Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hat 2024 in Sachen Regulierung und schlechtes Branchengewissen bekanntlich deutlich die Zügel angezogen. Das musste drei Tage vor Weihnachten auch das Insurtech Element erfahren. Die Aufseher verboten dem Berliner White-Label-Versicherer mit Bafin-Lizenz das Neugeschäft, nachdem die Hannover Rück die Zusammenarbeit beendet hatte.
Viele unbeantwortete Fragen im Fall Element Insurance
Die meisten Fragen blieben bisher unbeantwortet: Wie steht es um einen neuen Rückversicherer, sind Schadenersatzansprüche der Assekuradeure zu befürchten oder droht gar die Insolvenz? Branchenkenner und Medien sprechen bereits von einem Element-Aus am Markt, sofern es nicht gelingt, einen neuen Rückversicherer zu präsentieren. Neuigkeiten über den weiteren Kurs gibt es aus dem Hause Element seit der ersten Anfrage vor zwei Wochen indes keine.
Bekannt war bisher eine „sehr knappe Kapitalausstattung“ (Süddeutsche Zeitung) und weiter gestiegene Verluste im Geschäftsjahr 2023, auf die das Unternehmen im Frühjahr 2024 laut eines weiteren Medienberichts mit einer stärkeren strategischen Fokussierung auf das Produkt- und Risikomanagement reagierte.
Nach Gesprächen von DAS INVESTMENT mit mehreren Brancheninsidern offenbart sich jetzt allerdings, dass diese Neujustierungen beim Risikomanagement nicht erfolgreich verlaufen sein dürften, beziehungsweise das nun eingetretene Szenario mit dem Rückversicherer außer Acht gelassen wurde.
Kündigungsrisiko des Rückversicherers ausreichend bewertet?
So wurde im Bericht über die Solvabilität und Finanzlage (SFCR) des Unternehmens für 2023 zwar das vergleichsweise geringe Risiko des Ausfalls des Rückversicherers wegen Bonitätsverschlechterung oder Insolvenz betrachtet, das Kündigungsrisiko aber nicht. Dieses ist zwar kein Gegenparteiausfallrisiko im engeren Sinn, wie es im Bericht erwähnt wird – nach Ansicht von Experten hätte es aber berücksichtigt werden müssen, gerade weil der Rückversicherungsanteil mit circa 45 Prozent relativ hoch ist.
Schließlich, so das externe Urteil, ist für einen Erstversicherer mit geringer Kapitalausstattung und hohen Risiken, die Absicherung der Geschäftsbeziehung mit dem Rückversicherer von herausragender Bedeutung.
Von der Element vertretenden Anwaltskanzlei Höcker wollte DAS INVESTMENT auf Nachfrage heute wissen, warum mit dem Ausfall des Rückversicherers in der Riskobewertung wie beschrieben umgegangen worden ist. Antwort: „Aufgrund der laufenden Prozesse wird unsere Mandantin derzeit keine weiteren Detailfragen beantworten. Zu gegebener Zeit wird unsere Mandantin eine Stellungnahme abgeben.“
Branchenexperte glaubt nicht an unvorhersehbares Ereignis
Zuvor gab Element an, vom Vorgang der Kündigung völlig überrascht worden zu sein. Somit scheidet eine ordentliche Kündigung mit den üblichen Fristen von drei bis sechs Monaten bei solchen Verträgen de facto aus. Doch falls es eine außerordentliche Kündigung war, wäre das ein Indiz für massive Pflichtverletzungen seitens des Erstversicherers, wie sich ein Experte gegenüber DAS INVESTMENT äußert.
Der Branchenkenner, der sich den SFCR-Bericht genau angeschaut hat, gibt an, dass es nach seiner Erfahrung in einem solchen Fall im Vorfeld zu Gesprächen oder zumindest zu Mahnungen seitens des Rückversicherers gekommen sein müsste. „So etwas kann nicht vom Himmel fallen“, sagt er.
Folgt man seiner Annahme, dass die Beendigung der Zusammenarbeit durch den Rückversicherer in Wahrheit ein längerer Prozess war, dann sind das keine guten Nachrichten für das Unternehmen. Denn dann hätte Element bereits Zeit gehabt, einen neuen Rückversicherer zu finden und hatte offenbar keinen Erfolg.
Bei der Risikoexposition des Portfolios und dem Assekuradeurs-Geschäftsmodell, das die Einflussmöglichkeiten des Rückversicherers zum Beispiel auf die Annahme- und Schadenpolitik begrenzt, dürfte das für das Insurtech aber ohnehin schwierig werden.
Drei Wochen vor Bafin-Entscheid noch eine Personaloffensive
Mit der Geschäftsgrundlage von Element steht demnächst wohl auch die Zukunft der Mitarbeiter auf dem Spiel. Hier hat es bereits erste Kollateralschäden gegeben. DAS INVESTMENT liegt mittlerweile die Kündigung eines Mitarbeiters vor, der erst Ende November 2024 seinen Arbeitsvertrag bei Element unterschrieben hat, aber sein neues Arbeitsverhältnis noch gar nicht angetreten ist. Nach seinen Aussagen und auch der Antwort der Rechtsanwaltskanzlei, die Element vertritt und von „Neueinstellungen“ sprach, könnten noch mehr Personen betroffen sein.
In dem Fall, der unserer Redaktion bekannt ist, wurde der Betreffende aktiv aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis abgeworben und erfuhr von seiner Kündigung auf Nachfrage einen Tag vor Weihnachten. Wenige Tage zuvor erhielt er noch eine Weihnachtsmail, mit der der vermeintlich neue Arbeitgeber seine Vorfreude auf ihn als neuen Mitarbeiter ausdrückte. Seine Verärgerung auf Element ist groß, wie er auf Nachfrage mitteilte. Das Weihnachtsfest sei verhagelt gewesen, eine Rückkehr in seinen alten Job alles andere als sicher.
Vorwürfe eines gekündigten Mitarbeiters
Folgt man der Argumentation der Branchenkenner zu den mutmaßlichen Umständen der Rückversicherer-Kündigung, dann stellt sich die Frage, ob die offenbar offensive Personalpolitik von Element Ende November nicht bereits im Angesicht des drohenden Szenarios erfolgte.
Zwar gibt die Element vertretende Anwaltskanzlei an, dass die Kündigung des Rückversicherungsvertrages zeitlich nach den Neueinstellungen erfolgte. Doch das ist für den wieder entlassenen Neu-Mitarbeiter unerheblich. Sein Urteil steht fest: Für ihn hat Element viel zu leichtfertig gehandelt und sein Schicksal billigend in Kauf genommen.