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ESG-Spezialistin über soziale Taxonomie „Es mangelt an wissenschaftlich fundierten Daten“

Gemma Corrigan
Gemma Corrigan: „Man muss 'social washing' vermeiden.“ | Foto: Federated Hermes

DAS INVESTMENT: In Europa gibt mittlerweile eine gemeinsame Umwelttaxonomie. Allerdings tut sich die Staatengemeinschaft mit einer sozialen Taxonomie erheblich schwerer. Woran liegt das?

Gemma Corrigan: Eine große Herausforderung ist es, dass es an quantitativen, wissenschaftlich fundierten Daten mangelt, die soziale Ziele untermauern könnten. Ansätze zur sozialen Nachhaltigekeit basieren daher weitgehend auf Grundsätzen und Prozessen – und nicht auf den Ergebnissen von Maßnahmen, die einen gesellschaftlichen Mehrwert erfassen. Außerdem deckt eine soziale Taxonomie ein sehr breites Spektrum ab, mit Zielen und Unterzielen. Das macht ihre Umsetzung schwierig. Gerade weil soziale Faktoren im Gegensatz zu ökologischen  eher subjektiv und sehr komplex sind. Wir nehmen daher an, dass sich eine soziale Taxonomie langsamer entwickeln wird – wenn das Thema weiter ausreift und sich unser kollektives Verständnis für diese Fragen vertieft.

Was sollte eine soziale Taxonomie umfassen?

Corrigan: Sie sollte nicht nur negative Auswirkungen berücksichtigen, die es zu vermeiden oder zu bekämpfen gilt. In erster Linie sollte sie vielmehr positive Auswirkungen verstärken. Insbesondere, um „social washing“ zu vermeiden …

… also bloßes Umdeklarieren von Merkmalen als gesellschaftlich erwünscht, ähnlich wie Greenwashing im Umweltbereich.

Corrigan: Eine soziale Taxonomie sollte über schon festgesetzte Rahmenbedingungen wie etwa sozialen oder Menschenrechten, über existierende Schutzvorkehrungen und Sorgfaltspflichten hinausgehen. Es ist sinnvoll, dabei einzelne Interessengruppen in den Blick zu nehmen. Man könnte sich ansehen, welchen positiven Einfluss wirtschaftliche Aktivitäten, Produkte und Dienstleistungen auf diese Gruppen haben können: auf Arbeitnehmer, Kunden und das Umfeld. Wie die Umweltziele sollten auch die sozialen Ziele als Richtschnur dienen – eine Richtschnur für Investoren, die Nachhaltigkeit und soziale Integration anstreben. Als solche sind sie eine nützliche Klassifizierung und ein freiwilliges Offenlegungsinstrument.

Das Beratergremieum der EU-Kommission, Platform on Sustainable Finance, hat kürzlich zunächst einen möglichen Rahmen für eine soziale Taxonomie vorgeschlagen. Empfinden Sie ihn als eine gute Grundlage?

Corrigan: Wir befürworten die Empfehlungen der Platform on Sustainable Finance im Hinblick auf die Gesamtstruktur. Sie spiegelt weitgehend die Nachhaltigkeitstaxonomie wider. Wir schlagen außerdem vor, Stewardship gegenüber Divestment stärker zu berücksichtigen.

… also aktives Engagement bei Unternehmen – gegenüber einem bloßen Rückzug als Investor.  

Corrigan: Genau. Auf diese Weise wollen wir die positiven Auswirkungen für die Gesellschaft als Ganzes maximieren. Gleichzeitig wollen wir unerwünschte Folgen vermeiden, die gerade solche Sektoren, Regionen oder Gemeinschaften benachteiligen, die am dringendsten Transformation und Unterstützung benötigen. In den Vorschlägen der Platform on Sustainable Finance werden außerdem geografische Gesichtspunkte nur unzureichend berücksichtigt. Wir müssen darauf achten, keinen Menschen und keinen Ort zu übergehen.

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