Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann
Warum der Aufwärtstrend in der Eurozone weiter anhalten wird

Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann
Die Eurozone war 2023 das Sorgenkind der Weltwirtschaft: Das BIP stagnierte – im zweiten Halbjahr sackte die Währungsunion gar in eine milde Rezession ab. Ganz anders sah es in den USA aus. Hier legte das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte auf über 3 Prozent zu (im Quartals- und Vorjahresvergleich, siehe Abbildung 1). Ende 2023 hatte der Wachstumsvorsprung der USA somit ein Maximum von 3 Proz...
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Die Eurozone war 2023 das Sorgenkind der Weltwirtschaft: Das BIP stagnierte – im zweiten Halbjahr sackte die Währungsunion gar in eine milde Rezession ab. Ganz anders sah es in den USA aus. Hier legte das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte auf über 3 Prozent zu (im Quartals- und Vorjahresvergleich, siehe Abbildung 1). Ende 2023 hatte der Wachstumsvorsprung der USA somit ein Maximum von 3 Prozentpunkten erreicht.
Im ersten Quartal 2024 scheint der Wind jedoch gedreht zu haben. Während der BIP-Zuwachs in den USA mit 1,6 Prozent enttäuschte, überraschte er in der Eurozone mit 1,3 Prozent positiv (annualisiert und im Vergleich zum Vorquartal). Die Expansionsbeschleunigung war dabei in der Eurozone regional breit fundiert – sie reichte von Spanien über Deutschland bis nach Lettland. Handelt es sich dabei nur um eine Eintagsfliege?
Gleich mehrere Faktoren sprechen für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends – und zwar sowohl in Kerneuropa als auch der Peripherie. So litt Deutschland im vergangenen Jahr besonders unter der globalen Industriekrise. Mittlerweile ist hier jedoch Licht am Ende des Tunnels zu sehen (siehe Abbildung 2). Weltweit werden die Vorratsbestände aufgestockt – speziell in den vorgelagerten Industriezweigen (Chemie, Halbleiter et cetera), wovon nicht zuletzt die deutsche Industrie profitieren sollte. Somit dürfte selbst der „kranke Mann Europas“ in den nächsten Quartalen die Intensivstation verlassen.
Bereits einen Schritt weiter sind die südeuropäischen Länder – allen voran Spanien, dessen Wachstumsrate der 3-Prozent-Marke zustrebt. Hier hat sich inzwischen eine positive Aufwärtsspirale etabliert, bei der sich ein brummender Arbeitsmarkt, hohes Lohnwachstum und eine anziehende Konsumnachfrage gegenseitig befruchten. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht absehbar. Das Expansionstempo dürfte entsprechend in Spanien, Italien, Portugal und Griechenland vorerst hoch bleiben.
Alles in allem ist der moderate BIP-Anstieg der Eurozone im ersten Quartal wohl mehr als eine kurze Episode. Es gibt zwar immer noch Bremsfaktoren – etwa die restriktive Geldpolitik –, dennoch dürfte das Wachstum der Währungsunion im Jahresverlauf leicht zulegen. Wir gehen davon aus, dass sich der BIP-Zuwachs in annualisierter Rechnung in den nächsten Quartalen bei gut 1,5 Prozent einpendeln wird. Dies ist weiterhin kein Boom, immerhin wird damit aber das Potenzialwachstum (circa 1,0 Prozent) übertroffen.
Im Gegensatz dazu sprechen in den USA zahlreiche Argumente für ein nachlassendes Momentum. Der Konsumboom der vergangenen Quartale wurde vor allem aus Ersparnissen und Krediten finanziert. Nunmehr ist jedoch der Sparstrumpf aus Pandemiezeiten weitgehend geleert, gleichzeitig steigen die Zinslastquoten aus den Hypotheken- und Konsumentenkrediten. Der Konsumboom neigt sich damit dem Ende zu.
In der Folge dürfte das Wachstum zum Jahresende hin unter die Potenzialrate (1,5 bis 2,0 Prozent) fallen. Fraglos hat diese drohende Abschwächung in den USA auch Rückwirkungen auf den Export der Eurozone. Solange die Vereinigten Staaten aber nicht in die Rezession fallen, dürfte dies den europäischen Aufschwung nur dämpfen, aber nicht abwürgen.
Der gegenläufige Wachstumstrend diesseits und jenseits des Atlantiks – aufwärts in der Eurozone, abwärts in den USA – hat auch Auswirkungen auf die Finanzmärkte. So gehen wir unter anderem davon aus, dass sich die europäischen Aktienmärkte 2024 besser entwickeln als die US-amerikanischen. Auch in der Geldpolitik wird die Divergenz Spuren hinterlassen. Die EZB wird den Zinssenkungszyklus zwar früher beginnen als die Fed – die US-Notenbanker dürften am Ende aber die Leitzinsen stärker senken als die Frankfurter Währungshüter.
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