

- Startseite
- Nachhaltigkeit
-
„ESG-Investing wird erwachsen“ – wie ist das gemeint?

Irgendetwas ist anders geworden in der Finanzbranche: Erstrahlten vor wenigen Jahren noch Messestände und Websites in sattem Grün, muss man heute an selber Stelle oft suchen, bis man das Wörtchen „Nachhaltigkeit“ findet. Und das nicht erst, seit Donald Trump erneut US-Präsident wurde.
DAS INVESTMENT ist auf Ursachenforschung gegangen und hat die Bethmann Bank in Frankfurt besucht. Dort vertritt ...
Warum nur an der Oberfläche kratzen? Tauchen Sie tiefer ein mit exklusiven Interviews und umfangreichen Analysen. Die Registrierung für den Premium-Bereich ist selbstverständlich kostenfrei.
Gratis-Zugang:
Um die Autorisierung über LinkedIn zu aktivieren, müssen Sie sich registrieren.
Um die Autorisierung über Google zu aktivieren, müssen Sie sich registrieren.
Irgendetwas ist anders geworden in der Finanzbranche: Erstrahlten vor wenigen Jahren noch Messestände und Websites in sattem Grün, muss man heute an selber Stelle oft suchen, bis man das Wörtchen „Nachhaltigkeit“ findet. Und das nicht erst, seit Donald Trump erneut US-Präsident wurde.
DAS INVESTMENT ist auf Ursachenforschung gegangen und hat die Bethmann Bank in Frankfurt besucht. Dort vertritt Kristina Kern, eine junge ESG-Expertin, einen modernen Standpunkt zum Thema nachhaltige Geldanlage.
DAS INVESTMENT: Frau Kern, Sie haben kürzlich auf Linkedin geschrieben: „ESG Investing wird erwachsen“ – welche Erwartungen an ESG-Investments sehen Sie denn kritisch?
Kristina Kern: Was in der Vergangenheit kritisch war, war die Haltung der „eierlegenden Wollmilchsau“ – alle denkbaren Nachhaltigkeitskriterien sollten abgedeckt werden, das Portfolio sollte so grün wie möglich sein und die finanzielle Performance sollte mit konventionellen Produkten zu jedem Zeitpunkt vergleichbar sein. Jetzt gibt es eine differenziertere Betrachtung.
Das ist es, was ich mit „erwachsen werden“ meinte: keine verblendete Sicht mehr, sondern eine Auseinandersetzung damit, was ESG tatsächlich leisten kann.
Wir betrachten es vor allem als Risikofaktor, mit dem wir finanzielle und operationelle Risiken frühzeitig erkennen können. Damit lässt sich eine umfassende Bewertung von Unternehmen vornehmen: Wer sind die Vorreiter in Sachen Umwelt, Soziales und Governance? Und wer kann sich noch verbessern? Hier ist auch unser mit den Unternehmen geführtes Engagement ein wichtiger Faktor, um Forderungen zu adressieren und im Austausch zu bleiben.

