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Esma als EU-Super-Aufsicht: Was Mario Draghis Pläne bewirken könnten
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Jurist erläutert Esma als EU-Super-Aufsicht: Was Mario Draghis Pläne bewirken könnten

Ex-EZB-Chef Mario Draghi
Mario Draghi: Der ehemalige EZB-Chef will die Esma mit mehr Kompetenzen ausstatten. | Foto: Imago Images / ZUMA Press

Am 9. September 2024 veröffentlichte Mario Draghi, der ehemalige italienische Premierminister und Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), seinen Bericht „The future of European competitiveness“. Er ist das Ergebnis eines Auftrages der EU-Kommission. Draghi sollte darin seine Sicht zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU darlegen. Eine Kernthese des Berichts zeigt auf, dass die EU weniger ein Problem mit innovativen Ideen hat. Es mangele vielmehr daran, diese Ideen auch zu kommerzialisieren.

Eine Schwachstelle sei der weiterhin sehr fragmentierte Kapitalmarkt, der an einer überbordenden und kostenintensiven Bürokratie leide. Diese bewirke, dass sich ein einheitlicher und effizienter EU-Markt nur langsam entwickele. Dahinter stünden regelmäßig nationale Interessen mit dem Ziel, den Status Quo zu zementieren.

Um dem zu begegnen, schlägt Draghi vor, die aktuelle Aufsichtsstruktur zu verändern. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, Esma) soll eine ähnliche Rolle erhalten wie die amerikanische Securities and Exchange Commission (SEC). Gleichzeitig soll die Esma beziehungsweise die „European Security Exchange Commission“ zur einzigen Aufsichtsbehörde für den europäischen Wertpapiermarkt umgebaut werden.

Esma: auf dem Weg zur „Super-Aufsicht“?

Ein besonderer Aspekt des Draghi-Berichts ist der Plan, die Aufsicht über Investmentfonds bei der Esma zu konzentrieren und damit der nationalen Aufsicht zu entziehen. Die Esma soll dazu in Bezug auf ihre Governance und Entscheidungsprozesse ähnlich wie der EZB-Rat ausgestaltet werden, um möglichst unabhängig von den nationalen Interessen der EU-Mitgliedstaaten zu agieren.

Da Draghi diesbezüglich mit erheblichem Widerstand rechnet, soll der Plan schrittweise und risikoadjustiert umgesetzt werden. Draghi schlägt vor, dass die Esma zunächst die Aufsicht über

  1. „multinationale“ Emittenten
  2. regulierte Handelsplätze, die in mehreren Jurisdiktionen tätig sind, wie etwa Euronext oder Clearstream und
  3. zentrale Gegenparteien

übernehmen soll.

Zur Klassifizierung von Emittenten lassen sich Kriterien wie festgelegte Schwellenwerte definieren – oder ob Tochtergesellschaften in unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten vorhanden sind. Darüber hinaus soll ein Teil der Aufsicht bei den nationalen Aufsichtsbehörden verbleiben. So blieben rein national tätige Emittenten weiter der nationalen Aufsichtsbehörde unterstellt. In einem zweiten Schritt soll dann die Aufsicht über Investmentfonds durch die Esma erfolgen.

Fondsstandorte Luxemburg und Irland reagieren kritisch

Dass seine Empfehlungen ein „heißes Eisen“ sind, ist Draghi vollends bewusst: Der Bericht macht deutlich, dass der Widerstand gegen die Umwandlung nationaler Aufsichtsbehörden in „Tochterunternehmen“ einer einzigen, EU-weiten Behörde erheblich sein dürfte. Laut Draghi werde dieser Widerstand nicht nur von nationalen Behörden ausgehen, die sich in ihrer Rolle bedroht sehen, sondern auch von Handelsplattformen und Marktteilnehmern, die erhebliche Vorteile aus der gegenwärtigen zersplitterten Struktur ziehen.

 

Es ist daher wenig verwunderlich, dass die bedeutenden Fondsstandorte Luxemburg und Irland die Pläne umgehend kritisiert haben. Ein wesentlicher Ansatzpunkt der Kritik ist die Befürchtung, dass eine Zentralisierung die europäischen Finanzzentren gerade nicht effizienter und wettbewerbsfähiger machen könnte. Sie würde die zugrundeliegenden Probleme der Marktintegration nur verdecken. So zeigten gerade die Erfahrungen mit der Bankenaufsicht in der EU, dass eine Zentralisierung nicht zwingend auch den Markt stärke.

