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Europa Ausblick 2015 "Ohne Fiskalunion stößt die Geldpolitik an ihre Grenzen"

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Welche Auswirkungen würde eine ausgewachsene Quantitative Lockerung für Europa mit sich bringen? Und welche Botschaft würde ein solcher Schritt der EZB den Märkten vermitteln?

Bosomworth:
Eine breit angelegte QE würde über drei Kanäle wirken: Inflationserwartungen, Fremdkapitalkosten und Devisenmarkt.

Die QE wird das wichtige Signal senden, dass es der EZB ernst mit der Erreichung ihres Inflationsziels ist. Ein solches Signal wird helfen, die Inflationserwartungen bei Unternehmen und Haushalten steigen zu lassen.

Ankäufe von Unternehmensanleihen außerhalb des Finanzsektors würden wahrscheinlich direkt auf die Finanzierungskosten der Unternehmen, die die Kreditmärkte unmittelbar in Anspruch nehmen können, durchschlagen. Und über einen Durchsickereffekt könnten sie indirekt zu niedrigeren Kreditkosten für kleinere Unternehmen führen. Ankäufe von Staatsanleihen dürften die risikofreie Kurve weiter komprimieren. Das hilft, den erwarteten Realzins zu senken.

Des Weiteren rechnen wir damit, dass sich weitreichende Portfolioeffekte einstellen. Denn Verkäufer von Staatsanleihen werden ihre überschüssigen Barbestände abbauen wollen. Dazu werden sie für Anlagen mit größerem Risiko den Preis in konzentrischen Kreisen immer weiter in die Höhe treiben – und damit deren Rendite senken –, und zwar höher als für die von der EZB angekauften Papiere. Für Banken könnten diese Portfolioeffekte beispielsweise mit einer Verlagerung weg von Staatsanleihen hin zur Kreditvergabe einhergehen. Dies funktioniert im Wesentlichen über die Opportunitätskosten der Banken für Kredite. Eine Senkung der Kreditzinsen für Staaten wird für Banken einen Anreiz darstellen, Kredite stattdessen an Unternehmen zu vergeben.

Und indem die in Umlauf befindliche Menge an Euros im Verhältnis zu anderen Währungen steigt, wird eine QE wahrscheinlich den äußeren Wert des Euros gegenüber anderen Währungen sinken lassen.

Allerdings ist es wichtig, auch die Grenzen der QE zu erkennen: Nachhaltiges reales Wachstum entsteht letzten Endes aus Produktivitäts- und Bevölkerungswachstum. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Regierungen in der Eurozone. In einer idealen Welt würden sie die EZB kurz- ebenso wie langfristig unterstützen, indem sie eine größere Nutzung von automatischen Stabilisatoren zulassen und Reformen durchführen, die potenzielles Wachstum fördern. Nach unserer Einschätzung werden sich die Märkte über größere Haushaltsdefizite keine Sorgen machen, solange die Regierungen an Strukturreformen arbeiten.

Letztendlich wird sich die Eurozone wahrscheinlich in Richtung einer politischen und fiskalischen Union bewegen müssen. Ohne dies hat bisher noch keine Währungsunion überlebt. Das größte Risiko für Anleger besteht dann, wenn die EZB große Mengen Staatsanleihen aufkauft, die Regierungen aber nichts unternehmen. Das würde sämtliche Anstrengungen der EZB, das Wachstum anzukurbeln, untergraben.

Wie unterscheiden sich die Aussichten der europäischen Kernländer von den Aussichten der Peripherieländer?

Pagani:
In den nächsten zwölf Monaten rechnen wir in der Eurozone mit einem anziehenden Wachstum, das von den derzeitigen annualisierten 0,5 Prozent auf ein immer noch sehr schwaches Niveau von etwa 1 Prozent zulegt. Der drastische Rückgang der Ölpreise, ein schwächerer Euro und vermehrte Impulse vonseiten der EZB werden in den kommenden Quartalen wahrscheinlich zum Wachstum beitragen. Doch der anhaltende Druck zum Schuldenabbau und die Notwendigkeit von Strukturreformen in der Region bedeuten, dass sich die Zunahme des Wachstums in Grenzen halten wird.

Innerhalb der Eurozone bestehen erhebliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Mitgliedstaaten, die ihre Hausaufgaben durch erfolgreiche Fiskal- und Strukturreformen gemacht haben, werden sich relativ gut entwickeln – so gehen wir insbesondere in Spanien von einem Wachstum von etwa 1,75 Prozent aus. Demgegenüber werden Länder, in denen weitere Reformen und Kostenanpassungen noch ausstehen, eher schlecht abschneiden. Dazu gehören beispielsweise Italien und Frankreich mit einem voraussichtlichen Wachstum von etwa 0,25 Prozent beziehungsweise 0,5 Prozent. In Deutschland rechnen wir mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent. Auch wenn es über dem Durchschnitt der Region liegt, ist es nach wie vor verhalten, da die Unternehmen vorsichtig bleiben und wesentliche fiskalische Impulse fehlen.