gerade die auf eine Beratung angewiesenen Kleinanleger keine persönliche Beratung mehr erhalten“, zeichnet Wirth vor. Er verweist auf die Situation in Großbritannien, wo seit 2012 ein Provisionsverbot für Anlageprodukte gilt. Die britische Finanzaufsicht hatte jüngst eingeräumt, dass sich seit Einführung des Verbots die Qualität der Beratung insgesamt erhöht habe – dass sich jetzt aber fast nur noch wohlhabende Kunden an Finanzberater wendeten.

 

Ein dramatisches Bild entwirft Dirk Schmidt-Gallas. „Ein Provisionsverbot würde zu einem absoluten Mangel an Beratung führen – und dazu, dass ein Großteil der Bevölkerung in 20 bis 30 Jahren massiv in die Altersarmut abrutscht“, prognostiziert der Unternehmensberater des Hauses Simon-Kucher. Er beruft sich auf Studien zum Verbraucherverhalten.

Ganz pragmatisch argumentiert dagegen der Fondsverband BVI. Gerade für Kleinanleger bringe die Provisionsberatung deutliche Vorteile: „Wer viel anlegt, zahlt viel, und wer wenig anlegt, zahlt wenig. Zudem bleibt die Beratung kostenfrei, wenn Sparer nichts kaufen“, heißt es in einem Positionspapier. Der BVI vertritt die Interessen der in Deutschland aktiven Fondsgesellschaften. Die meisten legen Fonds hierzulande so auf, dass beim Verkauf der Vertrieb mitentlohnt wird. Sogenannte Clean Share Classes für Privatanleger, also vertriebsvergütungsfreie Anteilsklassen, sind im Privatkundengeschäft noch rar. Im Versicherungsbereich heißen provisionsfreie Versicherungsverträge Nettopolicen. Diese sind noch ein recht junges Phänomen.

Die Zusammenarbeit zwischen Produktgebern und dem Vertrieb hat sich in langen Jahren eingespielt. In Deutschland sind im Wertpapierverkauf die Banken tonangebend. Deren Fondsverkauf funktioniert in aller Regel mit Provisionen. Schon von dieser Warte aus haben Provisions- Fans hierzulande eine starke Lobby.

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Honorare und Servicegebühren versus Provisionen

Neben der Provisionsvergütung können sich Finanz- und Versicherungsvermittler auch mit Honoraren oder Servicegebühren bezahlen lassen. Diese sind deutschlandweit sogar auf dem Vormarsch. Die Beratungsleistung wird den Kunden dann nach Stunden in Rechnung gestellt, oder der Berater wird anteilig nach angelegtem Vermögen bezahlt. Er erhält zum Beispiel 1 oder 1,5 Prozent. Anteilsmäßig ist das Provisionsmodell jedoch die mit Abstand häufigste Vergütungsform in Deutschland. Auch europaweit ist es weit verbreitet. Länder wie die Niederlande, Großbritannien und wenige andere haben Provisionen im Finanzvertrieb zwar auf nationaler Ebene verboten. Damit bleiben sie in Europa allerdings die Ausnahme.

 

Weil so viele Geschäftsmodelle an Provisionen hängen, wird die Debatte um Provisionsverbote stets emotional geführt. Die Interessenvertreter der Vermittler, neben dem AfW zum Beispiel auch Votum und der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), argumentieren nicht nur mit dem Verbraucherwohl, sondern auch mit der Lebenssituation der Berater. Ein Provisionsverbot bedrohe die Existenz etlicher Vermittlervertriebe und damit viele Arbeitsplätze. Dieses Argument dürfte Provisionsgegner wie Verbraucherschützer jedoch wenig interessieren.

Die Lager der Befürworter und der Gegner eines Provisionsverbots scheinen sich unversöhnlich gegenüberzustehen. Die Debatte, die in diesem Frühjahr zum wiederholten Male hochgekocht war, wirkte festgefahren. Dennoch tauchen auch neue Anregungen auf, wie sich Finanzberatung stärker am Endkunden orientieren könnte – ohne auf Verbote zu setzen. Denn auch diese Forderung ist häufig zu hören: Verbraucher sollten wählen können, ob sie sich provisions- oder honorarbasiert beraten lassen wollen.

