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Hochstapler-Syndrom: So überwinden Frauen Selbstzweifel

Geschäftsführerin Nada Lena Nasserdeen beugt sich vor und hält zwei Finger in die Kamera ihres Laptops in Kalifornien: „Frauen haben überhaupt nur zwei Themen: Selbstbewusstsein und Impostersyndrom!“ Ihre Haltung und Stimme machen unmissverständlich klar, dass sie davon felsenfest überzeugt ist. Ich sah das nicht so. Bis zu diesem Zeitpunkt!
Es ist April 2023 und ich nehme an einem einwöchigen Rednerkurs in den USA teil, als diese markige Aussage fällt. Bis zum damaligen Zeitpunkt hatte ich Selbstbewusstsein nicht für eines der Kernprobleme von Frauen gehalten. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich schon 15 Jahre als „free solo preneurin“ in der Finanzberatung arbeitete und es gewohnt war, mich in der männerdominierten Branche durchzusetzen. Oder an der Tatsache, dass ich an einer Mädchenschule Abitur gemacht hatte, wo Gender Bias wenig ins Gewicht fällt, oder am Rolemodel meiner selbstbewussten Mutter. Aber die Überzeugung der amerikanischen Coachin machte mich neugierig.
Ist es wirklich so, dass Frauen ein so schlechtes Selbstbewusstsein haben? Bleiben sie deshalb oft hinter ihren Möglichkeiten zurück? Und was hat das Ganze mit dem Hochstaplersyndrom zu tun?
Deutsche Frauen beim Thema Selbstbewusstsein im Mittelfeld
Ich las Studien, interviewte weibliche Führungskräfte und befragte Coaches. Und was ich herausfand, schockierte mich: 66 Prozent aller Frauen sagen laut einer weltweiten Studie des Women‘s Confidence Report, dass sie ein schlechtes oder extrem schlechtes Selbstbewusstsein haben. Wobei es kulturelle Unterschiede gibt. Am selbstbewusstesten sind die Mexikanerinnen, am wenigsten Selbstvertrauen haben die Frauen in Japan. Deutschland liegt im Mittelfeld.
Welche Rolle spielt Storytelling beim Selbstbewusstsein?
Als ich als Storycoach anfing, hatte ich überhaupt nicht vor, Frauen zu „empowern“. Ich wollte der Finanzbranche helfen, mit Geschichten mehr Emotionen zu wecken. Storytelling war damals für mich nur ein Marketing-Tool, das hilft, Produkte besser zu verkaufen.
Aber ich habe an mir selbst gemerkt, dass mein Selbstbewusstsein ein ganz neues Level erreicht hat, als ich im Rahmen des Launches meiner Website die eigene Geschichte hinterfragt und auf den Punkt gebracht habe. Ich habe mich gezwungen, die Aussagen in meinem Imagefilm auf zwölf Sätze einzudampfen und gespürt, wie sehr mir das half, mich im 1:1 Gespräch präzise und im besten Sinne des Wortes „selbst-bewusst“ zu präsentieren.
Welcher Mensch steckt hinter dem Job?
Die eigene Geschichte richtig zu sehen ist extrem identitätsstiftend. In dem Prozess, die eigene Story zu schreiben, lerne ich mich selbst kennen. Horche nach: Wer bin ich? Wo waren meine Herausforderungen?
Wichtig ist mir auf dieser Selbstentdeckungsreise, dass wir trennen zwischen dem, was wir (beruflich) tun, und dem, wer wir sind. Viele der Teilnehmerinnen in meinen Workshops und Coachings definieren sich fast ausschließlich über ihren Job, vielleicht noch über ihre Kinder und vergessen darüber, sich selbst zu sehen und zu zeigen. Deshalb ist eine persönliche „Corestory“ auch nicht ganz einfach zu finden.
Anleitung für die eigene Geschichte
Als Schritt-für-Schritt-Anleitung für eine im wahrsten Sinne des Wortes selbstbewusste Geschichte über sich selbst hat sich in meiner Praxis folgendes Vorgehen bewährt:
- Lassen Sie sich Ihren Lebenslauf von einer Freundin, einem Bekannten laut (!) vorlesen.
