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Europas Mentalitätsproblem: Die Gier der Anderen

Michael Hörl
Michael Hörl
Alles, was man heute ablehnt, lehnt man ab, weil es „gierig“ ist. Banken, Konzerne und Finanzwirtschaft. Selbst der Papst fühlte sich bemüßigt, die Christen vor der Gier zu warnen. Im kapitalismuskritischen Deutschland analysiert man da besonders gründlich. Die Klimaanlagen uralter ICE-Garnituren fallen aus? „Die Gier der Manager ist daran schuld, denn an Klimaanlagen sparte man, um den Börsengang der Bahn vorzubereiten“, − so Politiker und Volksmund unisono. Bei der Love Parade sterben 21 Menschen. Wütend schreien Teenager ins Mikrofon: „Die Raffgier der Politiker ist schuld! Sie haben an den Überwachungskameras gespart!“

Wenn sich Hamburg über den stärksten Bevölkerungsanstieg Deutschlands freut und wie im Lehrbuch die exorbitante Nachfrage nun die Mieten treibt, dann hat man bei Spiegel TV die einfache Antwort: „Die Gier der Kapitalisten ist daran schuld“ – Und natürlich die der Spekulanten. Und es wäre nicht Deutschland, wenn solcherart Entgleisungen als selbstverständlich hingenommen würden.

Fernsehsender wie das ZDF haben ihre eigenen Formate, die des Volkes Lust an fremder Gier bedienen. Auf „Wiso“ („Wirtschaft und Soziales“) kriegen Sparsame Tipps, wie man noch mehr sparen kann: Wie komme ich zu billigerem Strom? Wie kann ich weiterhin billig mit dem Prepaid-Handy telefonieren? Wie komme ich zu kostenloser Navigationssoftware?

Konsumenten erzwingen „Europa der Konzerne“

Europa sei eine Union der Konzerne, das Soziale komme viel zu kurz. Deren Kapitalismus hätte Bürger und Konzerne zur Gier erzogen, so Europas linker Mainstream. Doch weder Kapitalismus noch Konzerne erziehen uns zur Gier. Ihnen wären großzügige Bürger lieber. Die gesellschaftliche Paranoia hat besonders Deutschland schlimm getroffen. In keinem Land der Erde sind Lebensmittel − gemessen am Einkommen − so billig wie in Deutschland. Weil es der Geiz der Mehrheit eben will.
Die DKM 2011 in 30 Bildern
Das wichtigste Auswahlkriterium für deutsche Shopper ist der Preis. Erst danach werden Kriterien wie Qualität oder Hygiene genannt. Ganz zum Schluss kommen die ökologischen oder sozialen Produktionsbedingungen. Immer wieder versuchen Händler oder Produzent, für bessere Ware etwas höhere Preise durchzusetzen – Stichwort „Fairtrade“. Meist vergeblich, ihre Waren bleiben liegen. Einen weiteren Verlust kann der Kaufmann aber nicht mehr wagen und so fährt er wieder nur die Billigschiene. Nirgendwo ist der Lebensmittelumsatz bei Diskountern so hoch wie in Deutschland, nirgendwo muss Fleisch so minderwertig und billig produziert werden, damit Konsumenten es auch kaufen wollen. In kaum einem westlichen Land ist der Anteil an biologisch erzeugten Lebensmitteln so gering. Es ist die Gier der kleinen Leute, die beim Billig-Kaufen „profitieren“ wollen.