Volkswirt Johannes Mayr So steht es um die Energiewende
Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Sorgen vor Energieengpässen in Europa befeuert. Die Politik in der EU reagiert mit zahlreichen Initiativen zur Verringerung der Abhängigkeit von (russischen) Energieimporten. Kurzfristig sollen verstärkte Öl- und Gaslieferungen aus anderen Teilen der Welt und verlängerte Laufzeiten von Kohle- und Kernkraftwerken mögliche Versorgungslücken schließen.
Gleichzeitig soll der Ausbau erneuerbarer Energien deutlich beschleunigt werden. Diesen wird neben einer positiven Wirkung auf die CO2-Bilanz auch die Fähigkeit zugeschrieben, für mehr Frieden und Freiheit und auch Wohlstand auf der Welt zu sorgen. Diese Erwartungen dürften aber zumindest zum Teil enttäuscht werden. Denn die Transformation in Richtung CO2-Neutralität wird nicht nur geprägt sein von Rücksetzern und Verteilungskämpfen. Sie wird auch ökonomischen Wohlstand kosten.
Allerdings wären die Alternativen langfristig ungleich kostspieliger. Für Investoren bleibt der Energiemarkt allerdings herausfordernd. Denn politische Vorgaben und regulatorische Eingriffe begrenzen die Preissetzungsmacht in zentralen Bereichen der Wertschöpfungskette und sind darüber hinaus wenig berechenbar.
Klimapolitik ausgebremst
Im Jahr 2021 hat die Energiewende einen erheblichen Rücksetzer erlitten. Nach einem Rückgang der globalen CO2-Emissionen 2020 um 5,7 Prozent sind diese 2021 wieder um knapp 5 Prozent gestiegen und lagen mit knapp 35 Milliarden Tonnen nahe dem Höchstwert des Jahres 2019. Auch in der EU und Deutschland sind die Emissionen im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach den Covid-Lockdowns wieder gestiegen.
Der avisierte Zeitplan zur Erreichung der CO2-Neutralität bis 2050 scheint kaum einzuhalten. Der Widerspruch zwischen Ambitionen der Politik und Wirklichkeit zeigt sich in Deutschland auch darin, dass der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix 2021 sogar deutlich gesunken ist.
Gleichzeitig legen aktuelle Daten nahe, dass die klimatischen Veränderungen schneller einsetzen als bisher unterstellt und eine erhebliche Beschleunigung der CO2-Reduktion zur Erreichung der Klimaziele notwendig machen könnte.
Konflikt mit Russland macht Energiewende zu strategischer Frage
Der russische Angriff auf die Ukraine hat den Handlungsbedarf in der Energiefrage für die EU auch kurzfristig deutlich erhöht. Denn die Reduktion der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist neben einer klimatischen Notwendigkeit nun auch zu einer strategischen Frage für die europäische Politik geworden. Ob dies die Energiewende tatsächlich beschleunigen oder sogar ausbremsen wird, ist allerdings noch offen.