Hat sich auch bei der Bethmann Bank der ESG-Ansatz verändert?
Kern: Unser Ansatz ist grundsätzlich konstant geblieben. Wir bewerten Kontroversen und ESG-Risiken und verfolgen einen Best-in-Class-Ansatz – wir bringen Unternehmen innerhalb ihrer Branche in eine Rangliste und investieren dann nur in die bessere Hälfte. Zudem schließen wir besonders kontroverse Geschäftsfelder grundsätzlich aus. Es ist ein systematischer Ansatz, der es uns ermöglicht, dem Kunden präzise zu erklären, was dieses Produkt für ihn bedeuten kann.
Soll heißen: Die öffentliche Wahrnehmung von ESG hat sich verändert, nicht unser Ansatz. Die grundsätzlichen Leitplanken des ESG-Investings haben bei uns schon fast Tradition.
Und wie haben sich die Erwartungen der Kunden verändert?
Kern: Die Kunden fragen heute noch genauer nach. Es ist nicht mehr so, dass der ESG-Stempel automatisch zu Investitionen führt. Interessierte setzen sich genauer mit den zugrunde liegenden Faktoren auseinander: Wie wird das Portfolio aufgebaut? Welche Unterschiede gibt es zum klassischen Portfolio?
Wenn man sich für ein ESG-Produkt entscheidet, ist das heute eine bewusstere Überzeugung. Trotzdem sind diese Produkte für uns nach wie vor sehr erfolgreich – nur die Fragen haben sich weiterentwickelt.
Die Berichte über Greenwashing haben zugenommen. Wie begegnen Sie solchen Diskussionen?
Kern: Das ist eine berechtigte Frage und wir haben weiterhin ein wachsames Auge auf das Thema. Wir bieten eine differenzierte Produktpalette an – von der klassischen über die ESG- bis hin zur Impact-Vermögensverwaltung.
Im ersten Schritt erklären wir dem Kunden, was der jeweilige Ansatz bedeutet, und versuchen, das passende Produkt zu finden. Unser Ziel ist es, den Kunden eine hohe Transparenz über unseren jeweiligen Investmentansatz zu geben. Seien es die zugrunde gelegten Ausschlüsse oder die Analyse in der Impact-Vermögensverwaltung, die Produkte und Dienstleistungen den nachhaltigen Entwicklungszielen zuzuordnen.

Laut Punkt 4 Ihrer Anlagepolitik bieten Sie „keinerlei Dienstleistungen in Wertpapieren kontroverser Waffenproduzenten“ an. Wie definieren Sie diese im aktuellen geopolitischen Kontext?
Kern: Bei der Bethmann Bank und unserer Muttergesellschaft ABN Amro haben wir einen weitreichenden Ausschluss für kontroverse Waffen. Das bedeutet, dass wir auch in nicht-nachhaltigen Produkten nicht in kontroverse Waffen investieren dürfen, weil wir deren Einsatz als unverhältnismäßig ansehen.
Bei der ESG- und Impact-Vermögensverwaltung gelten umfassendere Ausschlusskriterien – hier schließen wir auch die Waffenproduktion und militärische Auftragsvergabe aus.
Es ist also theoretisch möglich, mit Bethmann in Verteidigungsunternehmen zu investieren?
Kern: In der klassischen Vermögensverwaltung wäre es möglich, in die Verteidigungsindustrie zu investieren, sofern der Ausschluss kontroverser Waffen eingehalten wird. In der ESG-Vermögensverwaltung schließen wir dies jedoch konsequent aus. Wir können aber in angrenzende Bereiche wie Cybersecurity investieren, wo wir beim Thema Impact auch einen Bezug zu den Sustainable Development Goals herstellen können.
Wir sehen uns als nachhaltige Bank und möchten auch in Zeiten zunehmender sicherheitspolitischer Relevanz klare Investitionsleitlinien zum Thema Verteidigung anbieten.
Die Trump-Administration baut ESG-Vorschriften in den USA massiv ab. Wie bereiten Sie Ihre Portfolios auf diese veränderten Rahmenbedingungen vor?
Kern: Grundsätzlich müssen wir stark differenzieren. Auch wenn wir eine „Anti-ESG-Agenda“ sehen, könnten wirtschaftliche Interessen dagegensprechen, Erneuerbare Energien komplett zurückzufahren. Der Anteil der Erneuerbaren am US-Energiemix ist mit über 20 Prozent bereits substanziell. Die digitale Transformation, vor allem in den USA, braucht weiterhin Energie.
Falls Unternehmen ihre ESG-Maßnahmen reduzieren, würde das bei uns in die Risikobewertung einfließen. Historisch sehen wir die Vorreiter in Europa, was ESG angeht. Das könnte durchaus Chancen für europäische Unternehmen bedeuten.

