Gutachten von AfW und BVK Provisionsverbot in der Kleinanlegerstrategie: Das sagen Rechtswissenschaftler
Am 24. Mai hat die EU-Kommission ihren Entwurf für eine europaweite Kleinanlegerstrategie vorgelegt. Die Regeln sollen für mehr Transparenz und Fairness gegenüber Verbrauchern im Finanzvertrieb sorgen. Innerhalb der Branche sorgt der Entwurf seither für lebhafte Diskussionen.
Ein Kernpunkt, der die Vertriebsseite umtreibt, ist die Frage nach der Zulässigkeit von Provisionen. Die Kommission fordert zwar kein allgemeines Provisionsverbot. Vermittler sollen mithin auch in Zukunft von den produktgebenden Gesellschaften – Versicherern und Fondsanbietern – dafür vergütet werden dürfen, wenn sie deren Produkte vermitteln. Allein die Bedingungen für diesen Geldfluss will die EU-Kommission enger zurren.
So soll beratungsfreies Geschäft – wenn Vermittler lediglich die Order eines Kunden ausführen, ohne ihn zuvor beraten zu haben – zukünftig nicht mehr über Provisionen vergütet werden können. Vermittler, die dagegen Beratung zu Finanz- und Versicherungsanlageprodukten erbringen, dürften sich durchaus von den Produktgebern vergüten lassen, wenn es anschließend zu einem Kaufvertrag kommt. Allerdings: Der Berater dürfe seine Leistung dann nicht als „unabhängig erbracht“ darstellen, fordert die EU-Kommission.
Einige Marktbeobachter schlugen daraufhin Alarm: Diese Regel bedeute das partielle Aus für Provisionen, und zwar konkret bei allen Versicherungsmaklern. Ihre Argumentation: Versicherungsmakler agierten unabhängig von den Produktgebern. Sie seien – im Gegensatz zu Versicherungsvertretern – nicht an die Produktpalette eines bestimmten Versicherers gebunden. Ein partielles Provisionsverbot für unabhängige Beratung würde also allein sie treffen.
AfW-Gutachten hält Provisionsregeln für nicht rechtskonform
Auf diese Sorge nahm kürzlich der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW Bezug. Der Verband stellte ein Gutachten vor, das er bei dem auf Wettbewerbsrecht spezialisierten Hans-Peter Schwintowski in Auftrag gegeben hatte.
Die Kernthesen des AfW-Gutachtens:
- „Es fehlt an einer Kompetenzgrundlage, die diese Regelung legitimiert, da Art. 62, 53 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht eingreifen. Die geplante Regelung erleichtert nicht die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit für Versicherungsmakler, sondern erschwert sie ganz erheblich.
- Verletzt ist ebenso das Kohärenzprinzip (Art. 7 AEUV) sowie das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 des Vertrags über die Europäische Union - EUV).
- Ferner ist der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) verletzt, ebenso wie der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Artt. 119, 120 AEUV).
- Schließlich sind die wirtschaftliche Freiheit (Art. 15/16 der Charta der Grundrechte der europäischen Union – EU-GRCh) und der Gleichheitssatz (Art. 20 EU-GRCh) verletzt.
- Versicherungsmakler werden im Wettbewerb gegenüber gebundenen Vertretern massiv benachteiligt und diskriminiert. Damit sind Makler gegenüber gebundenen Vertretern praktisch nicht mehr wettbewerbsfähig.“
Der Rechtsprofessor der Berliner Humboldt-Universität bestätigt die Befürchtungen: Käme die Kleinanlegerstrategie mit allen im Entwurf angedachten Regeln, könnten Makler ihre Tätigkeit im Europäischen Binnenmarkt nur noch erheblich erschwert ausüben. Der Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten würde sich verkomplizieren, der Wettbewerb wäre verzerrt.
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Makler hätten in der Tat einen Nachteil gegenüber Versicherungsvertretern. Da diese wiederum die Interessen bestimmter Unternehmen vertreten, hätten im Endeffekt auch die Kunden einen Nachteil: Sie erhielten vor allem dort Beratung, wo in erster Linie die Interessen einzelner Versicherungsunternehmen zählten. Auch der Wettbewerb um die besten Produkte wäre dadurch beschädigt.
Allerdings sei die Regelung, festgeschrieben in Artikel 30 Absatz 5b des Richtlinienentwurfs, nicht konform mit europäischem Recht. Sie wäre laut Schwintowski folglich nichtig.
Der AfW resümiert, dass „mit dem Vorschlag die Kleinanleger geschädigt werden und mit ihnen ein ganzer kundenorientierter und qualifizierter Berufsstand – die Versicherungsmaklerinnen und -makler.“ Die betreffende Regelung im EU-Entwurf empfehle man, „ersatzlos zu streichen“.
BVK verweist auf eigenes Gutachten
Einen Tag später meldete sich der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) in der Sache zu Wort. Dort sieht man die Dinge anders. „Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Kleinanlegerschutz-Richtlinie enthält kein Provisionsverbot für Versicherungsmakler/innen“. Beim BVK beruft man sich auf ein eigenes Gutachten, das erst noch vorgestellt werden soll. In Auftrag gegeben wurde es bei Christoph Brömmelmeyer.
Der Rechtswissenschaftler und Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder meint: „Die Kommission hat sich vielmehr bewusst entschieden, den provisions- und courtage-basierten Vertrieb von Versicherungen auch weiterhin zuzulassen.“ Er betont: Nur wer eine Beratung „auf unabhängiger Basis“ ankündigen würde, dürfte gemäß dem Kommissionvorschlag keine Provisionen empfangen. Mit Blick auf den Maklervertrieb lautet Brömmelmeyers Fazit: Der Versicherungsmakler müsste künftig, um sich per Provision vergüten zu lassen, „klarstellen, dass er zwar nicht persönlich von einem bestimmten Versicherer abhängig ist, dass die von ihm angebotene Dienstleistung aber ‚nicht unabhängig‘ erfolgt, weil er wirtschaftlich gesehen auf Provisionszahlungen angewiesen ist“.
Provisionsvertrieb – das Für und Wider
Die Debatte um Provisionen im Versicherungs- und Finanzvertrieb ist nicht neu. In Deutschland wird sie besonders scharf geführt, da Provisionen die Geschäftsgrundlage der meisten Vertriebe hierzulande darstellen. Gegner argumentieren, dass durch die Kickbacks der Produktgeber Vermittler animiert würden, ihren Kunden vor allem solche Produkte zu empfehlen, die für sie selbst am lukrativsten seien. Befürworter weisen dagegen auf das langjährig stabil laufende Vergütungssystem hin, über das sich kaum ein Kunde beschwerte. Das Gros der Kunden sei zudem nicht bereit, für die Dienstleistung Finanzberatung gesondert zu zahlen.
Die EU-Kommission hatte beim Entwerfen ihrer Kleinanlegerstrategie anfangs mit einem allgemeinen Provisionsverbot für den Finanzvertrieb geliebäugelt, diesen Plan jedoch wieder verworfen. Finanzkommissarin Mairead McGuinness hat stattdessen angekündigt, dass über das Thema drei Jahre nach Inkrafttreten noch einmal neu entschieden werden soll.