LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
Lesedauer: 9 Minuten
ANZEIGE

Italiens Staatsschulden Ein offener Brief an Mario Draghi

Der italienische Staatspräsident Mario Draghi beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau
Der italienische Staatspräsident Mario Draghi beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau: In der Vergangenheit musste die EU viel Geld aufbringen, um den Peripherieländern in der Staatsschuldenkrise beizuspringen. | Foto: Imago Images / ZUMA Wire

Sehr geehrter Herr Draghi,

nach arbeitsreichen Monaten, in denen Sie eine zerstrittene italienische Regierung durch verschiedene Krisen geführt haben, freuen Sie sich sicher auf Ihren wohlverdienten Sommerurlaub. Bevor Sie und Ihre Mitarbeiter in die Ferien aufbrechen, wird die EZB auf ihrer nächsten Sitzung eine neue Maßnahme ankündigen. Ein neues Instrument gegen die Defragmentierung des Euroraums soll dafür sorgen, dass Sie Ihren Urlaub nicht wegen der Volatilität auf dem italienischen Anleihemarkt abbrechen müssen.

Wahrscheinlich wissen Sie bereits, wie dieses Instrument aussehen wird, denn Ihr Finanzteam arbeitet wahrscheinlich eng mit der Europäischen Zentralbank an seiner Gestaltung zusammen. Sie müssen die EZB gewarnt haben, „zu klotzen und nicht zu kleckern“, denn nur ein umfangreiches (vorzugsweise unbegrenztes) Programm wird ausreichen, um alle verbleibenden Ängste der Anleger auszuräumen.

Das OMT-Programm (Outright Monetary Transactions), das Sie im August 2012 als EZB-Präsident ankündigten, könnte ein wirksames Instrument sein; aber offenbar will keine Regierung die an dieses Programm geknüpften Bedingungen für wirtschaftliche Anpassungen unterschreiben. Vor diesem Hintergrund habe ich einige Anregungen für Ihre Regierung.

Schon vor der Einführung des Euro haben Sie viele Jahre im italienischen Finanzministerium gearbeitet. Sie wissen also um die starke Zinskonvergenz, die die Jahre vor 1999 prägte. Die Anleger waren gerne bereit, vor der Einführung des Euro in italienische Staatsanleihen (und andere Staatsanleihen der Peripherie) zu investieren, da sie über Carry gegenüber den „langweiligen“ deutschen Staatsanleihen verfügten. Die Anleger waren davon überzeugt, dass sich alle Regierungen der Eurozone an die Haushaltskriterien von Maastricht halten würden und dass die hoch verschuldeten Länder ihre Staatsverschuldung schließlich auf unter 60 Prozent des BIP senken würden.

Diese Hoffnungen wurden zu Beginn der Staatsschuldenkrise im Jahr 2011 zunichte gemacht, als sich herausstellte, dass Griechenland zahlungsunfähig war und andere Peripherieländer nicht in der Lage waren, sich über die Kapitalmärkte zu (re)finanzieren. Am Ende musste die EU viel Geld aufbringen, um den Peripherieländern in dieser Krise zu beizuspringen.

Zu Beginn der Staatsschuldenkrise standen Sie an der Spitze der italienischen Zentralbank. Es muss schmerzhaft gewesen sein, zu sehen, wie sich die Renditenaufschläge für italienische Staatsanleihen auf ein Niveau ausweiteten, das zuletzt 1995 erreicht worden war. Ihnen und anderen EZB-Kollegen war klar, dass das größte Problem für Italien in der Staatsverschuldung bestand, die auch nach der Einführung des Euro noch zu hoch war. Zusammen mit Trichet wendeten sie sich daher an die italienische Regierung, die zu diesem Zeitpunkt noch von Berlusconi geführt wurde. Die Idee war, dass die EZB mit dem Ankauf italienischer Anleihen beginnen würde, aber nur, wenn die italienische Regierung drastische und glaubwürdige Maßnahmen ankündigen würde, um ihre Schuldenlast zu senken. Dieser geheime Brief wurde (natürlich) ein paar Wochen später in der italienischen Presse veröffentlicht, woraufhin die italienische Regierung beschloss, dass es einfacher sei, Geld aus Brüssel zu nehmen.