- Schreiben Sie eine „Laudatio“ auf sich: alles, was Sie geschafft haben. Die kleinen und die großen Dinge und wie Sie das genau gemacht haben.
- „Destillieren“ Sie diese Laudatio auf maximal zwei Minuten. Üben Sie, indem Sie die Zusammenfassung immer wieder als Sprachmemo aufnehmen, bis Sie sich mit ihr wohlfühlen. Der letzte Satz ist mir dabei ganz wichtig: Sie müssen sich wohlfühlen mit Ihrer Geschichte! Sie sollen sich nicht „verkaufen“, sondern eine Geschichte parat haben, die Sie authentisch auf den Punkt bringt.
Viele Frauen von Hochstaplersyndrom betroffen
Die Entdeckung der Kraft der „Personal Story“ stelle ich, seitdem als Executive-Coach arbeite, zur Verfügung. Und es ist nicht so, dass ich keine männlichen Coachees annehmen würde. Es kommen schlichtweg keine Männer auf mich zu! Sie sehen den Bedarf bei sich nicht.
Ganz anders die Frauen. Sie kommen zu mir mit Aussagen wie „Ich kann kein Storytelling!“ oder „Ich brauche Storytelling für den nächsten Karriereschritt“. Wie so oft sehen sie bei sich ein Defizit und wollen es ausmerzen. Was ich dann in den Einzelgesprächen mit den weiblichen Leistungsträgern höre, sind Sätze wie: „Ich habe doch nur Glück gehabt!“, oder „Das war nur eine Teamleistung!“ oder „Das ist doch gar nichts Besonderes!“ Diese Aussagen sind typisch weiblich und Frauen stellen damit ihr Licht unter den Scheffel. Womit wir beim Hochstaplersyndrom wären.
Das Hochstaplersyndrom wurde erstmals 1978 untersucht. Mir persönlich gefällt der Begriff nicht besonders. Er misst diesem psychologischen Phänomen einen Krankheitswert bei, den es nicht hat. Die Wissenschaftlerinnen Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes beobachteten, dass vor allem viele sehr erfolgreiche Frauen glauben, dass sie nicht besonders intelligent seien und ihre Leistungen von anderen überschätzt würden. Erfolge führen sie auf exogene Faktoren zurück wie Glück oder Zufall. Misserfolge jedoch schreiben sie sich selbst zu. Hinzu kommt die Angst, dass sie irgendwann auffliegen und als Hochstaplerin entlarvt werden. Daher auch der Name.
Perfektionismus ist eine weitere Facette des Imposter-Phänomens: Um sich möglichst vor dem Auffliegen zu schützen, neigen Frauen dazu, möglichst fehlerfrei zu arbeiten und kommen so in eine Spirale aus Überforderung. Auch Männer sind von diesen Gedankenmustern geplagt, aber nicht so stark wie Frauen.
Denkmuster erkennen und brechen
In meinen Vorträgen zu finanziellem Selbstbewusstsein adressiere ich ganz bewusst dieses Phänomen und ernte damit viel schuldbewusstes Nicken im Publikum. Mein Ziel ist es dabei nicht, dass sich die Frauen (wieder mal) schlecht fühlen sollen. Nein, sie sollen erkennen, wenn sie in die Imposter-Falle tappen.
„Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung.“ Diese Redewendung ist im Falle des Imposters besonders wahr. Sich selbst dabei zu ertappen, wie man eigene Leistungen relativiert und allem, nur nicht sich selbst zuschreibt, hilft, dieses Denkmuster zu durchbrechen.
Frauen müssen lernen, sich ihre eigenen Leistungen bewusst zu machen und als eigenen Erfolg anzuerkennen. So können Sie eine ehrliche Geschichte über sich erzählen, ohne falsche Bescheidenheit, und diese Story macht selbstbewusst.
Über die Autorin

Adriana Richter begleitet als Kommunikationsexpertin Changeprojekte im Bankenumfeld. Zudem ist sie in der DACH-Region als Speakerin zum Thema Female Finance und als Executive-Coach für weibliche Führungskräfte aktiv.