Vermögensverwalter üben großen Einfluss auf die Märkte aus, indem sie entscheiden, wo sie Kapital einsetzen. Während sie in den unternehmensspezifischen Anlageklassen, wie Aktien und festverzinsliche Wertpapiere, im Namen ihrer Kunden Eigen- oder Fremdkapital bereitstellen, nehmen sie praktisch die Rolle von Eigentümern der jeweiligen Firmen ein. Hier ist es also relativ einfach, die ESG-Interessen von Kapitalgebern und Unternehmen in Einklang zu bringen.

Bei Staatsanleihen ist das anders, ihre Inhaber sind (zum Glück) nicht die Eigentümer der Länder, in die sie investieren. Und es besteht kein Konsens darüber, was es für Länder bedeutet, in Bezug auf ESG gut abzuschneiden. Überdies haben Anleger kaum Mittel und Wege, die Politik eines Landes direkt und unmittelbar zu verändern. Daher wirft ein ESG-Engagement bei Staatsanleihen vier gravierende Fragen auf:

  1. Die Frage der Effektivität: Ist ein ESG-Engagement bei Staatsanleihen überhaupt wirksam?
  2. Die Frage des Formats: Welche Wege kann die Zusammenarbeit gehen?
  3. Die Frage des Umfangs: Wofür genau sollten sich Anleger engagieren?
  4. Die Frage der Legitimität: Wer glauben wir Investoren zu sein, die einer souveränen Regierung sagen, was sie zu tun hat?

1. Die Frage der Effektivität: Ist ein ESG-Engagement bei Staatsanleihen überhaupt wirksam?

Um diese Frage zu beantworten, sind weitere Fragen zu klären:

Ist ein ESG-Thema wesentlich? Und was bedeutet es, dass ein ESG-Thema für ein Land wesentlich ist? Sollte man sich auf die nachhaltigen Aspekte konzentrieren, bei denen es am schlechtesten abschneidet? Und wessen Standpunkt soll eingenommen werden – der des Anlegers, der der Regierung oder der der Behörden der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzierungen? Dies wirft auch die Frage nach der Hierarchie zwischen ESG-Themen für ein Land auf: Die Investoren haben ihre eigenen Ansichten zu ESG-Aspekten und Prioritäten, aber die Regierung hat womöglich andere Vorstellungen. Wessen Themen sind wichtiger?

Ist es (noch) aktuell? Unter dem Mantel von Verantwortungsbewusstsein sind Investoren dazu angehalten, Meilensteine zu setzen und sich auf Engagement-Möglichkeiten zu konzentrieren, die über einen bestimmten Zeithorizont die höchste Wahrscheinlichkeit haben, verwirklicht zu werden. Dies ist auf der Ebene von Staaten sehr schwer zu erreichen.

 

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Dekarbonisierungsstrategie eines Landes: Investoren können mit einer Regierung über ihre Strategie, ihre CO2-Ziele und ihre aktuelle Kohlenstoffintensität sprechen. Aber ob die Ziele erreicht werden, bis zu welchem Zeitpunkt und welche Mechanismen genutzt werden, um dies zu erreichen, liegt weitgehend außerhalb ihrer Kontrolle. Darüber hinaus können viele Faktoren die Strategie zum Scheitern bringen, von einem Krieg, der sich auf Energieangebot und -preise auswirkt, über innenpolitische Veränderungen bis hin zu Naturkatastrophen. Tatsächlich kann sich der Zeitplan für das Erreichen der End- und Zwischenziele in kurzer Zeit drastisch ändern und der Weg von Anfang bis Ende ist wahrscheinlich alles andere als gradlinig.

Was ändert sich sonst noch? Die Konzentration auf die Frage, wie politische Empfehlungen zu besseren ESG-Ergebnissen führen, ist ein zentraler Aspekt des Engagements und des Impact Investing im Allgemeinen. Bei Unternehmen ist die Hierarchie relativ vorgegeben und die Entscheidungsfindung kann zwar komplex sein, ist aber zu bewerkstelligen. Bei Staaten ist das anders. Wenn Investoren eine ESG-verbessernde Politik mit einem Regierungsvertreter besprechen, muss sie anschließend im Kabinett diskutiert, in ein Gesetz gegossen, dem Parlament vorgestellt und dort verabschiedet, vom zuständigen Ministerium umgesetzt und dann über Jahre und in verschiedenen Regionen überwacht werden, um die Ergebnisse zu bewerten. Aus diesem Grund gibt es unzählige Faktoren, die den Prozess beschleunigen oder entgleisen lassen können.

Wie sind die Effekte zu bewerten? Im politischen Zusammenhang kann die Bemessung von Auswirkungen schwierig und zeitaufwendig sein. Die Messung des Erfolgs eines ESG-Engagements ist sogar noch schwieriger. Wir haben festgestellt, dass Industriestandards, die sich an den Praktiken des Engagements bei Unternehmen orientieren, zunehmend auch Investoren von Staatsanleihen dazu ermutigen, zu bewerten, ob ihr Engagement erfolgreich war oder nicht. Aufgrund der Probleme, einen Kausalzusammenhang herzustellen, und der extremen Komplexität, wenn es um die Einbindung von Staaten geht, ist es jedoch oft unmöglich zu beurteilen, ob der Dialog mit einem Regierungsminister über ein ESG-Thema zu einer politischen Auswirkung oder gar einem konkreten Ergebnis geführt hat.

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Die hier zur Sprache kommenden Herausforderungen zielen keineswegs darauf ab, Anleger bei ihren Bemühungen um mehr ESG-Engagement bei Staatsanleihen zu entmutigen. Sie werfen jedoch wichtige Fragen für die Investmentgemeinschaft auf, was solch ein Engagement tatsächlich bedeutet – und sie legen nahe, dass Qualität vor Quantität gehen sollte.