Europäische Aktien Europa ist besser aufgestellt als die USA – und günstiger
USA
Begrenzte Marktrally: Nvidia und die Tech-Giganten als Haupttreiber des S&P 500
In den letzten zwölf Monaten verzeichneten die Aktienmärkte eine außergewöhnlich gute Performance, allen voran der US-Markt: So verbuchte der S&P 500 einen Zuwachs von 25 Prozent und das erste Halbjahr 2024 war das stärkste seit 1900. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Gewinne des S&P 500 zwischen dem 1. Quartal und dem 4. Quartal 2024 um 15 Prozent steigen werden. Die US-Wirtschaft verliert jedoch an Dynamik, was zu Gewinnwarnungen und Kursrückgängen bei den Unternehmen im Konsumgütersektor führt.
Der S&P 500 mag sich gegenwärtig auf einem Allzeithoch befinden. Dennoch ist die Basis der Rally recht begrenzt: Ein Drittel des jüngsten Kursanstiegs ist allein Nvidia zu verdanken und drei Viertel entfallen auf die sechs größten Technologieaktien.
Die akkommodierende Haltung des Vorsitzenden der Federal Reserve (Fed) Jerome Powell Ende 2023 sowie die Lockerung der finanziellen Bedingungen trotz der seit vier Monaten enttäuschend hohen Inflation machen es schwierig, die Zinsen zu senken. Auch wenn sich die Inflation endlich abschwächt, empfinden die Verbraucher sie weiterhin als großes Problem.
Nach einer ersten Zinserhöhung durch die Fed dauert es durchschnittlich 29 Monate, bis eine Rezession einsetzt (Analyse der Daten von Bloomberg durch Columbia Threadneedle Investments) – und genau so viel Zeit wird im August 2024 verstrichen sein. Es scheint nun, dass die Fed die Zinsen erst beim Eintritt einer Rezession senken wird.
Auf extreme Marktkonzentrationen folgen oftmals Korrekturen. Die Rally muss sich ausweiten, damit die Dynamik erhalten bleibt, insbesondere vor dem Hintergrund der zuletzt durchwachsenen Meldungen zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Gewinnwarnungen für Aktien im Konsumgüterbereich verdunkeln die Aussichten. Ein erwartetes Gewinnwachstum im zweistelligen Bereich – über 30 Prozent für die größten US-Tech-Unternehmen – wirkt sehr ambitioniert. Alles scheint allzu schöngefärbt: Bei Krediten, der Volatilität und Positionierung ist die Situation angespannt.
Steigende Arbeitslosigkeit bedroht die Konsumausgaben
Der Arbeitsmarkt hält weiter stand; die Lohndaten zeigen, dass in den USA jeden Monat 200.000 bis 300.000 neue Arbeitskräfte hinzukommen. Es gibt indes weniger offene Stellen, die Arbeitslosigkeit steigt und die Zuwanderung läuft auf Hochtouren. Die Erwerbsquote ist zuletzt gestiegen.
Die Kündigungsquote und der Index zur Überwachung der Lohnentwicklung der Federal Reserve Bank of Atlanta sind rückläufig, doch dies sind Spätindikatoren. Wenn die Fed wartet, bis sie noch weiter zurückgehen, stolpern wir wahrscheinlich in die Rezession. Die offizielle Arbeitslosenquote ist von 3,4 Prozent im April 2023 auf mittlerweile 4,1 Prozent gestiegen. Wenn die Zahl der offenen Stellen weiter sinkt, steigt auch die Arbeitslosigkeit weiter an.