Können Sie Beispiele für interessante Branchen in Europa nennen?
Kern: Bei den Versorgern sehe ich nach wie vor interessante Unternehmen, vor allem im Bereich Erneuerbarer Energien. Auch im Industriesektor gibt es spannende Entwicklungen hin zu weniger CO2-intensiven Produktionsschritten. Die digitale Transformation kann CO2-arm begleitet werden – hier liegt definitiv Potenzial für Europa. In unserer ESG-Vermögensverwaltung versuchen wir darüber hinaus, breit über alle Sektoren hinweg die besten Unternehmen zu finden.
Die SFDR wird aktuell als „SFDR 2.0“ überarbeitet. Wie bereitet sich die Bethmann Bank darauf vor?
Kern: Eine Vereinfachung der aktuellen komplexen Regulierung wäre zu begrüßen, da sie für Endkunden oft schwer nachvollziehbar ist. Bei einer Verwässerung wäre ich hingegen skeptischer.
Unsere Impact-Produktpalette ist auf Artikel-9-Ebene, unsere ESG-Produktpalette auf Artikel-8-Ebene angesiedelt. Wir halten uns an die regulatorischen Vorgaben und versuchen die Produkte durch die jeweilige Bezeichnung klar zu unterscheiden.
Ingo Speich von Deka Investment sagte zum Thema Klimawandel bei uns im Interview: „Die Veränderungsgeschwindigkeit in den nächsten fünf Jahren wird vielfach höher sein als das, was wir in den letzten fünf Jahren gesehen haben.“ Teilen Sie diese Einschätzung?
Kern: Ja, ich teile diese Einschätzung, auch wenn es sich im gesellschaftlichen Diskurs in Bezug auf Nachhaltigkeit oft nicht nach erhöhter Geschwindigkeit anfühlt. Es gibt einen psychologischen Trugschluss: Der Klimawandel wirkt wichtig, aber nicht immer dringend – bis Naturkatastrophen die Gesellschaft wachrütteln.
Als langfristiger Investor machen wir beim Thema Nachhaltigkeit keine Pause. Die Geschwindigkeit wird sich sowohl bei der Klimawandel-Bekämpfung als auch bei der Klimawandel-Anpassung erhöhen. Letzteres ist besonders interessant, weil es lokal wirkt. Das bietet Chancen beim nachhaltigen Bauen und bei der Wasserversorgung. Diese Felder bleiben wahrscheinlich auch in den USA investierbar, selbst wenn die USA kurzfristig aus dem Pariser Abkommen austreten, weil den Klimaschäden am Ort des Entstehens begegnet werden muss.
Wir sehen Nachhaltigkeit sowohl mittel- als auch langfristig als wichtigen Investmentfaktor – unabhängig davon, wie viel Raum das Thema gerade im öffentlichen Diskurs bekommt.
Über Kristina Kern von der Bethmann Bank
Kristina Kern, Jahrgang 1995, ist Aktien-Portfoliomanagerin mit Fokus auf ESG und Impact bei der Bethmann Bank. Nach Studium in Frankfurt und Mainz fing sie im Oktober 2021 bei Union Investment als ESG-Analystin an. Im Juli 2023 wechselte sie zur Bethmann Bank und ist dort im Investmentstrategie-Team tätig. Kern fokussiert sich auf die Integration von fundamentaler Aktienanalyse mit qualitativer ESG-Analyse und gilt als Expertin für nachhaltige Investments in einem zunehmend komplexen regulatorischen Umfeld.
Die Bethmann Bank ist eine der ältesten Privatbanken Deutschlands, gegründet im Jahr 1712. Als Tochtergesellschaft der niederländischen ABN Amro Bank N.V. verwaltet sie rund 42 Milliarden Euro von vermögenden Privatkunden, Familienunternehmen und institutionellen Anlegern. Nachhaltigkeit steht im Zentrum ihrer Unternehmensstrategie: Die Bank verfolgt eine unternehmensweite Klimastrategie und verfügt über einen unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirat, der Impulse gibt und die Einhaltung der ESG-Kriterien für die Geldanlage überwacht.



