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"Es geht mit steigendem Tempo in Richtung Fiskalunion"

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Ins Zentrum des Sturms am Staatsanleihemarkt sind vor allem die europäischen Regierungen gerückt, die nun auch noch über das Gemeinschaftsprojekt Euro ins Stolpern kommen. Ab Mai 2010 stand Griechenland stark im Fadenkreuz. Später nahm der Kapitalmarkt die sogenannten Peripherie Staaten Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien ins Visier. Ab etwa Juli 2011 infizierte die Peripherie dann aber auch den Kern Europas. Dies betraf zuletzt vor allem Frankreich, das im November 2011 im 10-Jahres-Bereich 1,9% mehr an Zinsen zahlen musste als Deutschland (zum Vergleich: im Jahr 2007 betrug die 10-Jahres-Zinsdifferenz durchschnittlich 0,07%).
 
Die Staatsschuldenkrise hat sich mit einem enormen Rückkoppelungseffekt auf die europäischen Finanzinstitute übertragen. Da Banken Bestände in Staatsanleihen halten und diese an Wert verlieren, schwindet das Vertrauen in die betroffenen Institute. Die Spreads (d.h. die Zinsunterschiede zur 10-jährigen Bundesanleihe) der europäischen Banken haben sich in Kollektivhaftung mit den Spreads der Euro-Staatsanleihen in 2011 ausgeweitet. Die Prämien für Kreditausfallversicherungen sind für viele europäische Banken inzwischen auf einem höheren Niveau als in der Großen Finanzkrise 2008/2009. Die Bankenrefinanzierung ist damit deutlich schwieriger geworden und in einigen Fällen fast gänzlich ausgetrocknet. Nach Informationen von Barclays Capital wurden im Zeitraum Juli bis November 2011 nur 17 Milliarden Euro an ungesicherten Bankanleihen emittiert. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum waren es noch 120 Milliarden Euro. Auch misstrauen sich die Banken wieder untereinander und vergeben damit nicht mehr so einfach Geld an andere Institute. Wie soll da der Anleger noch diesen Adressen vertrauen?

Die europäischen Banken müssen zudem nach Angaben der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) 115 Milliarden Euro frisches Kapital aufnehmen, um der Staatsschuldenkrise stand zu halten und ihr Eigenkapital bis Mitte 2012 auf 9% zu erhöhen. Nach Berechnungen von Morgan Stanley müssen europäische Banken in den nächsten eineinhalb Jahren ihre Bilanzen um 1,5 bis 2,5 Billionen Euro verkleinern. Dies dürfte dazu führen, dass Banken eigene Vermögenswerte verkaufen müssen und/oder ihr Neukreditgeschäft einschränken. Dies dürfte ein Belastungsfaktor für die europäische Wirtschaft in 2012 darstellen und könnte zu einer Kreditklemme führen.
 
Die große Gefahr der Kreditklemme wurde gegen Ende des Jahres von der Europäischen Zentralbank (EZB) erkannt. Diese nahm im November und Dezember 2011 den Leitzins auf das Rekordtief von 1,0% zurück, nachdem sie diesen zuvor aufgrund von vermeintlichen Inflationsgefahren in zwei Schritten von 1,0% auf 1,5% angehoben hatte. Bedeutsamer ist jedoch die Entscheidung der EZB, den europäischen Banken unbegrenzt Geld zu günstigen Konditionen auszuleihen. Am 21. Dezember 2011 hat die EZB mehr als 500 europäischen Banken 489 Milliarden Euro ausgeliehen. Die Kredite laufen für einen Zeitraum von drei Jahren und der Zins dafür liegt bei 1,0%, was dem aktuellen Leitzins entspricht. Dies ist das erste Mal in der Geschichte der EZB, dass sie Banken Liquidität mit einer so langen Laufzeit leiht. Die EZB erachtete diesen Schritt für notwendig, da die europäischen Banken im Jahr 2012 ein Refinanzierungsvolumen von 725 Milliarden Euro zu stemmen hätten (d.h. Rückzahlung und Verlängerung von Schulden). Diese Summe ist sehr hoch in einem Umfeld, bei dem sich die Institute gegenseitig misstrauen und der Markt für Bankanleihen (mit denen die Häuser Fremdkapital aufnehmen) fast ausgetrocknet ist. Erneut standen einige Finanzunternehmen am Abgrund.

Wie sieht in diesem schwierigen Umfeld die nähere Zukunft Europas aus? Mit dem letzten EU-Gipfel Anfang Dezember scheint es mit steigendem Tempo in Richtung Fiskalunion zu gehen.