Seit 1945 ist es in den USA nur zwei Mal vorgekommen, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot überstieg: Ende der 1960er-Jahre und zum Ende der Coronapandemie. In beiden Fällen stieg die Inflation sprunghaft an. Eine Rezession ist bisher ausgeblieben, weil aufgrund der schwachen Nachfrage nach Arbeitskräften das Lohnwachstum geringer ausfällt und weniger offene Stellen vorhanden sind. Die offizielle Quote der offenen Stellen ist von 7,4 Prozent im März 2022 auf 4,8 Prozent im April dieses Jahres gesunken, und der Trend hält weiter an. Derzeit liegt diese Quote bei 4,5 Prozent – ein Niveau, das Fed-Direktor Christopher Waller zufolge zu mehr Arbeitslosigkeit führen wird. Die gesunkene Nachfrage nach Arbeitskräften lässt sich an folgenden Daten ablesen: Einstellungen, Kündigungen, Lohnsätzen und Unternehmensumfragen. Im Vorfeld der Rezession ab Dezember 2007 kam es zu einem Umschwung bei der Entwicklung der offenen Stellen, Kündigungen und Einstellungen, wie dies auch jetzt der Fall ist.
Höhere Arbeitslosigkeit würde den Konsum beeinträchtigen und die Ersparnisse ansteigen lassen. Die Sparquote in den USA ist heute nur noch halb so hoch wie vor der Pandemie, wobei die Bankeinlagen wieder das damalige Niveau erreicht haben. Die ärmsten Haushalte haben heute weniger als noch im Jahr 2019.
Strengere Kreditvergabestandards und mögliche Zinssenkungen der Fed
Die Ausfallrate bei Kreditkarten und Autokrediten liegt auf dem Niveau von 2010, als die Arbeitslosenquote 10 Prozent betrug. Die Kreditvergabestandards der Banken sind strenger geworden; die Zinssätze für Verbraucherdarlehen und Kreditkarten befinden sich auf Rekordniveau (Kreditkartenzinsen: 21,6 Prozent). Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, kontrollieren Verbraucher und Unternehmen ihre Ausgaben in der Regel stärker. Trotz des KI-Hypes sind die Investitionsausgaben nach wie vor niedrig, und die Ausgaben für den Gewerbebau befinden sich auf einem 12-Jahres-Tief.
Es wird zu einer Straffung der Geldpolitik kommen, auch wenn die Fed die Zinsen senkt, denn die tatsächlichen Kosten für die Kreditnehmer sind relevanter als die offiziellen Zinssätze. Die durchschnittlichen Hypothekenzinsen liegen 300 Basispunkte unter dem für neue Hypotheken fälligen Satz. Darlehen für Gewerbeimmobilien sind auf dem Rückzug und der Impuls im Bereich der Bankkredite steht an einem Wendepunkt. Gleichzeitig beträgt das US-Haushaltsdefizit 7 Prozent des BIP (US-Finanzministerium, Stand: Juni 2024) – und ein Wahlsieg von Donald Trump würde den Weg zu einer noch höheren Verschuldung freimachen. Zu Jahresbeginn setzten die Anleger auf eine Beschleunigung des Wachstums und auf Zinssenkungen seitens der Fed. Doch die Glaubwürdigkeit der Fed wird derzeit auf die Probe gestellt. Im vergangenen Sommer, als sie die Zinsen auf 5 Prozent anhob, fiel der Markt um 10 Prozent. Dies änderte sich, als Jerome Powell akkommodierende Töne anschlug. Seitdem haben sich die Fed Funds Futures und die Aktienkurse in entgegengesetzte Richtungen entwickelt. Es steht zu hoffen, dass die Gewinne so positiv ausfallen wie erwartet, damit der Markt nicht einbricht. Wir warten noch immer auf die erste Zinssenkung, während der Markt sich auf einem Allzeithoch befindet.
Angesichts der negativen Überraschungsindikatoren (Economic Surprise Indicators) könnte im zweiten Halbjahr 2024 ein gewisses Vakuum entstehen, wenn die Fed keine Impulse gibt. Nachdem der zusammengesetzte Einkaufsmanagerindex für die Eurozone (Eurozone Composite PMI) von Oktober bis Mai gestiegen war, ist er inzwischen rückläufig. Die Daten aus den USA enttäuschen: Einzelhandelsumsätze, Investitionsvorhaben und Baubeginne lassen jeweils nach. Einige dieser Entwicklungen dürften als weiche Landung und nicht als Rezession gedeutet werden. Internationale Aktien korrelieren mit dem US-Dollar; derzeit können sich die Aktien trotz dessen Stärke behaupten.
