Interview mit Barbara Liebermeister „Eine Führungskraft muss heute Kontrollverlust aushalten können“
Von der Luxuskosmetik zur Führungskultur, vom Marketing zum Networking: Barbara Liebermeister hat einen bemerkenswerten Weg hinter sich. Heute berät sie Unternehmen in Sachen Führung und Zusammenarbeit, schreibt Bücher über moderne Leadership-Kultur und hat nebenbei noch einen Master in kognitiver Neurowissenschaft gemacht. Im Gespräch mit DAS INVESTMENT erklärt sie, warum wildes Drauflos-Netzwerken Zeit verschwendet, weshalb digitale Meetings niemals persönliche Treffen ersetzen können und was Führungskräfte heute wirklich können müssen.
DAS INVESTMENT: Sie haben einen spannenden Werdegang – von der Luxusgüterbranche zur Expertin für Führungskultur. Wie kam es zu dieser Transformation?
Barbara Liebermeister: Ich bin ursprünglich BWLerin mit Schwerpunkt Marketing und komme aus dem Produktmanagement. Dort habe ich für große Namen wie Christian Dior, Moet Hennesy und L'Oréal gearbeitet. Später wechselte ich ins Projektmanagement und habe für viele verschiedene Unternehmen gearbeitet, von Start-ups bis hin zu großen Unternehmen wie Fidelity International. Oft bin ich eingesprungen, wenn Marketing-Leiter ausgefallen sind. Irgendwann sagte jemand zu mir: „Ich weiß nicht, warum du nicht das machst, was du am besten kannst – Menschen verbinden.“
Und das war der Moment der Erleuchtung?
Liebermeister: Als Marketerin ist man ja sowieso schon halb Psychologin, weil man ständig im Kopf der anderen unterwegs ist und sich fragt: Was brauchen die? Aber ich musste natürlich überlegen: Was macht man für ein Geschäftsmodell daraus? Also habe ich mich auf bestimmte Zielgruppen fokussiert, die ich bereits kannte und die genau das brauchen, was ich beherrsche: Rechtsanwälte, Unternehmensberater, Banker. Dort beriet ich, wie man strategisch Netzwerke aufbaut, sodass nachhaltige Beziehungen daraus entstehen. Dann kam die digitale Transformation, und mir wurde klar: In dieser Phase kommt es besonders auf zwischenmenschliche Fähigkeiten an, denn man braucht funktionierende Teams, weil man die Transformation alleine nicht schafft. Und das können die meisten nicht.
Sie haben dann ein Institut gegründet...
Liebermeister: Ja, weil mir auffiel: Obwohl es um zwischenmenschliche Beziehungen geht, wollen die Menschen Zahlen, Daten, Fakten. Also habe ich ein Institut gegründet, das rund um die Herausforderungen von Führungskräften forscht. Wir definieren die nötigen Kompetenzen und entwickeln sie weiter.
Technologie kann menschliche Interaktion nicht ersetzen
Und ganz nebenbei haben Sie auch einen Master in kognitiver Neurowissenschaft gemacht. Was hat Sie dazu bewogen?
Liebermeister: Ich wollte verstehen, wie das System Mensch funktioniert und wie wenig unser Gehirn auf digitale Zusammenarbeit ausgelegt ist. Erst wenn Menschen die neuronalen Zusammenhänge dahinter verstehen, wird ihnen bewusst, warum sie ihr Verhalten anpassen müssen, um im digitalen Raum langfristig zu performen. Und obwohl ich selbst seit zwei Jahren intensiv mit KI arbeite und neue Möglichkeiten teste, bin ich dennoch überzeugt, dass Technologie alleine die menschliche Interaktion nicht ersetzen kann.
Warum nicht?
