Aktienmarkt Hohe Energiekosten erzwingen Investitionen in Erneuerbare
Um die Inflation einzudämmen, bedarf es unserer Ansicht nach Reformen auf der Angebotsseite. Das heißt zunächst angesichts hoher Energiekosten Investitionen in erneuerbare Energien. Daneben müssen Firmen wohl ihre Lieferketten stärken und die steigenden Lohnkosten angehen. Unternehmen, die anderen helfen, Kosten einzusparen, dürften profitieren, wenn die Inflation sich länger auf hohen Niveaus hält. Hierzu zählen unter anderem Firmen, die in Bereichen wie Automatisierung, Elektrifizierung und den Übergang in eine klimaneutrale Zukunft tätig sind.
Elektrifizierung und Energiewende
Regierungen investieren massiv, um die aktuelle Energiekrise zu bewältigen und gleichzeitig die Netto-Null-Ziele zu erreichen. Die USA haben dazu den „Inflation Reduction Act“ und die EU ihren 1 Billion Euro schweren Green Deal verabschiedet. Die Windturbinenhersteller begrüßen die Initiativen, da es ihren Kunden wichtige langfristige Klarheit für Anlageentscheidungen gibt.
Das Anstoßen erneuerbarer Energieprojekte dürfte die Nachfrage nach Halbleitern und Rohstoffen wie Kupfer ankurbeln. Das Gleiche gilt angesichts der sich beschleunigenden Elektrifizierung, die ebenfalls staatlich gefördert wird. Im Juni verkündete Peking mehr Unterstützung für Elektroautos im Rahmen eines Konjunkturpakets für den Autosektor. In den USA sollen mit Hilfe des „Infrastructure Investment and Jobs Act“ 500.000 E-Ladestationen finanziert werden. Wir erwarten, dass die Nachfrage nach E-Autos weiter höher als das Angebot sein wird. Das treibt die Preise für Halbleiter und Rohstoffe für die Batterieproduktion nach oben.
Die Auswirkungen der Energiekrise auf europäische Unternehmen
Europa deckt ein Viertel seines Energiebedarfs mit Erdgas. 40 Prozent davon bezog es laut Eurostat bis zur russischen Invasion in der Ukraine aus Russland. Den Ländern in Europa ist es gelungen, ihre Gasvorräte aufzufüllen, aber selbst volle Gasspeicher reichen nach Angaben von Aurora Energy Research nur drei Monate. Das bringt den Kontinent und seine Unternehmen in eine heikle Lage.
Vorsicht bei gasintensiven Unternehmen
Die potenziellen Auswirkungen von Gasengpässen auf die Portfolios lassen sich am besten abfedern, indem Unternehmen mit hohen Energiekosten im Verhältnis zum Umsatz ermittelt werden – vor allem wenn sie keine erneuerbare Energie nutzen.
2019 entsprach der Energiebedarf der europäischen Chemieindustrie 51 Millionen Tonnen Öl. Über ein Drittel dieser Energie wird aus Gas gewonnen und nur weniger als 1 Prozent aus erneuerbaren Quellen, wie das European Chemical Industry Council kalkuliert. Die BASF braucht nach eigenen Angaben jedes Jahr etwa genau so viel Erdgas wie die Schweiz.
Einige Chemieunternehmen haben verlautbart, dass sie ihre Produktion möglicherweise zurückfahren müssen, weil die Prozesse zu gasintensiv sind. Andere Produktionsverfahren, etwa die Ziegel-, Glas- und Zementherstellung, sind extrem energieintensiv und können nicht einfach von Gas auf andere Energieträger umstellen. Die Produktion in energieintensiven Sektoren in Deutschland ist seit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine im Februar um 7 Prozent gesunken, wie das Statistische Bundesamt berechnet hat.
Große Unternehmen können Gasknappheit eine Zeitlang überstehen, indem sie ihre Energiekosten über Hedging absichern – und dadurch weniger als der täglich schwankende Spotpreis zahlen. Zentral ist auch die Weitergabe höherer Kosten an die Kunden. Das Geheimnis dieser Preismacht sind ein hoher Marktanteil und ein intakter Endmarkt. So kann ein Chemieunternehmen seine Energiekosten unter Umständen an Autohersteller mit soliden Gewinnmargen und hoher Nachfrage weitergeben. Kleinere Unternehmen verfügen nicht immer über die gleichen komplexen Absicherungstechniken oder dieselbe Preismacht. Vorsicht ist insbesondere bei Unternehmen geboten, wenn sie aufgrund ihrer defensiven Eigenschaften als attraktiv eingestuft werden – weil sie in der Vergangenheit bei geringem Wirtschaftswachstum Cashflows erzielt haben –, aber eine starke, nicht abgesicherte Abhängigkeit vom Gaspreis aufweisen. Eine mittelgroße Brauerei kann zwar davon ausgehen, dass in einer Rezession genauso viel Alkohol verkauft wird. Sind die Energiekosten aber nicht abgesichert, können Anleger die kurzfristigen Gewinne kaum optimistisch beurteilen.
Auf den Standort kommt es an
Viele europäische Unternehmen sind global aufgestellt, was sie vor den Auswirkungen einer Gaskrise auf dem alten Kontinent schützt. Unter den hauptsächlich in Europa tätigen Unternehmen dürften jene, die einen Großteil ihrer Energie aus Skandinavien beziehen, einen Vorteil haben. Daneben ist es wichtig, die Lieferkette der einzelnen Firmen zu kennen – die beteiligten Regionen mit ihren jeweiligen Energierisiken. Ein Windturbinenhersteller verfügt möglicherweise über sichere, erneuerbare Energieträger für seine Produktion. Die Produktion des Stahls für die Herstellung der Turbinen benötigt dagegen möglicherweise große Mengen Gas.
Der Standort ist auch in anderer Hinsicht wichtig. Unternehmen könnten auf Öl als Energieträger umstellen, um die Gaspreisspirale zu umgehen. Im Sommer ist der Gaspreis in Europa umgerechnet auf einen Ölpreis von 400 US-Dollar je Barrel geschnellt. Dies könnte jedoch langwierige regulatorische Verfahren nach sich ziehen, wenn die Betriebe in Wohngebieten liegen.
Strategisches Risiko
Unseren Analysen zufolge wird die Füllmenge in Europas Energiespeichern für den Winter ausreichen. Die Speicherung ist allerdings nur eine temporäre Lösung, da nach wie vor kaum Gas aus Russland fließt. Wenn die hohen Preise die Gasnachfrage nicht auf ein nachhaltiges Niveau drücken, könnte 2023 eine Rationierung erforderlich sein. In diesem Fall werden die strategisch wichtigsten Unternehmen wohl uneingeschränkt produzieren dürfen. Hierzu könnten Erzeuger erneuerbarer Energie, Luft- und Raumfahrtunternehmen mit Großaufträgen aus dem Militärbereich sowie Gesundheitsunternehmen zählen. Als aktive Stock-Picker beziehen wir bei unseren titelspezifischen Analysen diese Überlegungen zur Energiekrise mit ein. Am optimistischsten beurteilen wir Unternehmen, die sich resilient gegenüber mittelfristigen Energieengpässen zeigen und den langfristigen Trends von Energieeffizienz und Nachhaltigkeit verpflichtet sind.