Europa
Die USA und Europa driften wirtschaftlich auseinander
Während die USA 2023 ein starkes Wachstum verzeichneten, schrumpfte die Wirtschaft in der Eurozone. Das Verbrauchervertrauen steigt, aber das Geschäftsklima bleibt verhalten. Die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor fielen enttäuschend aus.
Der Energieschock durch den Krieg in der Ukraine traf Europa stärker als die USA: Die Inflation schnellte in die Höhe und ließ die Realeinkommen einbrechen. Doch die Erdgaspreise sind gegenüber den Höchstständen von Mitte 2022 um 90 Prozent gesunken, und dank des restriktiven Kurses der Europäische Zentralbank in Bezug auf die nominalen und realen Renditen konnte die Inflation unter Kontrolle gebracht werden, während sich die Reallöhne allmählich erholen (Grafik 1).
Grafik 1: Die Löhne in Europa erholen sich
Im Gegensatz zu den USA besitzen die europäischen Haushalte noch immer Ersparnisse (12,5 Prozent des BIP), die während der Pandemie angewachsen sind; dies wird den Konsum unterstützen. Die Zahl der Kfz-Zulassungen liegt weiterhin ein Viertel unter dem Niveau von 2019. Stimmungsindikatoren wie das ZEW-Barometer und ifo-Konjunkturumfragen fallen positiv aus, während der wirtschaftliche Stimmungsindikator (Economic Sentiment Index) der Europäischen Kommission zurückgeht und der EMI für das verarbeitende Gewerbe im Juni negativ tendierte. Ein Rückgang der freien Stellen ist indes ein Zeichen dafür, dass die positive Dynamik des Arbeitsmarkts möglicherweise nicht von Dauer ist. Die Investitionsausgaben sind niedrig. Dem Internationalen Währungsfonds zufolge (IWF, The Global Economy in a Sticky Spot, Juli 2024) wird der fiskalische Effekt in Europa 2024 -1 Prozent betragen (gegenüber -0,4 Prozent im Jahr 2023).
Europa zwischen politischen Machtkämpfen und globalen Marktkräften
In Frankreich will sowohl das linke als auch das rechte politische Lager die Ausgaben erhöhen. Unabhängig davon, welche neue Situation sich letztendlich aus den Wahlen ergibt – das Parlament befindet sich in einer Pattsituation und die Regierungsbildung steht noch aus – wird der Anleihenmarkt das jeweilige Vorhaben auf die Probe stellen. In Italien und Spanien sind die Verbraucherdarlehen auf dem Vormarsch, während Deutschland seine Fiskalpolitik in diesem Jahr um 1 Prozent strafft.
Die Banken entwickelten sich im Zuge der steigenden Zinssätze gut und wiesen ein Plus von 140 Prozent gegenüber dem Tiefpunkt im Jahr 2020 aus. Auch derzeit erscheinen sie noch günstig, aber die Zinsen befinden sich auf einem Höchststand. Ihr hartes Kernkapital (Core-Tier-1) hat sich bei 16 Prozent stabilisiert und ist damit doppelt so hoch wie während der weltweiten Finanzkrise, während die Eigenkapitalrenditen wieder alte Höhen aus Zeiten vor der Finanzkrise erreicht haben.
In den 20 Jahren bis zur Coronapandemie korrelierten die Renditen 10-jähriger US-Anleihen mit denen von langfristigen Vermögenswerten. Die zum Ende der Pandemie aufgekommene Inflation hat dem ein Ende bereitet. Wenn die Fed die Zinsen zu spät senkt, dürfte es unserer Ansicht nach wahrscheinlich wieder zu dieser Korrelation kommen, was förderlich für unseren qualitätsorientierten Anlagestil wäre. Wachstumswerte schneiden besser ab als Value-Aktien; gleiches gilt für Large Caps, die den Small Caps überlegen sind. Die Gewinne des S&P 500 unter Ausklammerung der Glorreichen 7 bleiben negativ. Wachstumswerte erzielen weiterhin ein besseres Ertragswachstum als Substanzwerte. Es könnte die Zeit gekommen sein, in der sich Software nach dem KI-Boom besser entwickelt als IT-Hardware; im Bereich der Halbleiter werden mehr Kapazitäten entstehen.