Liebermeister: Kein Bildschirm kann die persönliche Interaktion ersetzen. Wenn wir ein ernst gemeintes Kompliment persönlich bekommen, schüttet unser Körper mehr Dopamin aus als bei einem digitalen Lob. Bei persönlichen Treffen sind alle unsere fünf Sinne aktiv. Unser ältester Sinn, der Geruchssinn, ist in der digitalen Welt komplett ausgeschaltet. Dabei gilt er als unser Überlebensinstinkt. Wir nehmen viele Dinge unbewusst wahr und können einordnen: Passt jemand zu uns ins Team oder nicht? Manchmal sagen Menschen „Die Nase gefällt mir nicht“ – tatsächlich haben sie dann oft etwas gerochen, was unter Umständen sogar auf eine Krankheit hindeuten könnte.
Kommen wir zum Thema Networking. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Todsünden?
Liebermeister: Der häufigste Fehler ist, dass die Leute wild drauflos Netzwerken, ohne sich über ihre Ziele im Klaren zu sein. Sie denken: „Oh, da ist eine Netzwerkveranstaltung, da sollte ich mal hingehen!“ Wenn man mittelfristig in einer Branche Fuß fassen will, dann sollte ich gezielt die größten Messen der Branche besuchen, die wichtigsten Player kennen und mein bestehendes Netzwerk nach relevanten Kontakten durchforsten.
Also Qualität statt Quantität?
Liebermeister: Absolut. Stellen Sie sich vor – ohne politisch werden zu wollen – Sie wären der beste Buddy eines hochkarätigen Politikers. Dann bräuchten Sie gar niemand anderen. Sie bekämen alle wichtigen Türen geöffnet. Es kommt nicht auf die Masse an, sondern darauf, wen ich tatsächlich im Netzwerk habe und wie hochwertig diese Beziehung ist.
Menschen haben einen natürlichen Fairness-Charakter
Was ist Ihr bester Netzwerk-Tipp?
Liebermeister: Gehe immer in Vorleistung. Wenn ich im ersten Gespräch merke, wo jemanden der Schuh drückt, schaue ich, ob ich in meinem Netzwerk bereits jemanden habe, der helfen könnte. Menschen haben einen natürlichen Fairness-Charakter – wenn ihnen jemand einen Gefallen tut, wollen sie normalerweise auch etwas zurückgeben.
Sie beschäftigen sich intensiv mit Führung im digitalen Zeitalter. Was macht heute eine erfolgreiche Führungskraft aus?
Karrierechancen aus der Finanzwelt!
Liebermeister: Eine der wichtigsten Eigenschaften ist eine hohe Kontrollverlust-Fähigkeit. Wir kommen aus einem Zeitalter von Command und Control, das in der Industrialisierung okay war. Damals wartete man eine Woche auf die Antwort auf einen wichtigen Geschäftsbrief, es standen Schlangen von Menschen, die für einen arbeiten wollten. Heute haben wir völlig andere Rahmenbedingungen: Fachkräftemangel, eine immense Informationsflut, die eine Führungskraft alleine nicht mehr bewältigen kann.
Das klingt herausfordernd...
Liebermeister: Ist es auch. Viele Führungskräfte wurden durch die Vergangenheit so konditioniert, dass sie eine niedrige Kontrollverlust-Fähigkeit haben. Das zeigt sich zum Beispiel im Mikromanagement. Dabei geht es heute darum, nach Ergebnissen zu führen statt nach Anwesenheit – egal ob im Büro oder im Homeoffice.
Viele Manager fluchen auf die Gen Z, die lieber zum Yoga wollen, statt auch mal Überstunden zu machen.
Liebermeister: Solche Situationen gibt es. Aber man darf nicht alle über einen Kamm scheren. Meine Praktikantin fragt auch schon mal, ob wir unser Meeting auf Sonntag verschieben können. So etwas erreichen Sie nicht von heute auf morgen. Welches Rollenmodell geben Sie ab? Wie inspirieren Sie Ihr Team? Wie zeigen Sie, dass es spannend ist, mit unterschiedlichen Charakteren, Kulturen und Altersgruppen zu arbeiten?