Provisionsverbot – Ideen sorgen für frischen Wind

Das unterstützt selbst der auf Honorarberatung spezialisierte Davor Horvat, Chef des Finanzdienstleisters Honorarfinanz. „Ein Provisionsverbot in der Finanzberatung zieht zum jetzigen Zeitpunkt eine ganze Reihe an Kollateralschäden nach sich – für den Verbraucherschutz, Haushalte mit niedrigen Einkommen und die große Zahl der redlich arbeitenden Finanzdienstleister.“ Horvat schlägt vor: Finanzberater sollten besser geschult werden. Wer als Finanzberater tätig werden wolle, sollte mindestens zwei Jahre Berufsausbildung plus IHK-Prüfung absolvieren. Derzeit reicht allein eine Sachkundeprüfung bei einer IHK aus, um als Finanz- oder Versicherungsvermittler loszulegen.

Diese Idee unterstützt auch Christian Hammer, Geschäftsführer beim Hamburger Haftungsdach NFS Netfonds. Die Provisionsdebatte gehe am eigentlichen Problem vorbei, findet er. Denn es sei die Dienstleistung, die stärker in den Fokus rücken solle. „Kern der Debatte sollte nicht die Vergütung sein, sondern ob Beratung durch ein Provisionsverbot besser wird.“ Um Fälle zu unterbinden, in denen der Aspekt Beratung zu kurz komme, helfe es nicht, bei den Gebühren anzusetzen. „Reinen Verkäufern ohne Beratungsleistung sollte man erst gar nicht die Provision verwehren, sondern sie vom Markt ausschließen“, fordert Hammer. Entsprechende Fälle schadeten dem Ansehen der gesamten Branche. Eine gute Qualifizierung von Beratern sollte verbindlich werden.

 

Die Finanzwissenschaftler Hans-Wilhelm Zeidler und Hans-Peter Schwintowski haben einen anderen Vorschlag: Ein Provisionsverbot sei nicht notwendig, denn es gebe bereits ein anderes Instrument, das in der Finanzberatung zuverlässig vor Interessenkonflikten schütze: DIN-Normen. Mit der DIN 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“ lasse sich der Finanzanlage- und Vorsorgebedarf von Privatkunden verbindlich ermitteln. „Dadurch ist die von Fehlanreizen geleitete Priorisierung von Themen, zu deren Lösung provisionsstarke Produktklassen herangezogen werden können, per se ausgeschlossen“, sagen die Wissenschaftler. In einem offenen Brief an Maklerpools sowie Finanz- und Versicherungsvertriebe werben Zeidler und Schwintowski für Unterstützung ihrer Idee.

Provisionsvertrieb – Fortsetzung folgt 

Und es kommt noch ein anderer Vorschlag aus der Branche, zum Beispiel von Honorarfinanzchef Horvat. Wie wäre es mit festen Gebühren für die Beratung zu Finanzanlagen und Versicherungen? Jedem Verbraucher wäre dann von vornherein klar, was eine Beratung kostet. Die Idee gefällt auch Praktiker Marcus Seitz. Der Versicherungsprofi leitet ein Maklerunternehmen im bayerischen Burgebrach. „Es sollte für den Finanz- und Versicherungsvertrieb eine bundesweit einheitliche Gebührenordnung geben wie bei Ärzten und Rechtsanwälten“, findet Seitz. Verbindliche Vergütungsvorgaben könnten bewirken, dass Vermittlern kein Interessenkonflikt mehr unterstellt würde. Die Vergütung könne sogar weiter von Versicherern und Fondsgesellschaften kommen. Allein ihre die Höhe wäre dann festgelegt.

Und was wird jetzt aus dem Provisionsverbot? Finanzkommissarin McGuinness hat skizziert, dass die EU-Kommission zwar auf ein allgemeines Rückvergütungsverbot verzichte, die Zügel im Finanzvertrieb aber trotzdem enger zurren wolle. Kosten und Vergütungsanreize kommen neu auf den Prüfstand. Das Thema Provisionsverbot ist damit nicht verschwunden. Es schläft vermutlich nur.

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