Warum die europäischen Kapitalmärkte trotz Fortschritten hinter den USA zurückbleiben
Europa blieb in den vergangenen zwölf Monaten hinter den USA zurück, aber die französische Politik könnte uns zu einer positiveren Einschätzung Europas veranlassen. Die Verschuldung bleibt jedoch hoch: In Frankreich beträgt sie im Verhältnis zum BIP 112 Prozent, in Italien 137 Prozent und in Griechenland 162 Prozent. Das öffentliche Defizit Frankreichs wird 2024 und 2025 bei 5 Prozent liegen.
Die Marktkapitalisierung der USA hat sich von der anderer Märkte abgekoppelt (Grafik 2). Der in den USA verzeichnete Auftrieb liegt darin begründet, dass die Regierung Verbraucher und begünstigte Branchen mit Liquidität versorgt und das globale Kapital stark auf US-amerikanische Tech-Unternehmen und KI ausgerichtet ist. Der US-Dollar ist an beinahe 90 Prozent der weltweiten Finanztransaktionen beteiligt.
Grafik 2: Abkopplung der USA
Seit 2007 sind die auf Euro lautenden Aktien der Eurozone 71 Prozent hinter US-Aktien zurückgeblieben. Europäische Aktien haben gegenüber ihren Pendants aus den USA oft schlechter abgeschnitten, aber kurze Ausbrüche einer Outperformance verzeichnet, etwa gegen Ende der 1980er Jahre und von 2002 bis 2007. In Europa gibt es zu viele kleine Betriebe mit zu geringer Produktivität: Während 59 Prozent der US-Unternehmen über mehr als 250 Mitarbeiter verfügen, sind es in Frankreich 48 Prozent, in Deutschland 43 Prozent und in Italien sogar nur 24 Prozent. Die Zahl der Rentner in Europa wird massiv ansteigen und die Arbeitskosten in die Höhe treiben.
Die EU hat die Fragmentierung zwischen den Märkten verringert, aber Gesetze, Gepflogenheiten, Kulturen und Sprachen sorgen noch immer für Spannungen. Den europäischen Kapitalmärkten fehlt es im Vergleich zu den USA an Tiefe und Liquidität, und der US-Dollar dominiert die Kapitalströme (60 Prozent gegenüber 20 Prozent für den Euro). In den vergangenen drei Jahrzehnten hat Europa 4,8 Billionen US-Dollar weniger investiert als die USA. Die Aussage „Amerika innoviert, China kopiert, Europa reguliert“ fasst die kulturellen Unterschiede wohl treffend zusammen.
Europa könnte von zyklischen Faktoren profitieren. Die Investitionsausgaben konzentrieren sich auf die nähere Umgebung (und auf Regionen außerhalb Chinas). Steuersenkungen und Subventionen (der Inflation Reduction Act in den USA mit 360 Milliarden US-Dollar sowie 270 Milliarden Euro aus dem europäischen Industrieplan zum Grünen Deal) werden sich positiv auswirken, da Europa auf die Industrie, Grundstoffe und Energie ausgerichtet ist.
Fazit
Die Prognosen hellen sich im Allgemeinen auf. Morgan Stanley hat eine Hochstufung von Aktien vorgenommen und ein Ziel von 5.400 Punkten für den S&P 500 im Juni 2025 prognostiziert, das somit unter dem heutigen Stand liegt. Wenn JP Morgan seine Jahresendprognose von 4.200 Punkten anhebt, wird es keine Investmentbank mehr geben, die von einer bevorstehenden Rezession ausgeht – was jedoch nicht unbedingt ein positives Zeichen sein muss.
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