Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann
Weshalb in der Eurozone noch kein Boom in Sicht ist
Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt beim Hannoveraner Asset Manager Bantleon. Foto: Thomas Wieland / Canva
Die Entwicklung der Realeinkommen in der Eurozone lässt vorsichtigen Optimismus zu, meint Daniel Hartmann. Allerdings könne von einem Boom noch lange nicht die Rede sein. Warum er das so sieht, erklärt er in seinem Beitrag.
„Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.“ So könnte das Zwischenfazit zum diesjährigen Aufschwung in der Eurozone lauten. Die Währungsunion ist zwar gut ins Jahr gestartet – das BIP wuchs im ersten Quartal mit annualisiert 1,1 Prozent und gleichzeitig haben sich die Stimmungsindikatoren aufgehellt.
Es fehlt an Aufbruchstimmung in Deutschland
Seit Mai/Juni ist aber bereits wieder der Wurm drin. Allen voran kommt die Industrie in Deutschland nicht in Fahrt. Der Output des deutschen verarbeitenden Gewerbes lag im Juli dieses Jahres immer noch mehr als 10 Prozent unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Auch wenn zuletzt keine neuen Schocks aufgetreten sind, fehlt es an einer Aufbruchstimmung. Sinnbildlich für die Krise steht der VW-Konzern, bei dem strukturelle Probleme auf eine latente Nachfrageschwäche aus China treffen.
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„Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.“ So könnte das Zwischenfazit zum diesjährigen Aufschwung in der Eurozone lauten. Die Währungsunion ist zwar gut ins Jahr gestartet – das BIP wuchs im ersten Quartal mit annualisiert 1,1 Prozent und gleichzeitig haben sich die Stimmungsindikatoren aufgehellt.
Es fehlt an Aufbruchstimmung in Deutschland
Seit Mai/Juni ist aber bereits wieder der Wurm drin. Allen voran kommt die Industrie in Deutschland nicht in Fahrt. Der Output des deutschen verarbeitenden Gewerbes lag im Juli dieses Jahres immer noch mehr als 10 Prozent unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Auch wenn zuletzt keine neuen Schocks aufgetreten sind, fehlt es an einer Aufbruchstimmung. Sinnbildlich für die Krise steht der VW-Konzern, bei dem strukturelle Probleme auf eine latente Nachfrageschwäche aus China treffen.
Dann bremste aber auch noch ein politisches Ereignis den Aufschwung der Eurozone ab. Der französische Präsident Emmanuel Macron löste Anfang Juni das Parlament auf. Damit wollte er für politische Klarheit sorgen, erreichte aber das genaue Gegenteil: ein zersplittertes Parlament. Der neue Premierminister Michel Barnier ist jetzt auf die Unterstützung der linken beziehungsweise rechten Populisten angewiesen und kann leicht gestürzt werden. Diese Art der politischen Unsicherheit ist Gift für die Unternehmensstimmung, die sich zuletzt demzufolge auch in Frankreich eingetrübt hat.
Die Erholung in der Eurozone stützt sich damit mehr denn je auf Südeuropa, das im Tourismus beeindruckende Erfolge feiert. Die Übernachtungszahlen in Italien, Spanien und Portugal liegen inzwischen deutlich über der Vor-Corona-Zeit. Die Proteste gegen den Massentourismus zeigen aber zugleich, dass die Grenzen des Wachstums in diesem Bereich mittlerweile erreicht sind.
Moderater Anstieg der Konsumnachfrage ist wahrscheinlich
Mit Blick voraus besteht die berechtigte Hoffnung, dass die Konsumnachfrage neben dem Tourismus noch andere Bereiche erfasst. Anlass zu diesem vorsichtigen Optimismus gibt die Entwicklung der Realeinkommen. Die Gewerkschaften haben in den vergangenen zwei Jahren spürbare Lohnsteigerungen durchgesetzt. Im Schnitt dürften die Saläre in der Eurozone 2024 um gut 4,0 Prozent zulegen. Damit liegen erstmals seit vier Jahren die Nominallohnsteigerungen erkennbar über der Teuerungsrate (circa 2,4 Prozent 2024) – die Reallöhne ziehen also wieder an (siehe Abbildung 1).
Noch legen die Konsumenten das zusätzliche Geld lieber auf die hohe Kante als es auszugeben. In den kommenden Monaten sollte das Zutrauen in die wirtschaftliche Erholung indes zunehmen, sodass ein moderater Anstieg die Konsumnachfrage wahrscheinlich ist.
Allerdings dürfte dies nicht die Initialzündung für einen breiten Aufschwung liefern. Dazu fehlt die Unterstützung von der Exportseite. Allen voran lahmt die Nachfrage aus China. Das Reich der Mitte steckt in der Immobilienkrise fest und dürfte sich daraus nicht so schnell befreien. Bislang wurde dies durch den starken Importsog aus den USA teilweise wettgemacht. In der größten Volkwirtschaft der Welt zeichnen sich aber zunehmend dunkle Wolken am Konjunkturhimmel ab, sodass insgesamt kein Exportboom in Sicht ist (siehe Abbildung 2). Damit fällt der wichtigste Konjunkturmotor der Eurozone aus.
Niedriges Wachstum in den nächsten Quartalen
Im Ergebnis gibt es zwar einzelne positive Auftriebskräfte in der Währungsunion, die vor allem im Konsum angesiedelt sind. Der große Wurf zeichnet sich aber in konjunktureller Hinsicht nicht ab. Das Wachstum in der Eurozone sollte sich daher in den nächsten Quartalen auf einem lediglich moderaten Niveau von rund 1,0 Prozent (im Vorjahresvergleich) einpendeln. Für
Deutschland ist dies gleichbedeutend mit Wachstumsraten naher der Nulllinie. Insgesamt kann von einem Boom keine Rede sein, vielmehr lässt sich das Konjunkturbild der Eurozone eher mit den Begriffen „Wellblech“ oder „Weichei“ umschreiben.
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