Einige Monate später wechselten Sie nach Frankfurt an die Spitze der EZB und führten eine Reihe unorthodoxer geldpolitischer Maßnahmen ein, die die italienischen Renditen über viele Jahre hinweg drückten.

 In dieser Zusammenfassung gibt es nicht viel Neues für Sie, aber jetzt kommen wir zu den schwierigen Fragen. Als Sie im Februar 2021 italienischer Ministerpräsident wurden, müssen Sie gewusst haben, dass die Ära der billigen Kredite irgendwann zu Ende sein würde. Damals lag die Rendite 10-jähriger italienischer Anleihen bei etwa 50 Basispunkten, was eindeutig ein anormales Niveau und ein Geschenk der EZB an hochverschuldete Länder war.

·         Was hat Ihre Regierung unternommen, um einen glaubwürdigen langfristigen Plan zum Abbau des italienischen Schuldenüberhangs vorzulegen?

·         Haben Sie, als Sie an der Spitze der EZB standen, die Regierungen der Peripherieländer gewarnt, dass sie an der Schuldentragfähigkeit arbeiten sollten, während sie das Niedrigzinsumfeld genossen?

·         Haben Sie sie daran erinnert, dass der EU-Vertrag es der EZB ausdrücklich verbietet, Staatsschulden zu finanzieren?

·         Oder dass es für die EZB unmöglich wäre, ihre Aufkaufprogramme ewig fortzusetzen?

Die Antwort auf all diese Fragen lautet wahrscheinlich nein oder fällt unzulänglich aus, sodass der Handlungsspielraum der italienischen Regierung stark eingeschränkt ist.

James Carville, ein Finanzberater der Clinton-Administration, prägte das Bonmot, dass er, wenn es die Reinkarnation gäbe, gerne als Anleihemarkt zurückkehren würde, da dieser jeden einzuschüchtern vermöge. Zweifellos gerieren sich die Beobachter der Anleihemärkte manchmal wie ein Rudel Hyänen auf der Suche nach der schwächsten Beute. Aber Regierungen sollten sich nicht vom Anleihemarkt einschüchtern lassen und stattdessen langfristige Pläne für die Tragfähigkeit ihrer Schulden ausarbeiten. Wenn genügend Anleger glauben, dass ein solcher Plan glaubwürdig ist, werden sie weiterhin Anleihen kaufen.

Seit die EZB begonnen hat, in großem Umfang italienische Staatsanleihen zu kaufen, haben wir von den nachfolgenden Regierungen keinen glaubwürdigen Plan zum Abbau ihrer Schulden gesehen. Es ist kein Wunder, dass das OMT als früheres Defragmentierungsinstrument an Reformen geknüpft war. Ohne Auflagen werden sich die Regierungen einfach zurücklehnen und entspannen, während die EZB die schwere Arbeit (oder besser gesagt die massiven Käufe) übernimmt.

Meiner Meinung nach sollte das neue Defragmentierungsinstrument der EZB eine Konditionalitätsklausel enthalten. Ohne diese hätten künftige Regierungen der Peripherieländer keinen Anreiz zu Reformen. Doch auch mit einer solchen Klausel würden die Regierungen wahrscheinlich vor Reformen zurückschrecken – und die Spreads würden sich weiter ausdehnen. Als ehemaliger Präsident der EZB müssen Sie sich dieses Dilemmas bewusst sein, in dem sich das neue EZB-Direktorium bei der Arbeit am neuen Defragmentierungsinstrument befindet.

Mein Vorschlag wäre, dass die EZB ihr neues Instrument mit der Konditionalitätsklausel ankündigt und dass Ihre Regierung sich sofort für die erforderlichen Reformen einsetzt. Eine solche Kombination wäre für die Anleger glaubwürdig. Italien könnte damit als gutes Beispiel vorangehen; womit auch andere Staaten das Instrument in künftigen Krisenzeiten einsetzen würden.

Mit freundlichen Grüßen,


Hendrik Tuch
Head of Fixed Income NL
Aegon Asset Management

 

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen