ETF-Spezialisten schätzen ein „Privatanleger haben mehr Mut bewiesen als institutionelle Investoren“

Exchange Traded Funds (ETFs) kamen vor etwa 20 Jahren als Anlageprodukt für institutionelle Investoren auf den Markt. Mittlerweile aber haben Privatkunden aufgeholt. Im August erreichte der Privatanleger-Markt für ETFs in Deutschland ein neues Rekordhoch: Zahlen des Anlegerportals ExtraETF zufolge lag das in börsengehandelten Indexfonds investierte Volumen bei knapp 41,3 Milliarden Euro. Gegenüber Jahresende 2019 ist es demnach um 21 Prozent, das heißt 7,2 Milliarden Euro, angestiegen.
„ETFs sind in den Fokus der Anleger gerückt“, sagt Tobias Heimann, bei den BNP Paribas-Töchtern Consorsbank und DAB für Anlageprodukte zuständig, im Blackrock-Gesprächsformat Talk@BLK. Bei Privatkunden sei es die am stärksten wachsende Anlageklasse. Erstaunlicherweise habe der Markteinbruch im Frühjahr daran nichts geändert – im Gegenteil. „Viele Kunden haben die Krise genutzt, um einzusteigen“, so Heimann. Privatanleger hätten dabei mehr Mut bewiesen als institutionelle Investoren. „Die angeblich so ängstlichen Privatkunden haben in der Krise alles richtig gemacht.“ Das bestätigt auch ExtraETF-Geschäftsführer und -Gründer Markus Jordan, der regelmäßig Statistiken zum deutschen ETF-Markt veröffentlicht: „Die Anleger haben vernünftig auf die Corona-Krise reagiert und durchgehalten.“ Die durchschnittliche Sparplanrate sei im Frühjahr sogar gestiegen.
ETFs haben Marktrückgänge in der Krise nicht verstärkt
Die Kritik, dass ETFs in einer Krise im Gegensatz zu aktiven Fonds nicht gegensteuern, kann Jordan nicht nachvollziehen: „Der ETF soll ja die Indexentwicklung abbilden.“ Das sei das Wesen des Produktes. Zudem habe sich nicht bestätigt, dass Indexfonds Rückgänge am Markt verstärken. Im Verhältnis zum klassischen Investmentmarkt sei das ETF-Segment immer noch relativ klein. „Warum sollten gerade ETFs die Marktentwicklung beschleunigen?“, fragt Jordan. Dass Indexfonds die Märkte nicht nach unten gezogen haben, könnte das Produkt weiter stärken, glaubt Tobias Heimann.
Ein entscheidender Faktor für den Kunden seien die niedrigen Kosten von ETFs. Die Consorsbank bietet laut Heimann nun seit zehn Jahren Sparpläne an, für die keine Gebühren anfallen. Das Konzept habe sich bewährt, sei aber nur in einem Wachstumsmarkt tragfähig. Experte Markus Jordan rechnet damit, dass sich mit ETF-Transaktionen ohnehin in absehbarer Zukunft kein Geld mehr verdienen lasse. „Der Finanzmarkt steht vor einem schwierigen Umbruch.“ Anbieter könnten Gebühren für digitale Prozesse nicht dauerhaft durchsetzen, so Jordan. Das zeige das Beispiel von SMS oder Whatsapp-Nachrichten, für die auch niemand (mehr) bereit sei, zu zahlen.
Kunden wollen Service – und bezahlen auch dafür
Die Digitalisierung mache vor dem Handel mit Wertpapieren nicht Halt. „Unternehmen müssen Services und Dienstleistungen schaffen, die wirklich einen Mehrwert bieten“, so Jordan. Dass es soweit kommt, kann sich auch Heimann vorstellen. Er ist sich allerdings sicher, dass Kunden auch weiterhin Wert auf Service legen und bereit sind, dafür zu bezahlen.
Sogenannte Neobroker, die per App den Handel mit Aktien und Fonds zu niedrigen Gebühren ermöglichen, sieht Heimann daher kaum als Konkurrenz. „Neobroker bieten ein eingeschränktes Angebot und bedienen eine spitze Zielgruppe“, so Heimann. Mit ihrem Angebot erreichten die Anbieter eine neue Kundengruppe, die weniger Anspruch an Service und Produkte hätte. „In ihrem Segment machen sie einen guten Job.“
Nicht immer aber sind neue digitale Geschäftsmodelle auch ein Garant für Erfolg: Robo-Advisor, die automatisiert ebenfalls häufig in ETFs investieren, haben die hohen Erwartungen nicht erfüllt, meint Markus Jordan. „Ich habe damit gerechnet, dass sich viel mehr Privatanleger dafür entscheiden.“ Allerdings könnten die digitalen Vermögensverwalter Indexfonds nicht zu den am Markt üblichen Gebühren anbieten. „Robo-Advisor sind noch zu teuer, um eine wirklich gute Alternative zum klassischen ETF-Portfolio zu sein“, so Jordan. Auch sei das Produkt Vermögensverwaltung bei Privatkunden noch weitgehend unbekannt. Um einen Massenmarkt zu erschließen, müssten die Anbieter zusätzliche Services anbieten, sagt der ExtraETF-Geschäftsführer.