DAS INVESTMENT: Herr Gillessen, gründen junge Menschen heutzutage in der Finanzbranche noch gerne?
Michael Gillessen: Die Frage ist weniger, ob junge Menschen gerne gründen, sondern ob es tatsächlich Neugründungen gibt. Und das kann ich uneingeschränkt mit Ja beantworten. Wir haben auch junge Leute begleitet, die direkt nach der Uni sagten: Wir machen uns sofort selbstständig. Was sollen wir in einen Konzern gehen? Als Studenten sind wir es gewohnt, mit wenig Einkommen auszukommen und es ist uns wichtig, von Anfang an unabhängig und kreativ arbeiten zu können.
Welche Motivation haben diese Menschen dann?
Gillessen: Viele haben keine Lust, den Vorgaben eines Konzerns zu folgen und Produkte zu empfehlen, hinter denen sie selbst nicht stehen. Sie machen sich selbstständig, um Freiheit zu haben. Deswegen sind so viele unabhängige Finanzdienstleister, ich sage das bewusst so, kleine Diven. Und das meine ich ausgesprochen positiv.
Können Sie ein Zahlenverhältnis nennen, wie viele Jüngere bis Mitte 30 gründen und wie viele eher erfahrener sind?
Gillessen: Die wenigsten machen sich mit unter 30 selbstständig. Die meisten sind zwischen 30 und 50. Das hat verschiedene Gründe. Mit mehr Erfahrung fällt es natürlich leichter, in der Selbstständigkeit Kunden zu akquirieren. Die Existenzgründer, die wir in den letzten Jahren begleitet haben, sind überwiegend zwischen 30 und 40.
Ist es heutzutage schwieriger, sich selbstständig zu machen?
Gillessen: Es ist sicherlich schwieriger als vor 30 Jahren, als es die ganze Regulierung noch nicht gab. Aber man kann das nicht so absolut sagen. Wichtig ist, dass die Gründer eine klare Strategie haben, Alleinstellungsmerkmale besitzen und in der Lage sind, Kunden zu akquirieren. Viele kommen aus Organisationen, in denen ihnen alles abgenommen wurde.
Und zu welchen Problemen kann das dann bei der Neugründung führen?
Gillessen: Ich sage dem Existenzgründer immer: Lass uns mal einen Stresstest machen. Denk mal an den ersten Tag in deinem eigenen Büro – das Büro gibt's übrigens nur, wenn du eins angemietet hast. Und dann setzt du dich an deinen Schreibtisch. Den Schreibtisch gibt's übrigens nur, wenn du einen gekauft hast, und dann machst du deinen PC an. Der funktioniert aber nur, wenn du dich vorher um IT gekümmert hast, um Software und so weiter.
Ist die Birne über dem Schreibtisch kaputt, haben sie bisher den Hausmeister angerufen. Funktioniert der PC nicht oder die Firewall blockt immer irgendwelche Mails, dann den IT-Spezialisten. Das muss ich als Selbstständiger alles alleine machen, egal ob ich mit zwei oder mit fünf Leuten mein Unternehmen starte. Natürlich sind das nur die alltäglichen Dinge, gesetzliche Vorschriften und wirtschaftliche Aspekte kommen dazu.
Was sind andere häufige Versäumnisse bei der Gründung?
Gillessen: Da gibt es viele Aspekte. Handwerklich muss das Unternehmen sauber aufgesetzt werden, von der Rechtskonstruktion bis zu den Verträgen. Dann braucht es eine klare Strategie. Eine meiner Standardfragen ist immer: Es gibt schon 463 unabhängige Wertpapierinstitute in Deutschland. Warum braucht es ihr Institut noch? Und dann merken Sie relativ schnell, ob es eine klare Vorstellung gibt von dem, was das Unternehmen im Markt umsetzen will oder nicht.
Wenn wir die ersten Gespräche führen, sitzen in der Regel drei bis fünf euphorisierte Existenzgründer vor uns. Und unsere Aufgabe ist es auch, sie in die Realität zurückzuholen und wirklich zu hinterfragen: Sitzen da Unternehmer vor uns? Passen die Charaktere zusammen? Denn „nur“ Kunden betreuen zu können oder „nur“ eine Anlagestrategie umsetzen zu können, das reicht als Unternehmer nicht aus.
Wie einfach oder schwer ist es für Neue, sich am Markt durchzusetzen?
Gillessen: Das hängt von vielen Faktoren ab. Von der Region zum Beispiel – in Schleswig-Holstein gibt es nur eine Handvoll Vermögensverwalter, da lohnt es sich eher, sich selbstständig zu machen. Auch die Expertise spielt eine Rolle. Mit einer 08/15-Strategie ist es sicherlich schwieriger als mit einer Nischenstrategie. Im direkten Kundengeschäft geht es vor allem darum, eine Anlage- und Servicestrategie zu haben, die sich vom Markt abhebt.