Stattdessen wird befürchtet, dass die größere Distanz einer europäischen Aufsichtsbehörde Nachteile mit sich bringe: Sie könnte die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen europäischen Finanzzentren gefährden.

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Deutschland: Verliert Finanzstandort Frankfurt an Relevanz?

In Deutschland ist die Diskussion um eine europäische „Super-Aufsicht“ interessanterweise noch gar nicht richtig angekommen – obwohl sich eine gebündelte Aufsicht im dargestellten Umfang langfristig ganz erheblich auf den deutschen Markt auswirken könnte. So stellt sich die Frage, ob eine verstärkte Kapitalmarktunion mit dem Fokus, mehr Geld in die europäische Industrie zu investieren, wirklich für ein exportorientiertes Land wie Deutschland, das auf den Zufluss nicht-europäischen Geldes angewiesen ist, wünschenswert ist. Auch ist nicht klar, ob die aktuellen Fondsstandorte Luxemburg und Irland nicht letztlich sogar von einer weitergehenden Effizienzsteigerung zum Nachteil der anderen EU-Länder profitieren. So könnte der Finanzstandort Frankfurt sogar an Relevanz verlieren, wenn zum Beispiel Clearing und Settlement in einer Organisation zusammengefasst werden würden.

Fakt ist: Der Aufbau einer Superbehörde wäre ein weiterer, stringenter Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen Kapitalmarktunion. Er würde fortsetzen, was im Grunde schon das Ziel der ersten großen Finanzmarktrichtlinie aus dem Jahr 1993 war: Die damalige Investment Services Directive wollte einen global wettbewerbsfähigen EU-Kapitalmarkt mit europaweit gleichen Wettbewerbsbedingungen schaffen. Mit Mifid I und II wurde dieser Weg fortgesetzt. 2017 bekundete die EZB dann im Zuge des Brexits die Absicht, die Esma zu stärken und langfristig eine zentrale europäische Kapitalmarktaufsicht zu etablieren. Vítor Constâncio, damaliger Vize-Chef der EZB, hob die Notwendigkeit einer zentralisierten Aufsicht hervor. Diese sollte das Finanzsystem stabil halten und dafür sorgen, dass Risiken besser überwacht werden könnten.

Asset-Management-Industrie: mögliche Kosteneinsparungen

Für die Asset-Management-Industrie könnte eine zentralisierte Aufsicht, wenn sie konsequent umgesetzt wird, positive Folgen mit sich bringen. So ließen sich bei einer europaweiten Aufsicht durch den Wegfall des nationalen „Gold-Platings“, also der nationalen regulatorischen Spezifika, erhebliche Kosten einsparen. Dies könnte insbesondere dem Verbraucher günstigere Produkte bescheren. Was wiederum jedoch wohl mit einer stärkeren Konzentration einhergehen würde und der Wettbewerbsfähigkeit schaden könnte.

Draghis Ansatz birgt im Übrigen auch die Gefahr, dass die Marktteilnehmer dann sogar einer Doppelaufsicht durch nationale und europaweite Behörden ausgesetzt sind, wie wir es schon in anderen Industriebereichen feststellen mussten. Dies ließe sich nur verhindern, indem mit einer zentralisierten Aufsicht auch nationale Regeln abgebaut würden.

Fazit: Konformität bei Zielen, Umsetzung bleibt umstritten

Während die Ziele – stärkere Wettbewerbsfähigkeit und weniger regulatorische Zersplitterung – grundsätzlich von vielen geteilt werden, ist die Methode ihrer Umsetzung umstritten. Sie verlangt eine sorgfältige Abwägung der verschiedenen Interessen. Wie bei vielen visionären Ansätzen sind kritische Reaktionen nicht nur vollkommen normal, sondern wichtig, weil sie Schwächen aufzeigen können. Ein Ausgleich von Interessen allein bei derzeit 27 EU-Mitgliedsstaaten zu finden, ist herausfordernd. Letztlich ist das aber wie bei so vielen anderen regulatorischen Vorhaben auf EU-Ebene alltäglich.

Das große Ziel einer Kapitalmarktunion, in deren Zusammenhang auch die Rolle der Esma neu definiert werden muss, ist längst anvisiert. Damit wird das Thema der gemeinsamen Aufsicht früher oder später noch stärker in den Fokus rücken. Die Asset-Management-Industrie sollte sich daher frühzeitig mit dem Thema beschäftigen.

 

Jochen Kindermann
Jochen Kindermann © Simmons & Simmons

Über den Autor:

Der Jurist Jochen Kindermann hat sich auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Er ist Partner der Wirtschaftskanzlei Simmons & Simmons.

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