Welche Kultur wollen Sie im Team leben?
Wie schafft man das konkret?
Liebermeister: Wie Sie mit Menschen umgehen, ist in erster Linie eine Haltung. Dann sollte man sich bewusst sein, welche Kultur wir in unserem Team leben. Dieser Aussage auch ‚Leben einhauchen‘. Zeit investieren in die Frage: Was sind wir als Team? Was macht uns aus? Wie übernehmen wir füreinander Verantwortung? Sind wir nur eine Arbeitsgruppe oder wirklich ein Team? Das braucht Vorarbeit, Vertrauen und Beziehungsaufbau.
Aber es gibt doch auch Mitarbeiter, die einfach nur ihren Job machen wollen, ohne großes inneres Feuer ...
Liebermeister: Natürlich, und das ist auch völlig in Ordnung. Nicht jeder muss mit vollem Enthusiasmus und Hingabe arbeiten, um gute Arbeit zu leisten. Als moderne Führungskraft geht es mir darum, die individuellen Motive und Stärken meiner Mitarbeitenden zu verstehen. Das bedeutet, ich führe auf Augenhöhe, achte auf unterschiedliche Bedürfnisse und nutze diese Diversität, um ein leistungsfähiges Team zu formen. Jeder bringt etwas Einzigartiges mit, und meine Aufgabe ist es, das gezielt zu fördern und zu koordinieren. Genau deshalb habe ich meinen Master in kognitiver Neurowissenschaft gemacht: Um zu verstehen, wie unterschiedliche Menschen denken, was sie antreibt, und wie wir in der Zusammenarbeit Potenziale optimal nutzen.
Kommen wir noch mal zum Networking zurück. Was raten Sie introvertierten Menschen?
Liebermeister: Sie können sich einen „Herold“ suchen – früher ritten die Herolde dem Kaiser voraus und kündigten ihn an. Übertragen bedeutet das: Ich suche mir Menschen, die damit kein Problem haben, mir Türen zu öffnen oder mich zu Veranstaltungen mitzunehmen. Dabei bin ich ganz offen und sage: „Ich tue mir damit schwer, aber mein berufliches Ziel ist das und das. Könntest du mich unterstützen?“
Und das funktioniert?
Liebermeister: Absolut, wenn man es richtig macht und auch mal ‚danke‘ sagt. Ich sage dann zum Beispiel: „Ich habe eine Netzwerkliste gemacht und sehe, dass du mir in diesem Jahr die interessantesten Verbindungen verschafft hast. Du bist ein wichtiger Schlüsselpartner in meinem Netzwerk – kann ich dir etwas Gutes tun?“ Es geht um Quid pro quo, also Gegenseitigkeit. Ich kann zum Essen einladen oder schauen, wie ich anderweitig unterstützen kann.
Gibt es noch andere Wege für Introvertierte?
Liebermeister: Ja, die digitalen Medien helfen uns heute enorm. Mit einem guten Online-Profil, gezielten Likes und klugen Kommentaren kann ich auch als introvertierter Mensch Aufmerksamkeit generieren. Mit einem Klick bin ich mit jedem Experten weltweit verbunden. Wenn ich regelmäßig interessante Beiträge kommentiere, werde ich wahrgenommen. Oft ergeben sich daraus dann persönliche Gespräche und ich habe mal schnell einen Experten oder Expertin zum digitalen Lunch in meinem Team und gute Impulse werden getauscht. Automatisch zahlt dies – und nicht nur in meinem Team – auf meine Reputation ein.
Ihr aktuelles Buch heißt „Die Führungskraft als Influencer“ – was kommt als Nächstes?
Liebermeister: Im April erscheint mein neues Buch über „Führen mit Alpha Intelligence“. Die These ist: In Zukunft brauchen Führungskräfte keine Kompetenzen mehr, sondern Intelligenzen. Aber das ist vielleicht Stoff für ein weiteres Gespräch.